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       # taz.de -- Eine Kulturgeschichte des Drachens: Beschützer und Bestie
       
       > In China beginnt an diesem Wochenende das Jahr des Drachens. Über einen
       > mythologischen Allrounder.
       
   IMG Bild: Die (süd)ostasiatischen Drachen sind häufig Glücksbringer und Beschützer
       
       Auf den ersten Blick ist der Drache so was wie der Royal unter den zwölf
       Tierkreiszeichen. Bisschen besser als das gemeine Volk, bisschen
       überinszeniert, bisschen aus der Zeit gefallen. Und unverhältnismäßig stark
       verehrt für die Tatsache, dass er selbst nicht wirklich was für seinen
       Status leistet.
       
       Weltweit hat es der Drache längst auf bedruckte T-Shirts, tätowierte
       Oberarme und einfallslose Titelseiten von Nachrichtenmagazinen geschafft –
       und in China gehen Anbetung und Aberglaube sogar so weit, dass in Jahren,
       die im Zeichen des Drachen stehen, regelmäßig ein Babyboom verzeichnet
       wird. Wer will schon Schaf oder Ratte zum Kind, wenn es auch das
       kaiserliche Wappentier sein kann?
       
       [1][Der Drache ist ein mythologischer Allrounder.] Er taucht in zahlreichen
       Sagen, religiösen Schriften und popkulturellen Verarbeitungen auf, mit
       teils wesentlichen regionalen Unterschieden. Unter mittelalterlichen
       Umständen wird er zum grausigen Antagonisten eines menschlichen Helden, den
       es auf dem Weg zur Jungfrauenrettung zu töten gilt (Kategorie Mann mit
       Selbstwertproblem befreit ungefragt potenziell Minderjährige und erwartet
       dafür Sex und Ehe). In Fantasy-Geschichten ist er ein unberechenbarer,
       versehentlich aufgeweckter Risikofaktor (Kategorie Hobbit verärgert
       Schatzmeister und löst Inferno aus).
       
       Und für Kinder stellt man gern ein grünes Ungeheuer auf die kurzen
       Hinterbeine und macht es dadurch nahbar, weil menschlich (Kategorie
       Tabaluga), oder gleicht sein Erscheinungsbild einem Pudelmischling an
       (Kategorie Fuchur).
       
       ## Selbst ist der Drache – und der Mensch auch
       
       Bei den alten Griechen wiederum ist die Rede von mehrköpfigen,
       schlangenartigen Bestien, im Christentum gibt es eine Verbindung zwischen
       Drachen und dem Teufel, und in der hebräischen Bibel ist der Leviathan, ein
       drachenähnliches Mischwesen, Gottes Endgegner im Kampf um die Welt.
       [2][Also alles in allem eher ein bedrohlicher Genosse.]
       
       Die (süd)ostasiatischen Drachen hingegen sind häufig Glücksbringer und
       Beschützer. Zwar sind sie nicht durchweg gut, aber sie speien kein Feuer
       oder kidnappen Prinzessinnen, sondern sind Geschöpfe des Wassers, die Regen
       und Fruchtbarkeit bringen. Eine chinesische Legende besagt, dass es vier
       Meeresdrachen waren, die sich in die vier großen Flüsse des Landes
       verwandelten, um die Menschen von der Dürre zu befreien. Und in Indonesien
       beschützt eine weibliche Drachin während der Ernte die Felder vor Mäusen.
       
       Was all die Ambivalenz für das Jahr des Drachen bedeutet, das an diesem
       Samstag beginnt?
       
       Das Schönste an Mythen ist ja, dass man sich aussuchen kann, welche einem
       am besten gefällt. Warum also nicht auf ein gutes Drachenjahr hoffen, in
       dem Schutz erhält, wer ihn benötigt (Geflüchtete, Klima, Demokratie), und
       sich fürchten muss, wer es verdient (Faschos, [3][Superreiche])? Und es
       muss ja nicht beim Hoffen bleiben. Selbst ist der Drache – und der Mensch
       schließlich auch.
       
       10 Feb 2024
       
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