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       # taz.de -- Die Wahrheit: Wenn Torben weint
       
       > Spielplätze oder Parkplätze? Eine große Frage spaltet die kleine Welt von
       > Berlin zwischen Sandschaufel und SUV. Verkehrte Verkehrswelt.
       
   IMG Bild: Kinder, Kinder! Kaum Platz für den SUV in Berlin
       
       Fassungslos steht Peter Falkenstein vor dem Bauzaun, der den Spielplatz
       absperrt. Schaukel, Sandkasten, Klettergerüst aus buntem Holz mit Rutsche,
       eine kleine Seilbahn – alles gammelt unbenutzt und traurig in der Gegend
       herum. Keine lachenden Kinderstimmen schallen über den Platz, keine
       herzergreifenden Schreie spielender Sprösslinge.
       
       „Es ist so traurig“, sagt Falkenstein. Eine Träne kullert über die Wange
       des 33-jährigen Einzelhandelskaufmanns und Vaters eines fünfjährigen
       Jungen. Der Kleine zieht an seiner Hand. „Papa, wann machen die den
       Spielplatz auf?“, fragt er mit heller, weher Stimme. „Weiß nicht“, sagt
       Papa Falkenstein und fügt leise murmelnd hinzu: „Hoffentlich nie.“
       
       Die Eröffnung des Spielplatzes hier am Julius-Möller-Platz im Berliner
       Bezirk Neukölln war für Anfang des Monats angekündigt, wurde aber wieder
       und wieder verschoben. „Das war mal so ein schöner großer Parkplatz hier“,
       sagt Falkenstein, „ich weiß gar nicht, wo ich jetzt mit meinem kleinen
       Timmi hin soll.“
       
       „Papa“, fragt der Junge und zieht fester an der Hand seines Vaters, „können
       wir auf einen anderen Spielplatz?“
       
       ## Timmi ohne Platz
       
       „Ach, Torben“, antwortet Falkenstein. „Der nächste Spielplatz ist ganz weit
       weg, da können wir nur mit Timmi hinfahren, und den musste ich ganz da
       hinten parken, weil es den Parkplatz hier nicht mehr gibt. Bis wir jetzt zu
       Timmi gelaufen sind und zum Spielplatz gefahren, das dauert doch mindestens
       15 Minuten. Und an dem anderen Spielplatz gibt es auch keine
       Parkmöglichkeiten.“
       
       „Aber Papa …“ – „Nein, wir gehen jetzt nach Hause. Da kannst du Videos
       kucken.“ – „Aber Papa …“ – „Da kannst du dich bei diesen Politikern
       bedanken.“
       
       Traurig und auch ein bisschen verärgert gehen sie nach Hause, schauen aber
       noch kurz bei Timmi vorbei. Falkenstein streichelt seinem zwei Jahre alten
       SUV, der weit weg vom jetzigen Spielplatz steht, über die Motorhaube.
       
       „Das ganze fing vor anderthalb Jahren an“, berichtet Peter F., „wir hatten
       Timmi ganz neu.“ Wir sitzen in der Küche, Torben schaut Youtube auf dem
       großen Plasmabildschirm im Wohnzimmer. „Da haben sie diesen Bauzaun rund um
       unseren schönen Parkplatz hingestellt und den Boden aufgerissen. Und den
       ganzen …“, Falkenstein muss schlucken, „… den ganzen Parkplatz weggemacht
       und einen Spielplatz draufgestellt. Autos aus dem ganzen Kiez haben früher
       hier gemeinsam geparkt, gleichberechtigt nebeneinander, egal, welche
       Marke, welche Lackierung, ja selbst welcher Motor, ob Diesel oder E-Auto,
       ganz gleich.“
       
       Diese Auto-Community ist jetzt in alle Winde zerstreut. Die Pkw parken in
       den umliegenden Nebenstraßen, wo der Platz allerdings äußerst knapp ist.
       Peter Falkenstein muss nach der Arbeit manchmal stundenlang durch die
       Straßen cruisen, bis er endlich einen freien Platz für seinen Timmi
       gefunden hat. Oft läuft er dann noch lange zurück nach Hause. Manchmal muss
       er sogar den Bus oder die U-Bahn nehmen und zwei oder drei Stationen
       fahren, bis er daheim ist.
       
       ## Platz ohne Auto
       
       „Manchmal überlege ich, morgens gar nicht loszufahren – aus Angst, abends
       keinen Parkplatz mehr zu finden“, berichtet er. „Einige Fahrzeughalter
       sollen ihre Autos sogar ganz abgeschafft haben, hört man“, sagt
       Falkenstein. „Die fahren jetzt mit dem Fahrrad oder einem der überall auf
       den Fußwegen herumliegenden E-Scooter.“
       
       Unter Experten ist es umstritten, Parkplätze in kleine Parkanlagen oder
       Spielplätze umzuwandeln. „Der Trend geht aktuell zum Indoorspielplatz“,
       sagt Erwin Steinke, der 69-Jährige ist Professor für Urbanistik an der
       Thurn-und-Taxis-Universität in Nürnberg.
       
       „So ein Spielplatz draußen an der frischen Stadtluft, der wird ja also rein
       von der Zeit nur ganz wenig genutzt. Wochentags nur nach der Schule, also
       ab frühestens 14 Uhr, bis es dunkel wird. Vormittags verirrt sich
       vielleicht mal die eine oder andere Kindergartengruppe dorthin oder ein
       paar Schulschwänzer hängen da rum. Ganztags werden Spielplätze nur am
       Wochenende gebraucht, und auch nur, wenn das Wetter einigermaßen danach
       ist. Ansonsten steht so ein Spielplatz leer.
       
       Nachts ist auch niemand da. Es sei denn Rauschgiftsüchtige. Allerhöchstens
       ein Viertel der Zeit wird so ein Spielplatz genutzt, den Rest des Tages
       steht er leer und nimmt Platz weg – wertvollen Parkplatz. Der hingegen wird
       rund um die Uhr gebraucht. Geparkt wird immer.“
       
       „Da hat der Herr Professor völlig recht“, sagt Jungvater Peter Falkenstein,
       als wir ihm von dem Gespräch erzählen. „Kinder sind ja auch unsere Zukunft.
       Aber wo sollen unsere Kinder später parken, wenn sie groß sind, wenn wir
       jetzt die ganzen Parkplätze zu Grünanlagen machen?“
       
       Vielleicht muss Torben später einmal mit dem Fahrrad fahren. Oder gar dem
       Bus. Peter Falkenstein jedenfalls versteht die Welt nicht mehr.
       
       13 Feb 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael-André Werner
       
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