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       # taz.de -- Neue Alben von Oum Shatt und Kara Delik: Spiel, Saz und viel Ennui
       
       > Berliner Bands mit Weltgeltung: Die Alben „Opt Out“ von Oum Shatt und
       > „All the Singularities I–IV“ von Kara Delik mischen psychedelischen Pop
       > auf.
       
   IMG Bild: Gleich gehen sie in die Luft: Oum Shatt
       
       Der Begriff „Opt-out“ stammt aus der Werbewelt des Marketing, er
       beschreibt, dass man aktiv widersprechen muss, um nicht von unliebsamen
       Newslettern und dergleichen Spammails behelligt zu werden. Leider gibt es
       übergriffige Vereinnahmungen nicht nur dort, wo jemand etwas verkaufen
       will. Auch in kulturellen und politischen Gefilden wird schneller
       eingemeindet, als unsereiner lieb sein kann.
       
       Dem Dagegenhalten hat die [1][deutsche Indieband Oum Shatt] nun ein ganzes
       Album gewidmet. Auf ihrem zweiten, konzepthaften Langspieler „Opt Out“
       stellt das Berliner Quartett einen Reigen von Figuren vor, die sich in
       Opposition zu Erwartungen begeben – nicht nur zu gesellschaftlich
       tradierten, sondern auch ersehnten Grenzüberschreitungen, die vermeintlich
       oder tatsächlich progressiv sind.
       
       So entzieht sich im leichtfüßig flirrenden Song „The Artist Arrives“ der
       titelgebende Künstler den Projektionen seiner Fans, die ihn gerne als
       „critical, progressive, analytical“ Type lobpreisen würden, wenn er sich
       zumindest dieses eine Mal – „at least this time“ – auf ihre Seite schlüge.
       
       ## Gott will nicht liefern
       
       So wie auch der mit Eigensinn gesegnete Musiker, der im schleppend und
       zugleich lasziv rhythmisierten „Kid Went Awry“ seinen Gönnern die kalte
       Schulter zeigt. Ja, sogar Gott höchstpersönlich will nicht liefern: Im
       wunderbar verstolperten „Play!“ fordert der behauptete Sinnstifter und
       Weltenlenker die Menschen zum Spielen auf.
       
       „You Know That Things Are Meaningless / But That Doesn’t Mean A Thing“ –
       heißt es da mit gepflegtem Ennui. Die Frage, die Sänger, Gitarrist und
       Bandkomponist Jonas Poppe (vormals in elektronischen Popgefilden als
       Kissogram unterwegs) unlängst im Radio gestellt wurde – nämlich, ob er denn
       auch durch Klänge ein „Opt Out“-Szenario anstrebe – beantwortete dieser
       dahingehend, dass das bei Popmusik immer schwerer werde.
       
       Zu ausdifferenziert seien die Genres inzwischen. Doch natürlich könne man
       sich immer noch gegen schablonenhafte Songs und für die Kontroverse
       entscheiden, indem man etwa Sounds in einen neuen Kontext setzt. Und das
       tun Oum Shatt mit Leidenschaft, etwa wenn sie Surfgitarren mit arabischen
       Harmonien verschmelzen. Dazwischen tauchen immer wieder große Popmomente
       auf, irgendwo zwischen schmachtend und cool. Das Ergebnis klingt allerdings
       nicht unbedingt kontrovers, eher groovy und ziemlich zugänglich.
       
       ## Öde Debattenkultur
       
       Die Band dockt damit an die Klangwelten ihres Debütalbums „Oum Shatt“
       (2016) an – und schickt zugleich nonchalant ein sympathisches „Fuck You“ in
       Richtung der so frucht- wie freudlosen Debatten um kulturelle Aneignung.
       
       Ebenfalls toller Eklektizismus im orientalischen Soundgewand gelingt
       [2][dem internationalen Trio Kara Delik], auch sie in Berlin zu Hause.
       Barış Öner (Istanbul Ghetto Club) an der Saz, Bassist und Synthie-Mann Andi
       Sommer (Henry Fonda, Yacht Communism) und die australische Schlagzeugerin
       Eilis Frawley (Anika, Laura Lee & The Jettes) fanden vor Jahren über ihre
       gemeinsame Leidenschaft für „Krautrock und ungerade Takte“ zusammen.
       
       2022 erschien ihre Debüt-EP „Tamam“, seither haben sich die drei mit
       energetischen Liveshows eine so loyale wie vielfältige Fanbase erspielt.
       Zwischen nervösem Postpunk und Anadolu-Rock-Spezereien,
       Spoken-Word-Passagen auf Englisch und Türkisch und der bisweilen fast
       progrockig von Öner in Szene gesetzten Langhalslaute stehen immer wieder
       entschleunigte Momente in Dub: Gleich der Auftaktsong „Strange Attractor“
       gibt einen Vorgeschmack auf den wilden Ritt, zu dem diese Band lädt.
       
       Faszinierend, wie unterschiedlichste Einflüsse zwischen Shoegaze und
       folkloristischen Momenten über 13 Tracks zum geschmeidigen Ganzen
       verschmelzen. Die Release-Konzerte der vier weiteren EPs, die vergangenes
       Jahr erschienen, wurden frenetisch gefeiert. Alle Songs sind nun gebündelt
       auch als Album „All the Singularities (I –IV)“ veröffentlicht – und
       steigern die Vorfreude auf das „richtige“, für Ende 2024 geplante
       Debütalbum.
       
       2 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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