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       # taz.de -- Wut der Geiselangehörigen: „Sie sind es, die Angst haben“
       
       > Ein Deal für eine Freilassung der Hamas-Geiseln lässt auf sich warten.
       > Gleichzeitig wächst bei den Angehörigen die Kritik gegen Israels
       > Regierung.
       
   IMG Bild: Seit nunmehr fast fünf Monaten vermisst: Fotowand in Tel Aviv mit von der Hamas verschleppten Menschen
       
       Tel Aviv taz | Auf einem großen Bildschirm auf dem Tel Aviver „Platz der
       Geiseln“ zählt eine Stoppuhr die Tage und Stunden seit dem Terrorangriff
       der Hamas am 7. Oktober 2023. Am Samstagabend steht sie kurz davor, auf
       „120 Tage“ zu springen. Während die Verhandlungen zwischen der
       palästinensischen Terrororganisation und der israelischen Regierung nur zäh
       vorankommen, ist der Unmut unter [1][den Angehörigen der mehr als 130 noch
       in Gaza festgehaltenen Geiseln] inzwischen groß.
       
       „Die Regierung sagt, wir müssen die Hamas und Jahia Sinwar (deren Anführer,
       Anm. d. R.) weiter unter Druck setzen, damit sie den Bedingungen
       zustimmen“, ruft Ronen Manelis, ein Brigadegeneral der Reserve und
       ehemaliger Sprecher der israelischen Armee, den Tausenden Menschen zu, die
       zur wöchentlichen Mahnwache gekommen sind. „Dabei sind sie es, die Angst
       vor einer Kampfpause haben, weil sie fürchten, dass dann Kritik und
       Ermittlungen aufkommen könnten.“
       
       Derart politische Töne sind neu auf dem Vorplatz des Tel Aviver
       Kunstmuseums. Bisher hatte sich das Forum der Geiselfamilien, das sich als
       Unterstützungsgruppe bereits kurz nach dem Überfall formiert hatte,
       politisch zurückgehalten. Doch seit dem letzten Waffenstillstand Ende
       November [2][wurde keine weitere Geisel mehr befreit]. Die Armee konnte
       trotz ihrer massiven Offensive bisher nur Leichen bergen. „Die Zeit läuft
       ab“, steht auf dem Schild einer Teilnehmerin.
       
       Zahlreichen Medienberichten zufolge liegt seit vergangenem Wochenende ein
       Vorschlag für ein Rahmenabkommen zwischen der Hamas und Israel vor. Es soll
       in mehreren Phasen die [3][Befreiung der Geiseln] sowie im Gegenzug eine
       wochenlange Kampfpause und die Freilassung einer bisher unbekannten Zahl an
       palästinensischen Gefangenen beinhalten. Doch eine Einigung wurde bisher
       nicht verkündet. Immerhin gibt es vorsichtige Signale dafür: Israels
       Kriegskabinett wollte am Sonntagabend zu einem Treffen zusammenkommen.
       
       In Israel haben die Verhandlungen zu heftigem Streit geführt.
       Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte deutlich gemacht, dass eine
       Freilassung von Tausenden palästinensischen Gefangenen und ein Ende des
       Krieges nicht infrage komme. Der rechtsextreme Minister für nationale
       Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, hatte eine wochenlange Kampfpause und die
       Freilassung von Gefangenen als „rücksichtslos“ bezeichnet und gar mit einem
       Rückzug aus der Regierung gedroht.
       
       ## Nicht alle einig, wie Israel weiter agieren sollte
       
       „Rücksichtslos“, so bezeichnet Carmit Palti-Katzir am Samstag auf dem
       „Platz der Geiseln“ einen Deal, der israelische Bürger in Gaza zurücklasse.
       Ihr Bruder Elad war am 7. Oktober aus dem Kibbuz Nir Oz entführt worden.
       Doch auch unter den Angehörigen sind sich nicht alle einig, wie Israel
       weiter agieren sollte. „Die Armee müsste härter vorgehen und keine
       humanitäre Hilfe nach Gaza lassen, bis die Geiseln zurück sind“, sagt
       Schmuel, einer der Besucher der Mahnwache in Tel Aviv.
       
       Eine kleinere Gruppe von Angehörigen, das Tikva-Forum (Hebräisch für
       „Hoffnung“), setzt sich gegen Zugeständnisse an die Hamas ein. Die
       Mitglieder stammen laut der Times of Israel vor allem aus dem
       national-religiösen Umfeld. In den vergangenen Wochen versuchten sie
       mehrfach, humanitäre Hilfslieferungen nach Gaza am Grenzübergang Kerem
       Schalom oder am Hafen von Aschdod zu blockieren.
       
       Nachzulassen scheint das militärische Vorgehen im Gazastreifen trotz der
       Verhandlungen indes nicht. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten
       Gesundheitsbehörde wurden in der Nacht auf Sonntag in Gaza binnen 24
       Stunden 127 Menschen getötet und 178 verletzt. Die Angaben lassen sich
       nicht unabhängig überprüfen. Israels Verteidigungsminister Joaw Galant
       hatte unlängst angekündigt, die Armee werde Rafah an der Südgrenze des
       Gazastreifens erreichen und „jeden Terroristen eliminieren“.
       
       In der Grenzstadt zu Ägypten drängen sich mehr als eine Million Vertriebene
       zusätzlich zu den 250.000 Vorkriegsbewohnern zusammen. Viele von ihnen sind
       bereits zum zweiten oder dritten Mal binnen weniger Monate geflohen.
       Zwischen den Gebäuden erstreckt sich ein Meer von Zelten und Verschlägen.
       Stockende Hilfslieferungen, Hunger und sich ausbreitende Krankheiten würden
       Rafah zu einem „Druckkochtopf der Verzweiflung“ machen, sagte jüngst Jens
       Laerke, Sprecher der UN-Nothilfebüros OCHA.
       
       4 Feb 2024
       
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