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       # taz.de -- Bombardierung des Gazastreifens: Was passiert in Rafah?
       
       > Bereitet Israels Armee eine Bodenoffensive vor? Könnte der Internationale
       > Gerichtshof das verhindern? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
       
   IMG Bild: Nach israelischen Bombardierungen verlassen Menschen die Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen
       
       Steht eine Großoffensive auf Rafah bevor? 
       
       [1][Immer] [2][wieder] hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in den
       vergangenen Tagen eine Offensive auf die Stadt Rafah im Süden des
       Gazastreifens angekündigt. „Militärischer Druck und harte Verhandlungen“
       seien der Schlüssel zur Freilassung der noch immer mehr als einhundert
       Geiseln aus der Gewalt der Hamas, betonte er auch nach der Befreiung von
       zwei israelischen Zivilisten durch ein Sondereinsatzkommando. Wann und ob
       eine Bodenoffensive kommt, ist schwer abzusehen.
       
       Der Analyst Anshel Pfeffer von der israelischen Tageszeitung Haaretz sieht
       kaum Anzeichen, dass eine Offensive direkt bevorsteht. Die Truppenpräsenz
       in Gaza sei aktuell auf dem niedrigsten Stand seit drei Monaten. Viele der
       einberufenen Reservisten seien wieder entlassen. Der Großteil der
       Kampfeinheiten in Gaza sei durch Kämpfe in Chan Junis gebunden. Auch
       Aufforderungen an die Zivilbevölkerung durch Flugblätter oder SMS, Rafah zu
       verlassen, gebe es bisher nicht.
       
       Miri Eisin, Ex-Offizierin der israelischen Armee und Geheimdienstexpertin,
       sieht das anders: „Der Angriff muss nicht dem gleichen Ablauf folgen wie
       die Operationen in Gaza-Stadt oder Chan Junis.“ Sie ist sicher, dass die
       Angriffspläne ausgearbeitet sind und Einheiten für die Mission trainieren.
       „Die Frage ist, wann die Regierung die Entscheidung trifft, den Plan
       umzusetzen.“
       
       Wohin sollen die Menschen fliehen? 
       
       Vor einer Offensive sollen Netanjahu zufolge alle Zivilisten Rafah
       verlassen können. Doch anders als vor den Offensiven auf Gaza-Stadt oder
       Chan Junis gibt es kaum noch Ausweichorte.
       
       Rafah grenzt im Süden an Ägypten, das eine Flucht von Palästinensern auf
       sein Staatsgebiet entschieden ablehnt. Laut einem Bericht des Wall Street
       Journal soll es dennoch mit dem Bau eines ummauerten Auffanglagers auf der
       Sinai-Halbinsel begonnen haben.
       
       Die israelische Regierung hat auf „geräumte Gebiete nördlich von Rafah“ als
       Zufluchtsort verwiesen und Zeltlager vorgeschlagen. Offen ist aber unter
       anderem, wie Hunderttausende Menschen auf den Brachflächen zwischen zwei
       Kampfgebieten versorgt werden sollen. Das UN-Nothilfebüro Ocha hat eine
       Beteiligung an Zwangsevakuierungen ausgeschlossen.
       
       Kann ein Deal eine Bodenoffensive abwenden? 
       
       Im Laufe dieser Woche [3][trafen sich Vermittler aus Katar und Ägypten
       sowie Vertreter Israels, der Hamas und der USA in Kairo.] Doch die
       Verhandlungen kommen angesichts der Bedingungen beider Seiten nur
       schleppend voran. Am vergangenen Mittwoch sagte Netanjahu die weitere
       Teilnahme der israelischen Delegation ab und warf der Hamas „wahnhafte
       Forderungen“ vor. Allerdings habe er seine Entscheidung ohne Abstimmung mit
       dem Kriegskabinett und entgegen den Empfehlungen des Geheimdienstes
       getroffen, hieß es in israelischen Medien. Empört reagierten Angehörige der
       Geiseln. Sie warfen Netanjahu vor, die Entführten zu „opfern“.
       
       Hinter Netanjahus Entscheidung steckt politisches Kalkül: Die Mehrheit der
       Israelis ist nicht bereit, den Krieg zu diesem Punkt zu beenden. Netanjahu
       adressiert mit seinem Taktieren um eine Teilnahme an Verhandlungen und mit
       seinen Ankündigungen zu Rafah auch an seine potenzielle Wählerschaft sowie
       seine rechtsextremen Koalitionspartner, die ihn unter Druck setzen. Seine
       Likud-Partei würde aktuellen Umfragen zufolge die Hälfte ihrer Sitze
       verlieren.
       
       Politikwissenschaftlerin Gayil Talshir von der Hebräischen Universität in
       Jerusalem sieht die Geiselverhandlungen als Zerreißprobe für den Likud.
       „Wir sehen bisher keine Bewegung weg von Netanjahu, weil seine Gegner in
       der Partei gespalten sind“, sagt sie. Doch eine weitere Ablehnung eines
       Geiseldeals könne Unzufriedenheit in der Partei schüren und
       Herausforderer vereinen.
       
       Kann der Internationale Gerichtshof etwas bewirken? 
       
       Südafrika hat [4][nach seiner Klage wegen Völkermords] in Gaza im Januar
       angesichts des drohenden Angriffs auf Rafah nun erneut den Internationalen
       Gerichtshof (IGH) angerufen. Per Eilantrag soll er die angekündigte
       Militäroperation prüfen. „Der Antrag gibt dem Gericht die Möglichkeit,
       seinen Anordnungen vom 26. Januar nun stärkere Maßnahmen folgen zu lassen“,
       sagt Ahmed Abofoul, Experte für Internationales Recht bei der
       Menschenrechtsorganisation Al-Haq.
       
       Der IGH hatte im Januar die Klage Südafrikas wegen des Verdachts auf
       Völkermord angenommen, ohne in der Sache ein Urteil zu fällen, und Israel
       sechs einstweilige Maßnahmen auferlegt. Die Vorgaben sind indirekt auch für
       das weitere Vorgehen in Rafah relevant, da die Richter Israel zu
       [5][besonderen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung] verpflichtet
       haben. Unter anderem muss es Tod und Zerstörung eindämmen, Aufrufe zu
       Völkermord, etwa von seinen Soldaten, verfolgen und bestrafen und eine
       ausreichende humanitäre Versorgung der Menschen in Gaza garantieren.
       
       Möglich sei nun eine Feststellung des IGH, dass konkret ein Angriff auf
       Rafah ein Verstoß gegen die Maßnahmen wäre. „Vorstellbar ist auch, dass das
       Gericht Israel zur Teilnahme an Verhandlungen mit der Hamas verpflichtet
       oder dazu aufruft, Beobachter- und Untersuchungsmissionen in den
       Gazastreifen zu lassen, eine Maßnahme, auf die es im Januar verzichtet
       hat“, sagt Abofoul.
       
       Ob Israel den bisherigen Auflagen des IGH nachgekommen ist, bezweifelt
       Yuval Shany, Professor für Internationales Recht an der Hebräischen
       Universität in Jerusalem. „Die israelische Regierung sieht sich zwar zu
       humanitärer Hilfe verpflichtet, wir beobachten aber einzelne Minister, die
       andere Aussagen treffen oder diese Haltung untergraben.“
       
       Finanzminister Smotrich hatte am Dienstag bestätigt, Mehllieferungen nach
       Gaza im Hafen von Aschdod zu blockieren. „Angesichts der Zustände im Norden
       des Gazastreifens könnte das den IGH-Vorgaben zuwiderlaufen.“ Mit Blick auf
       Rafah sagt Shani: Eine Vertreibung von 1,5 Millionen Menschen aus Rafah
       in Gebiete ohne jede Infrastruktur würde die Bereitstellung der nötigen
       humanitären Hilfe massiv erschweren.
       
       Wie verhält sich die internationale Gemeinschaft? 
       
       Die Liste der Länder, die von Israel eine Absage der Bodenoffensive auf
       Rafah fordern, wird zunehmend länger. Auf ihr finden sich auch Verbündete
       wie die Vereinigten Staaten, Deutschland, Großbritannien, Frankreich,
       Kanada, Australien und Neuseeland. Ein niederländisches Gericht
       verpflichtete die Regierung in dieser Woche sogar, alle Lieferungen von
       Bauteilen für F-35-Kampfjets nach Israel einzustellen. Die Außenminister
       Spaniens und Italiens hatten bereits im Januar angekündigt, keine Waffen
       mehr an Israel zu verkaufen.
       
       Israels wichtigste Waffenlieferanten dagegen, die USA und Deutschland,
       haben bisher keine derartigen Schritte erwogen. Im Gegenteil: Die deutschen
       Rüstungsexporte nach Israel stiegen 2023 massiv an. Der israelische
       Botschafter in den USA sagte dem israelischen Armeeradio kürzlich: „Die
       US-Regierung hat Fragen bezüglich der humanitären Seite des Kriegs, doch
       ich sehe keine US-Haltung, die darauf abzielt, uns zu stoppen.“
       
       Hoffnungen für weitere Gespräche liegen nun auch auf der Münchner
       Sicherheitskonferenz an diesem Wochenende. Neben Vertretern Israels und
       der Palästinenser werden dort auch führende Politiker aller im
       Nahostkonflikt relevanten Länder erwartet, darunter die Außenminister
       Saudi-Arabiens, Ägyptens, Katars, Jordaniens, der USA und Israels. „Wir
       haben alle Akteure hier“, sagte der Vorsitzende der Sicherheitskonferenz,
       Christoph Heusgen, im Deutschlandfunk. Auf sie käme es jetzt an.
       
       16 Feb 2024
       
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