# taz.de -- Partei als Feindbild: Sind die Grünen giftig?
> Viele erklären die Ökopartei derzeit zum Hauptfeind. Dabei ist sie doch
> die einzige, die auf das Ende der „Normalität“ ernsthaft reagieren will.
IMG Bild: Als sie noch jünger waren: Winfried Kretschmann und Robert Habeck, 2012
„Die Macht werden sie nie erringen“, schrieb der Schriftsteller Jörg Fauser
1984 in einer grandiosen TransAtlantik-Story über die neu gegründeten und
ziemlich bescheuerten Grünen. Wenn es ihnen aber gelänge, „Risse in die
Betonmauern der Macht zu hämmern“, dann hätten sie ihren Platz gefunden.
Das entsprach noch viele Jahre dem Existenzialismusgefühl jener, die
„alternativ“ sein wollten, im Glauben, sie könnten am Rand eines schlimmen
„Systems“ – A14 aufwärts besoldet – ein gesellschafts- und staatskritisches
Leben führen.
Aber manche Menschheitsbewegungen werden halt für ein Ziel gegründet, das
sie noch gar nicht kennen können, weil es zu weit in der Zukunft liegt.
Wenn die Zeit dann sichtbar eine andere geworden ist, geht es darum,
Verantwortung für das zu übernehmen, was jetzt ist und was ansteht. Deshalb
war es konsequent, dass Winfried Kretschmann und dann bundespolitisch
Robert Habeck die Grünen programmatisch und kulturell in das Zentrum der
Gesellschaft und der politischen Macht geführt haben.
Dort allerdings scheinen die Grünen im Moment ziemlich allein zu sein. Das
Problem der Grünen besteht jedoch nicht darin, dass ihnen die Wähler
davonlaufen, sondern in den beiden anderen an der Bundesregierung
beteiligten Parteien. Die FDP wird von Christian Lindners Kette politischer
Fehler zurückgeworfen, die SPD ist seit Jahren in einem existenziellen
Niedergang. Der aktuelle Trick 17 des [1][politischen und medialen
Diskurses] besteht darin, dass man beiden einzureden versucht,
beziehungsweise die sich einreden, dass ihr Problem nicht sie selbst
seien, sondern die Grünen.
Die oppositionelle Union tut gar so, als seien die Grünen ein nationales
Unglück und an allem schuld, was CDU und CSU in den letzten Jahrzehnten in
Regierungsverantwortung gemacht oder eben nicht gemacht haben. Besonders
bemühte Strategen legen noch eins drauf, indem sie behaupten, eine
Koalition mit den Grünen würde Unionswähler scharenweise zur AfD treiben.
Das ist der zentrale Spin derzeit: Die Grünen sind giftig, wer sich mit
ihnen einlässt, verliert.
Demokraten, Bürger: Die Grünen sind bei allen Dysfunktionalitäten – von der
unpolitischen Jugendorganisation bis zur sich selbst genügenden Fraktion –
die einzige Partei, die auf das Ende der „Normalität“, also des Lebens, wie
wir es kannten, politisch reagieren will. Sie ist die zentrale politische
Kraft der gemäßigt progressiven Leute, die den Staat und seine Verfassung
schützen und seine Wirtschaft postfossil und damit zukunftstauglich machen
wollen.
Das sind Leute, die dafür selbstverständlich bereit sind, Kompromisse mit
allen anders tickenden Demokraten zu schließen. Wenn manche von denen jetzt
so tun, als seien die Grünen alles Irre, dann ist das der Versuch, der
Veränderungsnotwendigkeit auszuweichen. Es ist auch ein völlig
unakzeptabler Affront gegen ihre Wähler, also hart arbeitende Leute, die
das Land, seine Wirtschaft und den Sozialstaat mit am Laufen halten.
Es ist vor allem – siehe Schlüttsiel und zuletzt am Aschermittwoch in
[2][Biberach] und [3][Schorndorf] – ein gefährlicher Spin, der die
Zivilität dieser Gesellschaft erodiert, die notwendigen Kompromisse für
eine gemeinsame Zukunft desavouiert und damit letztlich nur den
Demokratiefeinden nützt.
Es gibt darauf aber nur eine Antwort: Gegen die Wut auf den Zeitenbruch
verbindliche und klare Argumente setzen, um mehr Leute dafür zu gewinnen.
Gegenwut hilft sicher nicht, nett sein auch nicht. Aber wir müssen jetzt
die Risse in der Gesellschaft kitten, nicht weiter aufreißen.
20 Feb 2024
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## AUTOREN
DIR Peter Unfried
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