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       # taz.de -- Neustart der Linken: Was bleibt, ist der Streit
       
       > Die Linke-Gruppe im Bundestag hat ihre neue Doppelspitze gewählt. Auch
       > nach dem Abgang von Sahra Wagenknecht sind die Gräben in der Partei tief.
       
   IMG Bild: Von links nach rechts: Heidi Reichinnek, Martin Schirdewan, Janine Wissler und Sören Pellmann auf einer Pressekonferenz am Montag
       
       BERLIN taz | Die neuen Vorsitzenden geben sich selbstbewusst. „Wir ziehen
       an einem Strang“, betont Heidi Reichinnek am Dienstag vor Journalisten im
       Gebäude des Neuen Deutschlands in Berlin, und Sören Pellmann zählt die
       Themen auf, mit denen seine Partei Profil zeigen will: Rente, sachgrundlose
       Befristungen, der allgemeine Rechtsruck. Bei den drei ostdeutschen
       Landtagswahlen in diesem Jahr wird sich die Linke damit gegen das
       „Konkurrenzprojekt“ (Pellmann) ihrer ehemaligen Parteifreundin Sahra
       Wagenknecht behaupten müssen, [1][die auf ähnliche Themen setzt]. „Wir sind
       die Stimme des Ostens und bleiben das auch“, markiert Heidi Reichinnek den
       Anspruch. „Der Osten ist die Herzkammer der Partei“, ergänzt Pellmann.
       
       Sören Pellmann und Heidi Reichinnek wurden am späten Montagabend zu den
       neuen Vorsitzenden der Linken-Abgeordnetengruppe im Bundestag gewählt. Bei
       einer Klausurtagung in Berlin setzten sich beide sehr knapp in zwei
       Kampfabstimmungen durch. Dass das kein Zeichen der Einigkeit ist, darauf
       gehen sie nur am Rande ein. „Wir müssen weiter daran arbeiten, dass diese
       Gruppe geeint bleibt“, sagt Pellmann. Es sei nun ihre „Aufgabe, die Hand
       auszustrecken“, sagt Heidi Reichinnek.
       
       Als Doppelspitze lösen die beiden [2][Dietmar Bartsch] als Linken-Chef im
       Bundestag ab. Der langjährige Fraktionschef zieht sich nach Jahrzehnten in
       hohen Parteiämtern – von der PDS bis zur Linkspartei – aus der ersten Reihe
       zurück. Reichinnek und Pellmann beschwören den Zusammenhalt. „Wir kriegen
       es nur gemeinsam hin“, sagte Pellmann. Er wolle Brücken bauen.
       
       Das wird nötig sein. Denn die knappe Wahl zeigt, dass die Gräben in der
       Fraktion auch nach dem Abgang der Gruppe um Sahra Wagenknecht weiterhin
       tief sind und das Misstrauen gegenüber der Parteispitze um Martin
       Schirdewan und Janine Wissler fortbesteht. Die beiden Parteivorsitzenden
       hatten auf eine einvernehmliche Lösung mit breiten Mehrheiten gehofft. Um
       die Bartsch-Nachfolge hatten sich auch die beiden Linken-Abgeordneten Clara
       Bünger und Ates Gürpinar beworben – beides waren ihre Favoriten. Gürpinar,
       Parteivize und seit Januar kommissarischer Bundesgeschäftsführer, zog sich
       im Laufe des Verfahrens am Montag zurück. Bünger unterlag in zwei
       Wahlgängen sowohl Reichinnek als auch Pellmann mit jeweils 13 zu 14
       Stimmen. Petra Pau nahm wegen einer Verletzung nicht an der Abstimmung
       teil. Zum Parlamentarischen Geschäftsführer wurde der Brandenburger
       Abgeordnete Christian Görke gewählt. Er war der einzige Kandidat und
       erhielt dennoch nur 16 Stimmen – bei 11 Gegenstimmen.
       
       ## Alte Konkurent*innen
       
       „Was wir heute hier hatten, war eine ehrliche Debatte“, sagte Schirdewan
       anschließend nüchtern. Nun wolle man sich auf das gemeinsame Ziel
       konzentrieren, nach der Bundestagswahl 2025 wieder ins Parlament
       einzuziehen. Wissler äußerte sich ähnlich. [3][Reichinnek und Pellmann
       waren bei der Wahl um den Parteivorsitz 2022 gemeinsam gegen Wissler und
       Schirdewan angetreten und unterlegen.] Dass sie jetzt wieder im Duo für den
       Vorsitz im Bundestag antraten, konnte man als Signal verstehen. Wissler
       selbst trat nicht als Kandidatin an – wohl aus Furcht, keine Mehrheit zu
       erhalten. Auch das lässt tief blicken.
       
       Seit der Abspaltung der Wagenknecht-Truppe sucht die Linkspartei nach einem
       Neuanfang zwischen den parteiinternen Strömungen. Deren Zwist hatte Partei
       wie Bundestagsfraktion lange gelähmt. In Umfragen steht die Linke
       bundesweit momentan nur bei 3 bis 4 Prozent, bei den letzten Landtagswahlen
       in Bayern und Hessen scheiterte sie an der 5-Prozent-Hürde. Im Bundestag
       verfügt die Linke jetzt noch über 28 Abgeordnete, darunter Gregor Gysi und
       Janine Wissler. Zehn ehemalige Mitglieder haben sich in der
       Wagenknecht-Gruppe zusammengeschlossen.
       
       Die Abstimmung hat noch einmal die Kluft zwischen Parteispitze und Teilen
       der Bundestagsgruppe offenbart. Dabei haben alle vier Kandidat*innen
       eines gemein: Sie sind außerhalb der Partei kaum bekannt. Sören Pellmann
       konnte zwar 2021 in Leipzig wieder ein Direktmandat ergattern – neben ihm
       gelang das nur Gregor Gysi und Gesine Lötzsch. Ihnen haben es die Linke und
       Sahra Wagenknecht zu verdanken, dass sie überhaupt im Bundestag sitzen,
       denn insgesamt errang die Linke nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen. Nur
       aufgrund der drei Direktmandate konnte sie 2021 in Fraktionsstärke in den
       Bundestag einziehen, [4][bevor sich die Fraktion im Dezember 2023 auflöste]
       und in zwei Gruppen aufspaltete.
       
       Pellmann ist nicht prominent, gehört aber zum Partei-Urgestein: Schon sein
       Vater – der Historiker Dietmar Pellmann – saß einst für die PDS im
       Sächsischen Landtag. Der Sohn studierte Jura und Behindertenpädagogik.
       Bevor er 2017 in den Bundestag einzog, war er Grundschullehrer, in der
       Linksfraktion zuletzt deren Ostbeauftragter. Der 47-jährige Pellmann gibt
       sich bürgernah und verschenkt an Parteiständen gerne mal Tomatenpflanzen
       oder Marmelade mit Früchten aus seinem Garten.
       
       Reichinnek gilt als Nachwuchshoffnung: die 35-Jährige stammt ursprünglich
       aus Sachsen-Anhalt, war aber jüngste Landesvorsitzende der Partei in
       Niedersachsen, bevor sie 2021 über die niedersächsische Landesliste in den
       Bundestag einzog. Sie hat Nahostwissenschaften studiert und in einer
       Einrichtung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete Deutsch
       unterrichtet. Im Bundestag kümmerte sie sich um die Kinder-, Jugend-,
       Familien- und Frauenpolitik.
       
       ## Wagenknecht möchte nichts kommentieren
       
       Nach der Wahl von Reichinnek und Pellmann brach auf dem Nachrichtendienst X
       (ehemals Twitter) Streit aus. Obwohl beide Vorsitzenden aus dem Osten des
       Landes stammen und als Pragmatiker gelten, lässt sich der Konflikt weder
       auf Ost gegen West noch auf „Bewegungslinke“ versus „Realpolitiker“
       reduzieren. Vielmehr zeigten sich viele enttäuscht darüber, dass kein
       Konsens erzielt werden konnte. [5][Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner
       bekannte]: „Auch ich fühle mich durch die neuen Gruppenvorsitzenden nicht
       repräsentiert“, dabei sei sie keine „Bewegungslinke“. [6][Die Leipziger
       Landtagsabgeordnete Jule Nagel schrieb]: „Ich finde, dass da vor allem
       Skills & Empathie fehlen für die Neujustierung der Partei, die in vollem
       Gange ist.“ Enttäuscht zeigte sich auch die unterlegene Abgeordnete Clara
       Bünger. „Dies wäre der Moment gewesen, Einigkeit herzustellen. Wir hatten
       hier die historische Chance, genau das zu tun“, sagte sie der taz. „Das
       Wahlergebnis ist jetzt sehr eindeutig und spricht leider für sich. Ich
       hätte mir das anders gewünscht.“ Sie werde als Juristin weiter Fachpolitik
       betreiben, insbesondere im Bereich Asyl.
       
       Am Nachmittag gab Sahra Wagenknecht ihr erstes Pressestatement ab, seit sie
       im Bundestag eine eigene Gruppe bildet. Sie kündigte an, im Bundestag einen
       Antrag einzubringen, den Mindestlohn auf 14 Euro zu erhöhen, und forderte
       SPD und Grüne dazu auf, sie zu unterstützen. In einem Rundumschlag forderte
       sie ein Wirtschaftsprogramm, „um zu verhindern, dass Deutschland absteigt“,
       sprach sich gegen Taurus-Lieferungen an die Ukraine und für die sofortige
       Freilassung von Julian Assange aus. Auf ihre ehemalige Partei ging sie auch
       auf Nachfrage nicht ein. „Die Linke muss ihre Probleme selbst lösen“, sagte
       sie. „Ich möchte das gar nicht kommentieren.“
       
       20 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Erster-Parteitag-BSW/!5988274
   DIR [2] /Dietmar-Bartsch/!5979685
   DIR [3] /Linkspartei-waehlt-neue-Fuehrungsspitze/!5863421
   DIR [4] /Linksfraktion-aufgeloest/!5974085
   DIR [5] https://twitter.com/MartinaRenner/status/1759667978793066563
   DIR [6] https://twitter.com/luna_le/status/1759688604224225731
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
   DIR Dinah Riese
       
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