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       # taz.de -- AfD-Verbot als Kapitulation: Es braucht die geistige Wende
       
       > Die AfD verbieten zu wollen, bedeutet, politisch vor ihr zu kapitulieren.
       > Nur durch gute Politik und klare Kommunikation kann sie besiegt werden.
       
   IMG Bild: Protestaktion in Berlin Anfang Februar gegen die AfD. Aber ist das die richtige Strategie gegen die Partei?
       
       Selbst die radikale französische Rechtspopulistin Marine Le Pen distanziert
       sich von der AfD. Zu schockierend waren die Veröffentlichungen über ein
       geheimes Treffen von Rechtsextremen und Vertretern der Partei, bei dem über
       die Deportation von Staatsbürgern diskutiert wurde.
       
       Seither gehen wöchentlich zehntausende Menschen auf die Straße, um für die
       offene Gesellschaft, Rechtsstaat und Demokratie zu demonstrieren. Denn die
       AfD bedroht all das. Immer mehr Menschen haben das erkannt und fordern
       harte Konsequenzen im Kampf gegen den Rechtsextremismus.
       
       Eine viel diskutierte Maßnahme ist es, die AfD als politische Partei zu
       verbieten. Was nach einer einfachen Lösung für ein großes Problem klingt,
       offenbart sich jedoch aus juristischer Perspektive als schwierig und aus
       politischer Perspektive als fragwürdig.
       
       Denn die Hürden für ein Parteiverbot sind sehr hoch – und das zu Recht.
       Parteien nehmen eine besondere, verfassungsrechtlich normierte Stellung im
       demokratischen Staat ein, ihr offener Meinungswettstreit ist elementar für
       die offene Gesellschaft.
       
       ## Rezept ohne Gelinggarantie
       
       Das Parteiverbot ist ein Instrument der wehrhaften Demokratie und soll eine
       Lösung für Fälle bieten, in denen eine Partei klar verfassungsfeindliche
       Bestrebungen verfolgt. In der Geschichte der Bundesrepublik kann man nur
       auf wenige Erfahrungen mit diesem Verfahren zurückgreifen. Zwei Mal wurde
       es erfolgreich durchgeführt (SRP 1952 und KPD 1956), zwei Mal erfolglos
       (NPD 2003 und 2017). Es besteht also ein realistisches Risiko, zu
       scheitern, wenn man diesen Weg beschreitet.
       
       Nach Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes sind Parteien, die nach ihren
       Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger die freiheitlich
       demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder beseitigen wollen,
       verfassungswidrig. Solche Parteien können vom Bundesverfassungsgericht
       verboten werden, wenn sie außerdem ein tatsächliches Potenzial zum Umsturz
       der bestehenden Ordnung haben. An Letzterem würde ein Verfahren gegen die
       AfD, anders als im Fall der NPD, wohl nicht scheitern.
       
       Doch ob die AfD als Bundespartei tatsächlich und belegbar eine Gefahr für
       die freiheitlich demokratische Grundordnung darstellt, ist sehr schwierig
       nachzuweisen. Anders als beispielsweise bei der NPD sind ihre Grundsatz-
       und Wahlprogramme geschickt formuliert. Die Verfassungsfeindlichkeit müsste
       beispielsweise anhand von Äußerungen hochrangiger Parteifunktionäre
       begründet werden. Ein solcher Nachweis erfordert eine gut recherchierte und
       umfassende Materialsammlung. Ob diese Belege dem Bundesverfassungsgericht
       schließlich ausreichen, um ein Verbot auszusprechen, ist dennoch fraglich.
       
       ## Verbot ist keine langfristige Lösung
       
       Auch aus politischer Perspektive sollte ein Verbot der AfD nicht als
       Königsweg gepriesen werden. Denn was nach hartem Durchgreifen klingt, ist
       ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Es wirkt, als ob viele Politiker zu dem
       Ergebnis gekommen sind, dass sie die AfD mit herkömmlichen Mitteln im
       politischen Wettstreit nicht mehr schlagen können. Doch selbst wenn ein
       Verbotsverfahren erfolgreich abgeschlossen werden könnte, böte dies keine
       langfristige Lösung. Zwar wäre die AfD als Organisation zerschlagen, das
       Denken in den Köpfen aber bliebe bestehen. Eine neue Parteigründung wäre
       nicht ausgeschlossen.
       
       Laut [1][Mitte-Studie] der Friedrich-Ebert-Stiftung weisen „nur“ acht
       Prozent der Bevölkerung tatsächlich extremistische Auffassungen auf. Die
       übrigen Sympathisanten der AfD sind enttäuscht, verunsichert oder wütend,
       haben aber die freiheitlich demokratische Grundordnung noch nicht
       abgeschrieben. Durch ein Verbot der Partei könnte man diese Leute
       verlieren. Zudem bestünde das Risiko, dass die AfD ihr Profil als
       angebliches Opfer des Establishments stärkt.
       
       ## Die AfD muss inhaltlich gestellt werden
       
       Wie also kann man der AfD und ihren Vertretern auf politischer Ebene
       begegnen? Was kann man ihrem Polarisieren, Radikalisieren und
       Desinformieren entgegenstellen? Wie so oft ist fehlende oder fehlgeleitete
       Kommunikation das Kernproblem. Schon frühere Bundesregierungen äußerten
       sich zu hochsensiblen Themen zu spät oder überließen die Kommunikation
       allein den Regierungssprechern. Das ermöglichte es der AfD, diese Themen
       frühzeitig mit destruktiven Narrativen zu besetzen. Olaf Scholz versuchte
       als Bundeskanzler zunächst, diesen Kurs fortzuführen, getreu der Annahme,
       Deutsche wollten von der Politik vor allem in Ruhe gelassen werden. Doch
       das war nie, wird nie und darf nie richtig sein.
       
       Demokratiefreunde müssen hart, aber konstruktiv streiten – über die beste
       Politik in unsicheren Zeiten. Natürlich gibt es in Deutschland wie in jedem
       anderen Land Herausforderungen, die bei vielen Menschen Ängste hervorrufen.
       Gerade deshalb ist es so wichtig, von Anfang an klar und transparent zu
       kommunizieren. Gleitet die Diskussion zu einem Thema einmal ins Irrationale
       ab, ist es kaum noch möglich, sie mit sachlichen Argumenten
       zurückzugewinnen. Wenn Politiker die Narrative und Framings der AfD
       übernehmen, legitimieren sie deren Positionen.
       
       Der AfD geht es nicht um kluge Lösungen, sondern um eine Schwächung der
       Demokratie. Davon müssen die AfD-Anhänger, die keine extremistischen
       Auffassungen haben, wieder überzeugt werden. Dies gelingt nicht durch ein
       Parteiverbot, sondern durch bessere politische Antworten. Nur wenn man die
       AfD inhaltlich stellt, kann sich in den Köpfen eine Wende vollziehen.
       
       Die Regierungen und Parlamente in Bund und Ländern müssen Lösungen
       präsentieren, die für die Bürgerinnen und Bürger verständlich und
       nachvollziehbar sind. Und die bislang schweigende Mehrheit der
       Demokratiefreunde muss noch sichtbarer werden, sich politisch engagieren,
       auf die Straße gehen und aufzeigen, was die Politik der AfD bedeuten würde.
       Denn langfristig ist die Demokratie nur so wehrhaft, wie es ihre
       Demokratinnen und Demokraten sind.
       
       22 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.fes.de/referat-demokratie-gesellschaft-und-innovation/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie-2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
       
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