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       # taz.de -- Nazi-Porträts auf Oldenburger Wandbild: Zu viel der Ehre
       
       > Ein Wandgemälde soll seit dem Herbst bedeutende Oldenburgerinnen
       > würdigen. Aber mindestens zwei der Frauen waren Nazis.
       
   IMG Bild: So könnte es aussehen, wenn auf dem Wandgemälde die Porträts von Emma Ritter, Edith Ruß (links) und Erna Schlüter übermalt werden
       
       Oldenburg taz | Die Geschichte von Frauen ist auch heute noch weitgehend
       unsichtbar. Ein Oldenburger Bündnis hat sich des Problems angenommen und
       ein 40 Meter breites Wandgemälde in Auftrag gegeben, das zehn bedeutende
       Oldenburgerinnen zeigt – eigentlich eine gute Idee. Sie sollen Vorbilder
       für Gleichberechtigung und Emanzipation sein. Das Projekt wurde von
       verschiedenen Unternehmen und Vereinen, der Stadt sowie der
       niedersächsischen Landtagspräsidentin Hanna Naber (SPD) finanziert. Das
       Problem: Mindestens zwei der Frauen waren Nazis.
       
       Neben Sara-Ruth Schumann, der ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen
       Gemeinde Oldenburg, sieht man unter der Autobahnbrücke im Stadtteil Wechloy
       die [1][Gesichter von Edith Ruß], Erna Schlüter und Emma Ritter.
       
       Ruß war zwischen 1943 und 1945 [2][Propagandistin für die Oldenburger
       NSDAP-Zeitung], rief zum Heldentod an der Front auf und war Verfechterin
       von „Volk und Vaterland“. Daneben war sie krasse Sexistin, was ihre Ehrung
       besonders skurril macht.
       
       Ruß ist Stifterin des städtischen Edith-Russ-Hauses, das bestens über die
       Vergangenheit seiner Namensgeberin Bescheid weiß. Schon vor fast 25 Jahren
       hat die Galerie eine Biografie herausgegeben, die Ruß’ Tätigkeit bei dem
       NS-Blatt thematisiert, aber einige Lücken aufweist. Auf der Internetseite
       des Edith-Russ-Hauses fehlte bislang jeder Hinweis auf Ruß’ NS-Karriere.
       Nach taz-Veröffentlichungen hat die Stadt ein unabhängiges [3][Gutachten zu
       Ruß’ Rolle im Nationalsozialismus angekündigt].
       
       ## Schlüter stand auf Goebbels' „Gottbegnadeten-Liste“
       
       Die Opernsängerin Schlüter sang zu Ehren Hitlers, Goebbels’ und der
       „Machtergreifung“, wurde von Hitler persönlich zur Kammersängerin ernannt
       und stand auf der „Gottbegnadeten-Liste“ des Propagandaministeriums. Ein
       Foyer im Oldenburgischen Staatsheater, eine Stiftung sowie ein Preis für
       Nachwuchssänger*innen tragen ihren Namen.
       
       Die Erna-Schlueter-Operngesellschaft, mit der das Staatstheater eng
       zusammenarbeitet, pflegt ihr Andenken. [4][Schlüters NS-Karriere ist seit
       Jahren bekannt]. Trotzdem verschweigen auch das Staatstheater und die
       Operngesellschaft auf ihren Internetseiten ihre Vergangenheit. Auf
       taz-Anfrage erklärt die Operngesellschaft, Schlüter sei „unpolitisch“
       gewesen.
       
       Die Künstlerin Emma Ritter ist umstritten. Sie durfte ihre Werke noch im
       Kriegsjahr 1942 ausstellen.
       
       Der [5][Präventionsrat Oldenburg] hat das Projekt koordiniert. Dessen
       Geschäftsführerin Melanie Blinzler erklärt: „Da fällt uns auf die Füße dass
       wir seit Langem zu wenig Frauenforschung haben. Unser Kenntnisstand schien
       uns ausreichend für die Aufnahme der Frauen in das Wandbild. Jetzt sehen
       wir, dass das nicht so ist. Wir werden uns um weitere Informationen kümmern
       und werden unsere Einordnung der Frauen prüfen.“ Landtagspräsidentin Naber
       begrüßt auf schriftliche Anfrage der taz die Auseinandersetzung mit den
       Biografien der Frauen, sagt aber auch, dass der Prozess Zeit brauche.
       
       ## Aktion geplant
       
       Auch die beauftragten Künstlerinnen erklären auf schriftliche Anfrage:
       „Hätten uns die heute bekannten Informationen vorgelegen, hätten wir den
       Auftrag in dieser Form abgelehnt.“ Sie setzen sich dafür ein, dass die
       betroffenen Porträts überstrichen werden.
       
       Der Verein Institut für Verknüpfung e. V. hat den Kontakt zu den
       Künstlerinnen hergestellt. Ein Mitglied des Vorstands sagt: „Ich bin
       entsetzt. Wenn diese Personen in dieser Funktion tätig waren, gehören sie
       an keine Wand in Oldenburg. Man muss das Wandbild ändern und diese Personen
       werden von dieser Wand verschwinden.“ Deshalb plane man zusammen mit den
       Künstlerinnen eine zeitnahe Aktion.
       
       Der Stadt sind die Nazis nicht aufgefallen, was beispielhaft für die
       Oldenburger Erinnerungskultur ist. Der [6][völkische Antisemit Bernhard
       Winter ist Ehrenbürger der Stadt], Nazi-Dichter August Hinrichs wird weiter
       geehrt und auf eine [7][Studie zu den Oldenburger Straßennamen] vor über
       zehn Jahren, die unter anderem SA- und SS-Männer, Wehrwirtschaftsführer,
       NS-Ärzte und KZ-Unternehmer benannte, gab es aus der Politik keine
       Reaktion.
       
       7 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Edith-Russ-Haus-in-Oldenburg/!5994105
   DIR [2] https://potzblitzchen.de/edith-russ-nazi-propagandistin/
   DIR [3] https://www.edith-russ-haus.de/ueber-uns/edith-russ-haus
   DIR [4] https://potzblitzchen.de/erna-schlueter-eine-unpolitische-nationalsozialistin/
   DIR [5] https://praeventionsrat-oldenburg.de/
   DIR [6] https://potzblitzchen.de/oldenburg-schweigt-zu-nazi-karriere-von-ehrenbuerger/
   DIR [7] https://www.oldenburg.de/startseite/kultur/kulturbuero/erinnerungs-und-gedenkkultur/strassennamen-debatte.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Aljoscha Hoepfner
       
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