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       # taz.de -- „The Zone of Interest“ in Voraufführung: Verstörende Rezeption
       
       > Der gefeierte Holocaustfilm „Zone of Interest“ zeigt, dass die Nazis ihre
       > Kinder liebten und trotzdem Massenmörder waren. Hatte daran jemand
       > Zweifel?
       
   IMG Bild: Sandra Hüller in ihrer Rolle als Ehefrau des Lagerkommandanten Rudolf Höß im Film „Zone of Interest“
       
       Noch vor dem offiziellen Filmstart kommende Woche wird [1][„Zone of
       Interest“] in einer Reihe kostenloser Veranstaltungen etwa der Gewerkschaft
       Erziehung und Wissenschaft in München oder der Friedrich-Naumann-Stiftung
       in Cottbus gezeigt. Auch ich habe das Angebot genutzt und mir im
       bayerischen Landtag den Film über das Leben der Familie Höß neben der Mauer
       des KZs Auschwitz angeschaut und bin erschüttert und verstört
       herausgekommen.
       
       Erschüttert war ich weder davon, was der Film, noch, wie er es erzählt.
       Dass die Nazis [2][ganz normale Familienmenschen] waren und dass die
       Organisation des millionenfachen Massenmords ein ganz normaler
       Nine-to-five-Job war, für den sie auch mal Überstunden machten, sind keine
       neuen Erkenntnisse. Auch nicht, dass sich die [3][Nazi-Ehefrauen] um die
       Pelzmäntel ihrer deportierten Nachbarn kloppten, die auf der anderen Seite
       des eigenen Gartenzauns ermordet wurden.
       
       Verstört bin ich schon eher darüber, wie begeistert das Spiel von Sandra
       Hüller als Ehefrau des Lagerkommandanten Rudolf Höß bewertet wird. Eine
       durchsetzungsstarke Frau mit einem breitbeinigen Gang zu spielen wirkt auf
       mich nicht verstörend, sondern clownesk.
       
       Erschüttert bin ich auch davon, wie der Film von seinen Zuschauern
       aufgenommen wird. Auf sämtlichen Festivals hat er Preise abgeräumt, in fünf
       Kategorien ist er für die Oscars nominiert, und auch in der deutschen
       Filmrezeption gibt es bisher nur überschwängliches Lob. Der Chef des
       Axel-Springer-Verlags, Mathias Döpfner, ist bei Weitem nicht der Einzige,
       für den „Zone of Interest“ der „ungewöhnlichste und beste Holocaustfilm,
       der je gedreht wurde“, ist.
       
       Der Film zeige die Kälte der Nazis und auch, dass Abwesenheit von Liebe zum
       Massenmord führe, so Döpfner. Vor solchem Lob muss „Zone of Interest“ noch
       in Schutz genommen werden, denn die Abwesenheit von Liebe als
       küchenpsychologische Erklärung für das Gutheißen der Vernichtung aller
       Juden liefert der Film gerade nicht. Dass nur Leute, die sowieso schon
       abgestumpft sind, einen Massenmord so selbstverständlich erledigen wie die
       Morgentoilette, zeigt „Zone of Interest“ nicht. Er zeigt, dass die Nazis
       ihre Kinder liebten und trotzdem Massenmörder waren.
       
       ## Tickets für Taylor Swift
       
       Noch nie, so gewieftere Kritiker, sei der Holocaust wie in „Zone of
       Interest“ aus der Täterperspektive erzählt worden, und zwar so, dass man
       sich mit ihnen identifiziere. Nichts scheint man in Deutschland allerdings
       lieber zu tun: Die Präsidentin des bayerischen Landtags Ilse Aigner
       erzählt, dass die Platzreservierungen für den Film so schnell weg waren wie
       sonst nur die Tickets für Taylor Swift. Aigner betonte in ihrem Grußwort
       mehrfach, dass der Film eine „Zumutung“ sei, und der Leiter der
       KZ-Gedenkstätte Flossenbürg sprach sogar von einer „großartigen Zumutung“.
       
       Zumutung? „Zone of Interest“ schwankt ästhetisch zwischen der
       farbintensiv-skurrilen Kulisse eines Wes Anderson und der
       Technicolor-Färbung des „Zauberers von Oz“. Jeder Wes-Anderson-Film aber
       ist, was die Darstellung menschlicher Abgründe betrifft, eine größere
       Zumutung als die KZ-Geräuschkulisse in „Zone of Interest“.
       
       Der Skandal des NS war doch nicht nur, dass die, die die Macht hatten, ihre
       Vernichtungsideologie mit nie da gewesener und eiskalter Präzision
       durchsetzten. Der Skandal war, dass eine Mehrheit der Deutschen das richtig
       fand. Um die aber geht es in „Zone of Interest“ nicht. Mein Verdacht ist,
       dass der Film deswegen so gut ankommt.
       
       Der Film ermahne uns, nicht wegzuschauen, so Ilse Aigner. Wegschauen war
       aber vielleicht noch nie das zentrale Problem, sondern das Mitmachen. Das
       Problem heute ist nicht das Wegschauen, sondern dass die Politik sich als
       Zivilgesellschaft inszeniert. Die Aufgabe der Politik aber ist es, dem
       Faschismus mehr als ein Demoschild und einen Film entgegenzuhalten.
       
       24 Feb 2024
       
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