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       # taz.de -- Vertreibung von Maasai in Tansania: Brutales Greenwashing
       
       > Für den Naturschutz kooperiert Tansania mit Investoren, die
       > Großwildjagden und Luxusurlaube anbieten. Die dort lebenden Maasai werden
       > vertrieben.
       
   IMG Bild: Stehen den Interessen der tansanischen Regierung und deren Geschäftspartnern im Weg: Maasai im Ngorongoro Schutzgebiet, Januar 2024
       
       Schüsse in der Steppe. Männer in traditionellen Gewändern, Rinder und
       Schafe flüchten. Auf einem Video sieht man die durch Streifschüsse
       Verletzten, auch leere Patronenhülsen sind zu sehen. Über 800 Rinder hatte
       Tansanias Wildtierschutzbehörde (Tanapa) bei diesem Einsatz im Januar im
       Bezirk Kimotorok im Nordosten Tansanias konfisziert, acht Menschen wurden
       festgenommen – es war ein erneuter Übergriff der Behörde auf die Maasai,
       die hier am Rande des [1][Tarangire-Nationalparks] leben.
       
       Ob in Kimotorok, Simajaro, Loliondo oder Ngorongoro in der Serengeti:
       Überall dort, wo Tansanias Regierung ihre Schutzgebiete ausbaut, kommt es
       seit zwei Jahren zu Übergriffen gegen die Maasai, die die Savanne als ihren
       Lebensraum betrachten. Denn [2][Tansanias Präsidentin Samia Hassan] hat
       große Pläne. Sie will die Landfläche, die unter Naturschutz steht,
       erweitern: von derzeit 30 auf 50 Prozent des Territoriums. Damit wäre das
       ostafrikanische Land weltweit führend in der Umsetzung internationaler
       Naturschutzziele.
       
       Aber weil sie diese Ziele auch finanzieren muss, hat Tansanias Regierung
       Verträge geschlossen: etwa mit der Otterlo Business Corporation (OBC),
       einer Jagdagentur aus den Emiraten, die seit den 1990er Jahren
       Großwildjagden anbietet. In Loliondo investiert die Gesellschaft in eine
       „Game Controlled Area“, ein Wildtierschutzgebiet, inklusive Luxushotels und
       Flugplätzen.
       
       Ein weiteres Abkommen gibt es mit der Agentur Blue Carbon aus Dubai, die in
       großem Stil in Afrika Landflächen pachtet, um den ökologischen Fußabdruck
       der Emirate wettzumachen. Demnach soll Blue Carbon in den südlichen
       Hochebenen acht Prozent der Fläche Tansanias verwalten, um CO2-Projekte
       umzusetzen. Denn die Wildtierschutzbehörde Tanapa, die bisher vor allem mit
       deutschen Steuergeldern bezuschusst wurde, will sich in Zukunft auch über
       CO2-Handel finanzieren.
       
       ## Die Maassai müssen draußen bleiben
       
       Im Ngorongoro-Krater, rund 250 Kilometer vom Kilimanjaro, bauen chinesische
       Investoren wiederum Touristencamps sowie Picknickanlagen mit
       Aussichtsplattformen. Alles ist eingezäunt, Zugang haben nur Touristen, die
       Eintritt bezahlen. Die Maasai, deren Vorfahren das Land gehörte, müssen
       draußen blieben.
       
       Dagegen wehren sie sich. Auf einem Video sieht man Hunderte Maasai in der
       Tiefebene des Kraters versammelt. „Wir werden unsere Heimat nicht
       verlassen!“, rufen sie im Chor. „Wir lassen uns nicht vertreiben!“
       
       Die Bundesregierung und die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) sind
       seit über 50 Jahren Partner. Deswegen geht die brutale Vorgehensweise auch
       die Deutschen etwas an, findet Joseph Oleshangay: „Was hier betrieben wird,
       ist kein Naturschutz“, so der Anwalt der Maasai, der selbst aus Ngorongoro
       stammt. „Was unsere Regierung hier tut, ist reines Business.“
       
       ## Tiere geschützt, Jagen erlaubt
       
       Oleshangay hat die Regierung verklagt. Seit über zwei Jahren geht er im
       Gerichtsgebäude im tansanischen Arusha ein und aus.
       
       Bei einigen der Verfahren wird ersichtlich, dass die Regierung ihn müde
       machen will. Als Präsidentin Samia verkündete, sie wolle das von
       Maasai-Gebiet in Liliondo zu einer Game Controlled Area machen, wo
       Wildtiere geschützt sind, aber das Jagen erlaubt ist, zog Oleshangay im
       Namen der dort lebenden Maasai vor Gericht.
       
       Mit Erfolg: Im August 2023 suspendierte das Gericht Samias Entscheidung und
       gab den Maasai im September Recht. Da erklärte die Präsidenten das Gebiet
       prompt zum „Game Reserve“, wo auch Touristen, die explizit nicht jagen
       wollen, Zugang erhalten. „Damit wurde das Gerichtsurteil wertlos“, so
       Oleshangay.
       
       Also musste Oleshangay ein neues Verfahren anstrengen. Die erste Anhörung
       hätte eigentlich im Januar stattfinden sollen, wurde nun aber auf April
       verschoben. „Verzögerungstaktik“, ist er sich sicher, „weil die Justiz
       nicht unabhängig ist.“
       
       ## Das Leben der Maassai unerträglich machen
       
       Solange die Verfahren andauern, patrouillieren in den umstrittenen Gebieten
       bewaffnete Wildhüter. Wenn Maasai ihre Herden zu den Wasserstellen treiben,
       werden diese konfisziert. Die Richter vertagten eine Entscheidung darüber,
       ob dies rechtmäßig sei, ebenfalls auf April. Über 17.000 Nutztiere, so der
       Anwalt, seien in Ngorongoro beschlagnahmt worden – quasi das ganze Vermögen
       des Hirtenvolks. „Die Tiere wurden für Profit verkauft“, sagt Oleshangay.
       
       Während der Anwalt in Arusha vor Gericht kämpft, schafft die Regierung in
       der Savanne Tatsachen. Es wurden sämtliche staatliche Leistungen in den
       Maasai-Gebieten eingestellt, um ihnen das Leben so schwer wie möglich zu
       machen: Straßen werden nicht mehr repariert, kaputte Klassenzimmer nicht
       mehr instandgesetzt, die Tanapa verbietet den Maasai, ihre Äcker zu
       bestellen. Dies führt zur Unterversorgung mit selbst angebauten
       Lebensmitteln. Die Preise für importierten Reis oder Bohnen sind enorm
       gestiegen.
       
       Selbst die medizinische Versorgung wurde eingestellt. Seit fast 40 Jahren
       betreuen die Ärzte und Piloten des medizinischen Flugdienstes, einer
       katholischen Hilfsorganisation, die Maasai in den abgelegenen Savannen.
       Doch im April 2022 entzog die Regierung den Piloten die Fluglizenz – „aus
       uns unbekannten Gründen“, wie die katholischen Ärzte in einem vertraulichen
       Bericht angeben, der der taz vorliegt.
       
       „Menschen sind gestorben“, so der Bericht. Auf 146 Notfallanrufe konnten
       die Piloten nicht reagieren. Über 30.000 Kinder wurden nicht geimpft, mehr
       als 9.000 schwangere Frauen konnten keine Klinik erreichen. „Über 100.000
       Maasai haben keine einzige Schmerztablette“, so Oleshangay.
       
       ## Einzelschicksale mit erschreckender Systematik
       
       Er berichtet von einer Schwangeren, die trotz Geburtskomplikationen mit dem
       Auto drei Tage lang zur nächsten Klinik fahren musste. „Sie starb dort auf
       dem Parkplatz.“ Ein Baby sei nun HIV-positiv, weil während der Geburt keine
       Medikamente verfügbar waren, um die HIV-Übertragung von der Mutter auf das
       Kind zu verhindern – lauter Einzelschicksale, die im Gesamtbild eine
       erschreckende Systematik offenbaren.
       
       Laut internationalen Gesetzen dürfen Schutzgebiete nur mit Einwilligung der
       Bevölkerung errichtet werden. Tansanias Regierung erklärte, sie habe den
       Maasai Häuser, Schulen, Krankenhäuser und Siedlungen gebaut. Doch von
       „Freiwilligkeit“, dorthin zu ziehen, könne keine Rede sein, so der Anwalt:
       Ihnen werde vielmehr „das Leben in den angestammten Gebieten unmöglich
       gemacht“.
       
       Während die Maasai aus den Savannen vertrieben werden, rücken Lastwagen
       vor. Die Safari-Agentur OTB hat im Januar einen Konvoi voller Container aus
       Dubai nach Loliondo verschifft, um Bürogebäude hochzuziehen.
       
       Um auf die Lage der Maasai aufmerksam zu machen, war Anwalt Oleshangay im
       vergangenen Jahr in Europa unterwegs, in Brüssel und Berlin. Bei der ZGF in
       Frankfurt am Main, die die deutschen Projekte in Tansania umsetzt, bekam er
       keinen Termin. Er demonstrierte daraufhin vor deren Hauptsitz, direkt neben
       dem Haupteingang des Zoos.
       
       ## Von Deutschland besonders enttäuscht
       
       Die Lobbytour hat Wirkung gezeigt. Die Menschenrechts-NGO Amnesty
       International forderte von Tansanias Regierung, den „Crackdown“ gegen die
       Maasai zu stoppen. Human Rights Watch mahnte, die „gewaltsamen
       Vertreibungen“ zu unterbinden.
       
       Im Dezember forderte das EU-Parlament Tansanias Regierung „nachdrücklich“
       auf, die „gewaltsamen Vertreibungen von Maasai-Gemeinschaften sofort zu
       stoppen, um alle Maßnahmen zu vermeiden, die negative Auswirkungen auf das
       Leben, den Lebensunterhalt und die Kultur dieser Gemeinschaften haben“.
       Wenige Tage später erhielt Oleshangay den Menschenrechtspreis der Stadt
       Weimar.
       
       Anfang Februar reiste nun eine Delegation der Unesco, die die Serengeti und
       den Ngorongoro als Welterbe schützt, nach Tansania. Sie wollten sich ein
       Bild machen. Doch die Maasai wurden nicht zum Gespräch eingeladen. „Die
       Delegation wurden von Regierungsfahrzeugen abgeholt und in schicke Hotels
       in Arusha gebracht“, kritisieren diese in einem offenen Brief.
       
       Von den Deutschen ist der Anwalt besonders enttäuscht. Er zeigt der taz den
       Landnutzungsrahmenplan für Ngorongoro von 2023, der die Landrechte der
       nächsten 20 Jahre regelt. Auf diesem sind sämtliche Maasai-Siedlungen und
       Weidegebiete verschwunden. Dabei leben dort fast 100.000 Menschen.
       
       ## Was hat Deutschland da finanziert?
       
       Auf der Titelseite des 250-Seiten-Dokuments prangt das Logo der Frankfurter
       ZGF. Dabei hatte diese bereits 2022 erklärt, als die ersten Vertreibungen
       in Loliondo publik wurden: „Die ZGF ist nicht an den Arbeiten zur
       Grenzmarkierung in Loliondo beteiligt oder unterstützt diese.“ Im Bezirk
       Ngorongoro wurden nun diese Grenzziehungen offenbar aber durchaus
       finanziert.
       
       Verwaltet werden die Gelder von der Entwicklungsbank KfW, der Kreditanstalt
       für Wiederaufbau. Diese gibt auf taz-Anfrage an, die Bundesregierung habe
       insgesamt 29,5 Millionen Euro für den Serengeti-Nationalpark und umliegende
       Gemeinden bereitgestellt, auch für die Gebiete Loliondo und Ngorongoro.
       
       Die ZGF gibt rund eine Million Euro dazu, aus eigenem Stiftungsgeld. Laut
       KfW wurden damit Straßen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen gebaut. Die
       Tanapa bekam Fahrzeuge, Ersatzteile und Verwaltungsgebäude.
       
       Von diesen knapp 30 Millionen Euro flossen 220.000 Euro in den
       Landnutzungsplan. Das Geld wurde im Januar 2023 bereitgestellt, dabei waren
       zu jenem Zeitpunkt die Übergriffe bereits bekannt. Die ZGF erklärt auf
       taz-Anfrage, der Landnutzungsplan sei ein reines Planungsdokument: „Er
       regelt weder die Ausweisung eines Schutzgebietes, noch beschränkt er den
       Zugang zu Ressourcen.“
       
       ## Kein Geld für Waffen, aber für Fahrzeuge
       
       Die Mitglieder des Ngorongoro-Bezirksrates sehen das anders und lehnten den
       Plan am 19. Mai 2023 in einer Abstimmung mehrheitlich ab. Das deutsche
       Entwicklungsministerium BMZ erklärt auf taz-Anfrage, nachdem der Bezirksrat
       den Plan „mehrheitlich abgelehnt“ habe und es zudem „Kritik von
       Menschenrechts- und Maasaivertreterinnen und -vertretern an dem Plan gab“,
       habe die Bundesregierung die 220.000 Euro „bis auf Weiteres suspendiert“.
       
       Die deutsche Bundesregierung stehe „in kontinuierlichem Dialog mit der
       tansanischen Regierung zu den Vorwürfen über Menschenrechtsverletzungen,
       den Entzug sozialer Dienstleistungen und über Zwangsumsiedlungen“ und
       setzte sich für einen „Dialogprozess“ ein. Man wolle eine „friedliche, für
       alle Seiten befriedigende Lösung“ finden.
       
       220.000 Euro sind nun allerdings nur weniger als ein Prozent der
       Gesamtfördersumme von 30 Millionen Euro. Oleshangay sagt, das BMZ habe ihm
       zwar im September versichert, dass „alle Gelder eingestellt wurden und sie
       das Vorgehen der tansanischen Regierung nicht weiter unterstützen“.
       
       Doch die übrigen Projekte in der Serengeti werden nun weiter gefördert. Der
       Anwalt konstatiert ernüchtert: „Die Deutschen spendieren vielleicht keine
       Waffen, um die Maasai zu töten. Doch sie statten die tansanischen Behörden
       mit Fahrzeugen aus, die die Wildhüter dorthin transportieren, wo sie die
       Maasai töten.“
       
       26 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] /Praesidentin-Mama-Samia-in-Tansania/!5808657
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schlindwein
       
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