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       # taz.de -- Femizide in Österreich: Männer töten, Männer schweigen
       
       > Sechs Femizide gab es innerhalb weniger Tage in Österreich, die Regierung
       > schweigt. Damit erklärt sie männliche Gewalt zur Frauensache.
       
   IMG Bild: Die Polizei an einem der Tatorte in Wien
       
       [1][Fünf Frauen und ein Mädchen], erstickt, erstochen, erschossen. Im
       Bordell und zu Hause, von einem Fremden, einem Vater, Lebensgefährten.
       Innerhalb von nur vier Tagen, in einem Umkreis von rund 80 Kilometern in
       Ostösterreich, auch wenn das Anwenden solcher Maße bei Gewalttaten, die
       alle Maße sprengen, überflüssig erscheint. Aber weil die Verortung einen
       Rahmen und der Rahmen Verantwortlichkeiten aufmacht, braucht es sie eben
       doch.
       
       Etwas weiter südlich etwa, im Nachbarland Italien, [2][protestierten nach
       dem Femizid an der Studentin Giulia Cecchettin] im Dezember Massen, viele
       Bürgermeister aus der Region kamen zum Trauergottesdienst. In Wien fanden
       sich am Freitag nur rund 150 Personen für eine Mahnwache zusammen. Im
       österreichischen Kanzleramt wurden die Morde hingegen totgeschwiegen.
       Während dort ansonsten jeder Anlass genutzt wird, um bei Pressekonferenzen
       Handlungsmacht zu demonstrieren, blieben die Pulte am Wochenende leer. Kein
       potenter Politiker, der erklärte, wieso potente Männer ein Problem sind.
       
       Früher meldeten sich diese in Österreich praktischerweise selbst zu Wort.
       Rund um den Pop-up-Literaten [3][Jack Unterweger], der auf seinen
       Lesereisen mutmaßlich elf Prostituierte ermordete, konstruierten die Medien
       den Mythos des Mordes mit Tiefgrund. Heute steigt das Bewusstsein dafür,
       dass die Gesellschaft die Gewalttäter serienweise hervorbringt und
       geschlechtsspezifische Gewalt an Frauen nichts Außergewöhnliches ist.
       Männer haben in Österreich vergangenes Jahr [4][26 Femizide] verübt, auf
       die Bevölkerung gerechnet fast doppelt so viele wie in Deutschland.
       
       ## Rassistische Hetze statt Hilfe
       
       Nur ist die alltägliche, indirekte Gewalt – etwa ökonomische Ungleichheiten
       zwischen den Geschlechtern – die diese Gewalttaten mit hervorbringt, kaum
       einzuspeisen in die tagesaktuelle Berichterstattung. Stattdessen werden
       Femizide oft als Anlass für rassistische Hetze und Skandalisierung
       genommen. Die Regierung übt sich dieser Tage weiter in dem, was sie
       anlässlich der meisten Femizide tut: Sie schweigt.
       
       Als einziges Regierungsmitglied gab Gesundheitsminister Johannes Rauch (Die
       Grünen) am Tag der fünf Femizide auf X ein Statement ab: „Gewalt an Frauen
       geht fast immer von Männern aus“, schrieb er dort unter anderem. „Die
       Gewaltspirale zu durchbrechen ist vor allem Männersache.“
       
       Am Sonntag, einen Tag vor dem nächsten Femizid, meldete sich schließlich
       auch Familien- und Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) zu Wort – auf eine
       Presseanfrage des Boulevardmediums oe24 antwortend. Sie sei zutiefst
       erschüttert, sagte sie. Aber Österreich verfüge bereits „über ein gut
       ausgebautes Gewaltschutzsystem“.
       
       ## Frauenhäuser sind pleite
       
       Geht es nach einem [5][Bericht des österreichischen Rechnungshofes] aus dem
       letzten Jahr und Forderungen von Vertreter:innen der Frauenhäuser, ist
       das falsch. Letztere kritisierten gerade erst, dass jährlich Hunderte
       Millionen Euro für Gewaltprävention fehlten.
       
       Dass nicht einmal das extreme Ausmaß der Gewalt an Frauen in den
       vergangenen Tagen die verantwortliche Ministerin vom Schönreden und den
       Rest der Regierung vom Schweigen abbringt, zeigt einmal mehr, dass sie den
       Schutz von Frauen nicht als ihre Verantwortung begreifen.
       
       Es ist dabei wichtig angesichts der jüngsten Morde von „Femiziden“ zu
       sprechen – einem Begriff der feministischen Theorie, der auf die Dimension
       staatlichen Versagens bei struktureller Gewalt gegen Frauen hinweist. Sechs
       Femizide in Österreich innerhalb weniger Tage, der siebte dieses Jahr. Auch
       wenn das „Männersache“ sein soll, sind es wieder vor allem Frauen, die nun
       darauf aufmerksam machen, ob auf der Kundgebung, in der Opposition oder
       vonseiten der Frauenhäuser.
       
       Kanzlermann Karl Nehammer (ÖVP) bleibt seiner Sache indessen treu. Viele
       Zeichen verlor er in den letzten Tagen an den „Wohlstand“, die
       „Landesverteidigung“ und „illegale Migration“ – kein einziges an die
       Femizide.
       
       28 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Femizide-in-Oesterreich/!5994392
   DIR [2] /Ein-Femizid-beschaeftigt-ganz-Italien/!5971331
   DIR [3] /Frauenmoerder-Jack-Unterweger/!5160285
   DIR [4] https://www.aoef.at/images/04a_zahlen-und-daten/Factsheet_Femizide-in-Oesterreich_AOeF.pdf
   DIR [5] https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/news/news/news_3/Gewalt-_und_Opferschutz_fuer_Frauen.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lara Ritter
       
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