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       # taz.de -- Digitale Sphäre in der Kunst: So düster, dieses Technozän
       
       > Es rauscht in der Black Box: 40 Künstler:innen rechnen in der Berliner
       > Ausstellung „Poetics of Encryption“ mit der digital durchdrungenen Welt
       > ab.
       
   IMG Bild: Seltsame Katze: Eva & Franco Mattes, „Panorama Cat“ von 2022 in „Poetics of Encryption“ KW Institute for Contemporary Art, Berlin
       
       Hinter dem Gitterkäfig des italienischen Künstlerduos Eva & Franco
       Mattes sieht man nicht genau, was vor sich geht. In seiner Installation
       „,P2P' (raised floor cage)“ befindet sich ein Peer-to-Peer-Server, er
       verteilt ein schemenhaft erkennbares, digital prozessiertes Kunstwerk. An
       wen oder wie oft es verteilt wird, erschließt sich nicht. Das Kunstwerk
       funktioniert als Black Box.
       
       Verschlüsselung scheint von Vorteil zu sein, betritt man die digitale
       Sphäre – jedenfalls, wenn es sich bei ihr um Bilderkennungsprogramme oder
       Waffen elektronischer Kriegsführung handelt. Die Ausstellung „Poetics of
       Encryption. Art and the Technocene“ mit Arbeiten von mehr als 40
       Künstler*innen (darunter [1][die Tech-Pioniere Eva & Franco Mattes]) im
       Berliner KW Institute for Contemporary Art ist in diesem Sinn angetreten,
       zu zeigen, „wie sehr technische Systeme Nutzer*innen in ihren Bann
       ziehen, wie sie im Verborgenen wirken und wie sie Raum und Zeit in der
       Kultur verzerren“.
       
       Zu sehen sind künstlerische Interpretationen von Memes, Tech-Gurus,
       KI-Artefakten und der Extraktion seltener Erden. Und – mitfinanziert von
       der „Volkswagen Group“ – in einem Umfang, wie man es sonst eher vom
       Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) kennt.
       
       Möglich machte dies nun die Einrichtung einer digitalen Programmsparte an
       den KW, in deren Rahmen der zum „Kurator Digitaler Raum“ berufene, aus
       Großbritannien stammende Nadim Samman die Kunst jenes Zeitalters zeigen
       will. In Anlehnung an den Begriff des Anthropozän bezeichnet er es als
       „Technocene“ („Technozän“). Düster definiert Samman das „Technozän“ durch
       eine Kunst, die sich mit der Frage befasst, „wie die überwältigende
       Verbreitung von Technologie in allen Bereichen des Lebens (und des Todes)
       zu einem Thema kultureller Abrechnung wird“.
       
       ## Eine im Stillstand gefangene Welt
       
       Dementsprechend sind die Videos, immersiven Installationen und Objekte in
       den drei Ausstellungsbereichen – „Black Sites“, „Black Boxes“, „Black
       Holes“ – oft brutal realistisch bis pessimistisch. Bereits im Erdgeschoss
       legen die Kunstwerke ein bildgewaltiges Fundament: Der unter dem Namen
       „Most Dismal Swamp“ firmierende britische Künstler Dane Sutherland zeigt in
       seinem Film „Scraper“ eine im Stillstand gefangene Welt. In deren
       „Mordor“-ähnlichen Untergrundenklaven lamentieren seufzende
       [2][Influencer-Avatare] über ihre „hyperbolische Gefühllosigkeit“.
       
       Das 30-minütige Video „Eye of Silence“ von Charles Stankievech ist auf eine
       breite Wandfläche projiziert, sein unterlegter Basssound durchdringt den
       Körper. Darauf zu sehen ist ein Flug über einer kargen, digital
       konzipierten Landschaft. Durch einen einfachen, aber betörend suggestiven
       Trick grenzt Stankievech hier an einen Teufelsbeweis: Er spiegelt die
       flüchtigen Bilder symmetrisch und das betrachtende Auge kommt im
       pareidolischen Sog nicht umhin, in Eis, Kratern und Rauch eine dämonische
       Fratze nach der anderen dort zu erkennen, wo doch nur eine
       Bildschnittstelle ist.
       
       In der Vorhölle scheint auch der italienische Künstler Nico Vascellari zu
       schweben: Bewusstlos ließ er sich für sein Video an einem Seil hängen und
       von einem Hubschrauber über nebelig-alpines Gebiet fliegen – ein Sinnbild
       für ohnmächtige Abhängigkeit von Technologie, für Kontroll- und
       Zeitverlust.
       
       Technologie als Mittel zum Fortschritt und Möglichkeit, Gesellschaft auch
       positiv zu verändern, kommt in dieser Ausstellung kaum vor. Im Video „The
       Post-Truth Museum“ der Berliner Künstlerin [3][Nora Al-Badri] vielleicht.
       Sie legt darin drei europäischen Museumsgranden mittels einer speziellen KI
       Aussagen von Dritten in den Mund: Plötzlich redet etwa Hermann Parzinger
       von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über Restitution und die
       Auflösung eines nationalen Besitzanspruchs auf Kulturgüter.
       
       Das Video ist in den letzten drei Jahren entstanden, doch wirkt es aufgrund
       der verwendeten KI-Technik schon jetzt veraltet. Wie sehr also technische
       Systeme Raum und Zeit in der Kultur verzerren, wäre alleine damit nolens
       volens schon vorgeführt.
       
       20 Feb 2024
       
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