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       # taz.de -- Nach dem Tod von Alexei Nawalny: Suche nach dem verlorenen Sohn
       
       > Die russische Behörden halten die Leiche des Kremlkritikers Alexei
       > Nawalny weiter zurück. Auch seine Mutter wird zum wiederholten Male
       > abgewiesen.
       
   IMG Bild: Ljudmila Nawalnaja (rechts), die Mutter Alexej Nawalnys, verlässt das Gebäude des Ermittlungskomitees in Salechard
       
       Moskau taz | Ljudmila Nawalnaja hält ihre Dokumente fest in der Hand, sie
       läuft über verschneite Wege von Salechard in Nordwestsibirien, hakt sich
       bei ihrem Anwalt unter. So zeigen Videoaufnahmen die Mutter von Alexei
       Nawalny in diesen Tagen. Es ist kalt hinter dem Polarkreis, minus 27 Grad.
       
       Hier, hinter den Mauern der „Besserungskolonie Nummer 3“ des Dörfchens
       Charp, [1][endete am vergangenen Freitag plötzlich das Leben ihres Sohnes,
       des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny]. Wo sein Leichnam ist,
       weiß die Mutter derweil immer noch nicht.
       
       Ljudmila Nawalnaja ist keine, die den Umgang mit Behörden scheut. Sie kennt
       sie, seit Jahren. Stunden verbrachte sie in russischen Gerichten und saß
       auf Holzbänken in der Ecke. Sie hörte zu und versuchte zu verstehen, was
       Richter*innen in Verhandlungen vor sich hinnuschelten, was sie ihrem
       Aljoscha (so der Kurzname von Alexei), dem Hoffnungsträger so vieler
       Russ*innen, vorwarfen.
       
       Es waren so viele absurde Vorhaltungen, selbst für Juristen und
       Juristinnen kaum nachvollziehbar. Die 69-Jährige ertrug die staatlichen
       Erniedrigungen gegen ihren Sohn und mied die Öffentlichkeit. Nun steht sie
       selbst in dieser Öffentlichkeit, die sie auf ihrer unermüdlichen Suche nach
       dem Leichnam ihres Jungen begleitet.
       
       ## Über 55.000 Unterschriften
       
       Nach russischem Recht sind die Gefängnisbehörden dazu verpflichtet, den
       Leichnam eines in Haft Verstorbenen an die Angehörigen herauszugeben. So
       steht es in der Anordnung Nummer 93 des Justizministeriums aus dem Jahr
       2005. Nur zwei Gründe lässt die Anordnung zu, dies nicht zu tun: Wenn der
       Häftling das vorher äußert oder die Angehörigen sich entweder weigern, die
       Leiche abzuholen oder gar nicht gefunden werden.
       
       Nawalnys Angehörige aber kämpfen um die Herausgabe, genauso wie
       mittlerweile mehr als 55.000 Menschen in einer Petition. Die Behörden
       sprechen derweil von einer „verlängerten Überprüfung der Leiche“, die
       Todesursache sei „nicht geklärt“, hieß es vom Untersuchungsausschuss des
       russischen Ermittlungskomitees.
       
       „Am frühen Morgen trafen [2][Alexeis Mutter und ihre Anwälte im
       Leichenschauhaus ein. Rein durften sie nicht]. Einer der Anwälte wurde
       regelrecht rausgedrängt. Auf die Frage, ob Alexeis Leiche da sei, sagen die
       Mitarbeiter nichts“, schrieb Nawalnys Pressesprecherin Kira Jarmysch auf X,
       ehemals Twitter.
       
       Iwan Schdanow, der Leiter von Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK (in
       Russland für „extremistisch“ erklärt), erinnert das Katz-und-Maus-Spiel an
       die Tage nach Nawalnys Vergiftung im August 2020. Auch damals seien die
       Fristen immer wieder verlängert, Nawalnys Kleider nicht herausgegeben
       worden. „Sie sagen, sie seien interessiert daran, alles so schnell wie
       möglich zu erledigen. Diese prinzipienlosen Lakaien lügen unverhohlen. Ist
       doch klar, was sie jetzt tun. Die Spuren ihres Verbrechens beseitigen“,
       schrieb er auf X.
       
       ## Russischer Botschafter einbestellt
       
       Das russische Medienportal Mediazona veröffentlichte Bilder von
       Überwachungskameras zwischen Labytnangi und der Regionalhauptstadt
       Salechard. Darauf ist zu sehen, wie eine Wagenkolonne der Gefängnisbehörde
       in der Nacht zum 17. Februar diesen einzigen Zugang von Charp nach
       Salechard über den vereisten Fluss Ob passiert.
       
       Die Journalist*innen gehen davon aus, dass Nawalnys Leichnam in einem
       Kleinbus dieser Kolonne aus der Strafkolonie hinausgebracht wurde. Im Kreml
       hieß es, es sei „nicht die Aufgabe der Präsidialverwaltung, sich um die
       Frage nach der Herausgabe einer Leiche“ zu kümmern. „Alle gesetzlich
       erforderlichen Maßnahmen werden unternommen“, sagte Kremlsprecher Dmitri
       Peskow.
       
       Das Auswärtige Amt bestellte am Montag den russischen Botschafter ein. Die
       politisch motivierten Verfahren gegen Nawalny und andere Oppositionelle
       sowie die unmenschlichen Haftbedingungen zeigten, wie brutal die russische
       Justiz gegen Andersdenkende vorgehe, sagte eine Sprecherin von
       Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Putin versuche die eigene
       Bevölkerung mundtot zu machen.
       
       19 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Inna Hartwich
       
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