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       # taz.de -- RAF-Geschichte: Die Nachlassverwalterin
       
       > Die RAF hat nichts hinterlassen außer Verzweiflung, Tod und kryptischen
       > Texten. Dann ist sie vergessen worden. Bis zur Festnahme von Daniela
       > Klette.
       
   IMG Bild: Die zerstörte Justizvollzugsanstalt in Weiterstadt nach einem Bombenanschlag am 27. März 1993
       
       Als Daniela Klette vermutlich 1989 der RAF beitrat, wurde sie Teil einer
       Organisation in einer tiefen Krise. Die Terrorgruppe ermordete 1989 den
       Bankier Alfred Herrhausen und 1991 den Treuhandchef Detlev Rohwedder. Doch
       die großen, im Rückblick heroisch verzerrt wahrgenommenen Zeiten waren
       vorbei. Die RAF war in den 70ern eine winzig kleine, streng hierarchisch
       organisierte Kadertruppe mit einem überschaubaren Umfeld von
       Unterstützern. Aber sie galt als bedeutsamer Teil des bundesdeutschen
       Familienromans: als radikale Vertreter der Jüngeren, die mit den
       Repräsentanten der postfaschistischen Bundesrepublik nur eine
       Kommunikationsform kannten – schießen.
       
       Drei Dutzend Militante hatten es in den 70er Jahren geschafft, als ernste
       Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie wahrgenommen zu werden. Die RAF
       weckte Angst, Hass, Abwehr, Faszination – gleichgültig war niemand.
       Intellektuelle hatten Ulrike Meinhof, die sich 1976 selbst getötet hatte,
       zu einer Art Opfer deutscher Verhältnisse stilisiert – und wurden deshalb
       von Konservativen als Sympathisanten gebrandmarkt. Über die Gründerfiguren
       Andreas Baader und Gudrun Ensslin wurden Spielfilme gedreht und voluminöse
       Bücher geschrieben.
       
       In den 80er Jahren war das Drama abgeklungen. Die RAF mordete noch immer,
       es gab noch immer Hungerstreiks gegen Isolationsfolter. Aber die
       Terrorgruppe hatte seit dem Deutschen Herbst 1977, den Selbsttötungen der
       Spitze der ersten Generation in Stammheim ihre glitzernde
       Bedeutungsschicht, die Zuschreibung, etwas Zentrales auszudrücken,
       verloren.
       
       Die RAF wurde zu einem Gespenst – für Polizei und Justiz unfassbar, und für
       die Linke ein Relikt einer Zeit, die man hinter sich lassen wollte. Die
       undogmatische Linke hatte lange gebannt mit einer ambivalenten Mixtur von
       Bewunderung und Abscheu auf die Terrorgruppe gestarrt. Das wich in den 80er
       Jahren entnervter Gleichgültigkeit.
       
       ## Mit der RAF verwoben
       
       Das galt auch für die taz, deren Geschichte mit der RAF verwoben war. 1978
       war die RAF und die finstere Atmosphäre des Deutschen Herbstes vielleicht
       der entscheidende Grund für die taz-Gründung. Man wollte ein eigenes,
       unzensiertes Medium. In den 80er Jahren war die taz ein Auffangbecken für
       Ex-Angehörige von RAF oder 2. Juni, die aus dem Knast kamen, wie Fritz
       Teufel, Wolfgang Grundmann und Brigitte Heinrich.
       
       In den 80er Jahren belagerten RAF-Solikomitees öfters die taz, um den
       Abdruck von langwierigen Erklärungen durchzusetzen. Der taz-Redakteur
       Wolfgang Gast war damals einer der besten Kenner der RAF-Unterstützerszene.
       
       Gast beschrieb den Zoff zwischen der Redaktion, die RAF-Texte ermüdend
       fand, und den Antiimperialisten: „Die Besetzungen verliefen meist ähnlich.
       Zuerst wurde stundenlang diskutiert. Dann schlug die Stunde der
       Pragmatiker. Die Schriftgröße wurde so weit verkleinert, bis der Text auf
       eine Seite passte und man die RAF Erklärungen nur mit der Lupe lesen
       konnte.“
       
       In den 90er Jahren hörten die Hungerstreiks und die taz-Besetzungen auf.
       Und die Erklärungen der dritten Generation der RAF hatten einen neuen Ton:
       offener, dialogischer, fast selbstkritisch. 1992 schrieb die RAF, sie wolle
       „darüber nachdenken, was wir falsch gemacht haben“. Nach 1989 könne es
       „nicht mehr so weiter gehen wie bisher“. Weil Morde bei den Bürgern nicht
       so gut ankämen, werde man damit aufhören. Die RAF rüstete ab – von der
       irren Hybris, Avantgarde der Weltrevolution von eigenen Gnaden zu sein, zu
       Mieterinitiativen oder wildem Streik.
       
       Die Praxis zu der neuen Theorie war der Anschlag auf das leere Gefängnis in
       Weiterstadt 1993, das die dritte Generation mit 200 Kilo Sprengstoff in die
       Luft jagte. Die Straße zum Gefängnis sperrte die Gruppe mit einem selbst
       gebastelte Schild: „Knastsprengung in Kürze. Sofort wegrennen!“ Weiterstadt
       war auch als Abschiebeknast geplant. Die RAF versuchte ein neues
       Unterstützermilieu zu gewinnen – antirassistische und autonome Gruppen.
       Doch der Versuch blieb vergeblich. RAF, das roch zu streng nach Todestrip,
       ML-Dogmatismus und Vergangenheit.
       
       1996 schickte die RAF eine [1][Erklärung an die taz]. Die Knastsprengung,
       so das Selbstlob, wurde „von außergewöhnlich vielen Leuten gut gefunden,
       auch über die Linke hinaus.“ Aber insgesamt befinde sich das linksmilitante
       Milieu leider „in einem Zerfallsprozess“.
       
       Das einzige Pfund, das die dritte Generation in der Hand zu haben meinte,
       war ihre klandestine Struktur. Die Staatsorgane „wissen nicht viel über
       uns. Sie haben noch nie wirklich durchgeblickt, wie unsere Strukturen
       aussehen oder wer in der RAF organisiert ist“, hieß es.
       
       1998 löste sich die RAF endgültig auf. Die drei Verdächtigen der dritten
       Generation, die Nachlassverwalter der RAF, überfielen danach Banken. Nicht
       mehr für den antiimperialistischen Kampf, sondern für den nächsten
       Sommerurlaub oder Tanzkurs.
       
       Was ist von der RAF geblieben? 34 Tote. Mehr als 500 Verurteilungen und
       viele ungeklärte Morde. Baader und Ensslin sind in der kollektiven
       Zeichensprache keine Pop-Embleme geworden, wie Che Guevara, dessen
       Konterfei auf Bikinis, T-Shirts oder Wodkawerbung auftaucht. Die RAF hat
       nichts hinterlassen außer Verzweiflung, Tod und kryptischen Texten, die
       Jüngere kaum noch entschlüsseln können. Dann ist sie einfach vergessen
       worden.
       
       [2][Bis zur Festnahme von Klette]. Medien verkündeten „RAF-Terroristin
       Daniela Klette in Berlin festgenommen.“ Das Präsens ist erstaunlich. Gibt
       es gut 25 Jahre nach der Selbstauflösung noch eine „RAF-Terroristin“? Die
       65-Jährige wurde mit einem gepanzerten Fahrzeug an einen geheimen Ort
       gebracht, um Befreiungsaktionen zu verhindern. Es fühlt sich an wie eine
       Zeitreise. War zu befürchten, dass palästinensische Militante den
       Regionalzug von Verden nach Etelsen entführen, wie 1977 die Lufthansa
       Maschine Landshut?
       
       Wahrscheinlich folgt jetzt, was immer folgt. Ein langer Indizienprozess,
       beharrliches Schweigen der Angeklagten. Kein Deal mit dem Schweinesystem –
       das ist die RAF-Omertà.
       
       Brauchen wir noch einen langwierigen Prozess, der trotz dürftiger
       Beweislage damit endet, die letzten Ex-RAF-RentnerInnen ein paar Jahre in
       den Knast zu schicken? Gibt es keinen Weg, das Schweigegelübde zu brechen?
       Könnte man es nicht mit einer Art Wahrheitskommission probieren? Aussagen
       gegen Straffreiheit. Das will auch Carolin Emcke, Publizistin und Patenkind
       von Alfred Herrhausen.
       
       Dann könnten wir den Prozess der Abkehr von der mörderischen Gewalt in den
       90er Jahren von innen verstehen. Vielleicht würden Angehörige von Opfern
       der RAF erfahren, wer die TäterInnen waren. Es wäre keine Versöhnung mit
       dem Grauen der RAF-Geschichte. Aber ein Ende.
       
       Das wird kaum passieren. Nicht in Deutschland, nicht in einem Land mit so
       eisernen Prinzipien.
       
       2 Mar 2024
       
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   DIR Stefan Reinecke
       
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