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       # taz.de -- Zaunpläne für den Görlitzer Park: Umzäunt den Görli
       
       > Als langjährige Anwohnerin bin ich dafür, es mit einem Zaun um den
       > Görlitzer Park zu probieren. Aber nur, wenn auch den Elenden geholfen
       > wird.
       
   IMG Bild: Ein Zaun schützt vor Elend nicht. Ein Banner am Zaun im Görlitzer Park fordert im Januar „Housing First statt Polizei“
       
       Seit 20 Jahren lebe ich direkt am Görlitzer Park, im Wrangelkiez. Ich habe
       Reisebusse mit fotografierenden Rentnern und Partytouristen überlebt,
       Diagonalpoller, die 1. McDonald’s-Filiale, die Bebauung der letzten Brache
       und einen nicht laufenden Möbelladen, der Rasiersalon, Tattooshop und
       Co-Working-Space wurde.
       
       Jetzt will ich zum ersten Mal weg.
       
       Nicht, weil ich Dealer und hin und wieder mal einen [1][Junkie, eine
       Leiche] oder einen Obdachlosen vor der Haustür oder am U-Bahnhof nicht
       ertrage. Das gehört zur Großstadt. Sondern weil die Verhältnisse, die sich
       in den vergangenen Jahren schleichend verschlimmerten, im vergangenen Jahr
       explosionsartig durchgeknallt sind: Aus einer latent angespannten Stimmung
       wurde eine aggressive, morbide, apokalyptische Szenerie. So krass, dass ich
       vergangenen Sommer einige Zeit aus meiner Wohnung floh. Aus Angst, einer
       der Junkies, die in unserem Treppenhaus schliefen und konsumierten, könnte
       in einem Moment der Verzweiflung oder des Kontrollverlusts mir ein Messer
       ans Ohr halten oder in meine Wohnung einbrechen.
       
       Paranoia? Sicher. Aber nur weil du denkst, dass du paranoid bist, heißt das
       nicht, dass nicht auch dir passieren könnte, was etlichen Nachbarn in
       diesem Viertel im vergangenen Jahr passiert ist.
       
       Seit einigen Wochen hat sich die Lage etwas beruhigt. Ich werde morgens
       nicht mehr vom Husten eines obdachlosen Crack-Junkies vor meiner
       Wohnungstür geweckt. Ich schlafe nicht ein, während draußen jemand
       verzweifelt flucht, klagt, weint, brüllt. Ich traue mich, wieder nach
       Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen. Und draußen kreisen meine
       Gedanken nicht durchgängig darum, wie es wohl nachher sein wird im
       Treppenhaus. Sondern nur noch etwa ein Mal die Stunde.
       
       Für Berlintouristen aber ist der Besuch des Görli Standardprogramm mit
       Thrill-Faktor. Er ist die Real-Life-Version vom Heidepark Soltau: statt
       Achterbahn Toxic Garden zu fahren, laufen Sie Schlangenlinien durchs
       Spalier der Dealergruppen; statt über kostümierte Live-Erschrecker beim
       Zombie-Escape zu lachen, begegnen Sie echten Untoten mit offenen Wunden.
       Die „Wiese“ ist inzwischen mit einer Dichtmasse aus Kronkorken,
       Zigarettenfiltern, Kondomen, Spritzbestecken, Plastiktüten, Hundekacke und
       Menschenkotze versiegelt und undurchlässiger, als es die Berliner Mauer es
       je war.
       
       Die Durchgänge der Mauer, mit der der Görli umgeben ist, will Bürgermeister
       Kai Wegner (CDU) nun mit Zaunanlagen versehen, die nachts verschlossen
       werden sollen. Unter den Anwohnern gibt es dazu zwei Haltungen: Die einen
       glauben, dass das nichts bringt, weil dann die Dealer und Junkies sich noch
       mehr in die Wohnviertel und Treppenhäuser zurückziehen. Die anderen sind
       der Meinung, dass bisher zwar nichts irgendwas gebracht hat, nicht die
       täglichen Razzien, nicht die 329 Mülleimer, nicht die Parkläufer und nicht
       das Nichtstun („Die Dealer gehören dazu“, Ex-Bezirksbürgermeisterin
       Herrmann von den Grünen) – dass aber noch niemand versucht hat, ob es was
       bringt, den Park nachts abzuschließen.
       
       Der Regierende Bürgermeister sagt, der Zaun kommt auf jeden Fall, erst mal
       als Test, begleitet von Ideen der grünen Bezirksbürgermeisterin wie
       aufsuchende Sozialarbeit und Drogenkonsumangebote. Die grüne
       Bezirksregierung will den Zaun auf keinen Fall. Sie lässt sich lieber mit
       [2][Aktivisten] fotografieren, die Schilder „Gegen Gentrifizierung“
       hochhalten. Sie sagen: Würden Zäune gegen Crack-Abhängigkeit helfen, wären
       die USA voll davon. Ich sage: Würden Schilder „Gegen Gentrifizierung“ was
       helfen, hätten wir in Berlin kein Wohnungs- und kein
       Mietenexplosionsproblem.
       
       Ich bin für den Zauntest. Unter der Bedingung, dass alle verfügbaren
       Maßnahmen zur [3][Eindämmung von Drogenabhängigkeit] umgesetzt werden. Ich
       glaube allerdings, dass dazu zwingend das Prinzip „Housing first“ gehört:
       allen, die auf der Straße sind, Wohnräume verschaffen. Davon aber reden
       weder die Grünen noch der Regierende Bürgermeister. Dazu ist Berlin nicht
       bereit. Meine Testidee: leer stehende Berliner Büroräume in betreute
       Wohnanlagen für Obdachlose und Drogenkranke umwandeln.
       
       2 Mar 2024
       
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