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       # taz.de -- Deutsche Servicementalität: Hasswort „Gerne“
       
       > Seitdem unser Autor vor zwei Jahren Wirt geworden ist, begegnet ihm
       > ständig das Wort „gerne“. Es treibt ihn zur Weißglut.
       
   IMG Bild: Heute kein „Gerne“ auf der Karte
       
       Das wäre doch perfekt für das „Wahre Rätsel“ hinten auf der Wahrheitsseite:
       Deutsche Servicementalität in fünf Buchstaben? Antwort: Gerne.
       
       Seitdem ich vor zwei Jahren Wirt geworden bin, gernt es unablässig um mich
       herum und an mich heran. Man hat es als Unternehmer einfach mehr mit Leuten
       zu tun, die mit einem ins Geschäft kommen wollen. Meine Vermutung ist: Weil
       alle irgendwie mit dem Bereich Gastlichkeit zu tun haben, kommt kaum ein
       Satz ohne das Wörtchen aus:
       
       „Gerne unterbreiten wir Ihnen folgendes Angebot …“
       
       „Gerne bestätigen wir die Stornierung …“
       
       „Haben Sie noch Fragen: Dann kommen Sie gerne auf uns zu …“
       
       Wie ich es hasse. Vor allem, wenn ein Satz mit „gerne“ beginnt. Häufig
       endet das in einer grammatikalischen Verknotung. Mich erinnert das an
       Nachrichtensätze, die Lokaljournalisten für das ultimative Deutsch halten.
       Von wegen „Subjekt, Prädikat, Objekt“, wie mir das nicht erst im
       Volontariat beigebracht wurde. Nein, wenn das Objekt das vermeintlich
       Wichtigste oder Konkreteste an der Nachricht ist, dann wird es an den
       Anfang geschoben. Die Zeitungsmeldung geht dann so: „Einen SUV der Marke
       Mercedes-Benz hat am Samstag ein Ochse auf die Hörner genommen.“
       Top-Deutsch, oder?
       
       Wenn ein Satz mit „gerne“ beginnt, dann weiß ich schon: Zuallererst soll
       Haltung signalisiert werden. Übersetzt: „Ich bin gerne für Sie da (aber bei
       was und wie genau, ist eine andere Frage).“ Meiner Meinung nach haben die
       Ansagen der Deutschen Bahn dafür gesorgt, dass „gerne“ so in Mode gekommen
       ist und inzwischen so gebraucht wird wie im Englischen das „fuck“. Der
       dazugehörige geflügelte Satz heißt: „Gerne servieren wir Ihnen in unserem
       Bordbistro [1][Kaffee und Kuchen].“ Die Bahn schenkt sich das inzwischen.
       Heute wird man eher darüber informiert, dass das Bistro noch nicht offen
       ist oder das Personal bald Feierabend hat.
       
       Bitte schreiben Sie mir, wenn in einem Anschreiben unseres Hotels das Wort
       „gerne“ auftaucht. Wir haben eine Buchungssoftware, mit der Gäste ihre
       Reservierung zum großen Teil selbst verwalten können. Was aber dazu führt,
       dass man bei jedem Schritt standardmäßig Bestätigungs-, Dank- und
       Erinnerungsschreiben per Mail erhält, getreu der Regel: Ein „gerne“ kommt
       selten allein.
       
       Bis vorgestern war ich der Überzeugung, ich hätte den Spam auf ein dezentes
       Maß reduziert und auch das „gerne“ erfolgreich aus allen Textvorlagen
       gelöscht. Aber dann kam ein Update. Nun bin ich wieder dabei, die Devotheit
       aus den Vorlagen zu entfernen, und denke dabei sehr bayrisch – auf
       Hochdeutsch zu denken ist mir schon immer schwer gefallen: Ihr mit eurem
       ‚gerne‘ könnts mi amoi gern haben.
       
       4 Mar 2024
       
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       ## AUTOREN
       
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