# taz.de -- Nachruf auf Jan Assmann: Ein Gelehrter
> Er prägte zusammen mit seiner Frau das Konzept des „kulturellen
> Gedächtnisses“. Zum Tod des Ägyptologen und Kulturhistorikers Jan
> Assmann.
IMG Bild: Jan Assmann im September 2022
Mit ihm geht einer der letzten Vertreter einer Historikergeneration, die
noch [1][im Geiste Friedrich Meineckes] aufgewachsen war: Jan Assmann
prägte gemeinsam mit seiner Frau Aleida das Konzept des „kulturellen
Gedächtnisses“, die beiden galten als das [2][bildungsbürgerliche
Vorzeigepaar der deutschen Geisteswissenschaft]. Doch mit seinem Changieren
zwischen Empirie und Auslegung war der Kulturhistoriker Assmann in einer
Historikerzunft, die seit den Neunzigerjahren zumindest in der
öffentlichen Wahrnehmung immer mehr sozialwissenschaftlich geprägt war,
auch Außenseiter. In Heidelberg hatte er von 1976 bis 2003 eine Professur
inne, und vor allem dort wird sein Tod intensiv betrauert.
Ihr „kulturelles Gedächtnis“ entwickelten die Assmanns im Ausgang von
Denkern wie Aby Warburg, C. G. Jung und dem Widerstandskämpfer Maurice
Halbwachs, der von „kollektivem Gedächtnis“ gesprochen hatte. Sie schlossen
aber auch ans 19. Jahrhundert an, das sich mangels einer quantitativen
Sozialforschung dem Extrapolieren von „großen Linien“ und
Nationalcharakteren verschrieb, und einem Trend aus der Zeit unmittelbar
vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, als man nach metahistorischen Gründen
für die „deutsche Katastrophe“ (Meinecke) suchte.
Eine andere zentrale Referenz war Karl Jaspers, an dessen Topos der
„Achsenzeit“ Assmann in seiner Forschung zur Genese des Monotheismus
anschloss. In „Moses der Ägypter“ (1998) suchte der promovierte Ägyptologe
Assmann nicht nur den Nachweis für die längst bekannte These zu führen,
dass die Israeliten den Ein-Gott-Glauben aus dem Ägypten des Echnaton
übernommen hätten, sondern unterzog den Monotheismus wegen seines
Absolutheitsanspruchs einer Kritik. Das wurde ihm von einigen als
antijüdisch ausgelegt, worauf er 2003 mit „Die mosaische Unterscheidung“
reagierte.
Die bildungsbürgerliche Existenz, worunter man ursprünglich nicht den
Zahnarzt-, sondern den Gelehrtenhaushalt verstand, in dem die Bücher im
Regal auch gelesen und vor allem verstanden werden, schafft eine
intellektuelle und musische Geborgenheit – Assmann spielte und komponierte
klassische Musik –, in der im besten Fall „das Moralische sich von selbst
versteht“ (Hannah Arendt); aber sie kann auch dazu verleiten, von der
eigenen Einbettung in historische Linien und geistige Räume auf die
Verfassung ganzer Gesellschaften, den Zustand ganzer Epochen zu schließen,
die sich in ihrer nicht erst modernen Fragmentierung solchen Festlegungen
in der Regel entziehen.
Andererseits finden sich unter den solcherart Eingebetteten, die mit der
Zeit nicht mehr werden, nicht selten die brillantesten Köpfe und
tolerantesten Geister in einer immer mehr zur Spezialisierung neigenden
Geisteswissenschaft. Wie Assmanns Weggefährte Michael Wolffsohn es
ausdrückt: „Nur wenige Professoren sind Gelehrte. Professor Jan Assmann war
ein großer Gelehrter.“ Nun ist Jan Assmann im Alter von 85 Jahren in
Konstanz gestorben.
21 Feb 2024
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DIR Konstantin Sakkas
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