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       # taz.de -- Vor Abstimmung über Cannabis: Der Staat sagt Ja zum Joint
       
       > Am Freitag stimmt der Bundestag übers Cannabisgesetz ab. Polizei und
       > Justiz üben Kritik daran. Wie legal wird das Kiffen in Deutschland? Ein
       > Überblick.
       
   IMG Bild: Drei Topfpflanzen pro Nase sind erlaubt: Am 1. April soll das Cannabisgesetz in Kraft treten
       
       Berlin taz | An diesem Freitag stimmt der Bundestag über die teilweise
       Legalisierung von Cannabis ab. Mitnichten ein Nischenthema: Rund 4,5
       Millionen Konsument*innen gibt es allein unter den Erwachsenen. Seit
       Jahrzehnten wird teils hochemotional über eine Legalisierung gestritten –
       bis zuletzt. Ein Überblick mit den wichtigsten Fragen und Antworten.
       
       Wie viel Legalisierung kommt jetzt? 
       
       Von „Gebt das Hanf frei“ ist [1][das Gesetz] relativ weit entfernt.
       Sprechen wir also besser von einer Teillegalisierung, und die umfasst zum
       einen den nichtkommerziellen Anbau von Cannabis – im Eigenanbau oder in
       vereinsmäßig organisierten Cannabis-Clubs. Zum anderen wird der Besitz von
       bis zu 25 Gramm unterwegs und bis zu 50 Gramm zu Hause legalisiert. Im
       Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP war zudem eine „kontrollierte
       Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken an Erwachsene in lizenzierten
       Geschäften“ vorgesehen – diese Pläne wurden aber auf unbestimmte Zeit
       vertagt.
       
       Warum brauchen wir überhaupt eine Cannabislegalisierung? 
       
       Mit den Worten von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
       gesprochen: „Die jetzige Drogenpolitik ist gescheitert.“ In diesem Punkt
       herrscht relativer Konsens. Die [2][Konsument*innenzahlen bei jungen
       Erwachsenen] steigen seit Jahren und sind so hoch wie noch nie seit Beginn
       der Erfassung in den 1970er Jahren. Dabei gilt bei regelmäßigem Konsum die
       psychische Gesundheit von Heranwachsenden als besonders gefährdet. Die
       Illegalität hat allerdings breite Debatten und Forschung zu konkreten
       Risiken und verantwortungsvollem Konsum massiv erschwert. Auf dem
       Schwarzmarkt sind Produkte mit immer höherem Wirkstoffgehalt und
       gefährlichen Beimischungen unterwegs.
       
       Wer profitiert von der Legalisierung? 
       
       Das Gesetz eröffnet vor allem Menschen, die schon jetzt regelmäßig
       konsumieren, einen legalen und kontrollierten Zugang zu Cannabis. Bis zu
       drei Pflanzen dürfen Erwachsene zu Hause anbauen. [3][In den Clubs] können
       bis zu 500 Mitglieder mit Wohnsitz im Inland Cannabis gemeinschaftlich
       anbauen und untereinander zum Eigenkonsum abgeben – pro Tag höchstens 25
       Gramm je Mitglied und im Monat höchstens 50 Gramm. Außerdem soll es nach
       Inkrafttreten des Gesetzes eine Amnestie von Verurteilungen für Fälle
       geben, die künftig erlaubt sind.
       
       Das Gesetz sei für „einen sozial akzeptierten Normalkonsumenten“
       geschrieben, sagte jüngst die Aktivistin für mehr Gerechtigkeit im
       Justizsystem, [4][Mitali Nagrecha, im taz-Interview]. Diese seien schon
       jetzt weniger von Kriminalisierung betroffen. Gerade für Menschen mit wenig
       Ressourcen bleibe der Zugang erschwert. Auch Tourist*innen und
       Gelegenheitskonsument*innen werden weiter auf den Schwarzmarkt oder
       einen durch Weitergabe des legal angebauten Cannabis entstehenden Graumarkt
       angewiesen sein.
       
       Wer ist für die Legalisierung? 
       
       Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, spricht sich
       klar für eine Legalisierung aus. In einem offenen Brief erklärten in dieser
       Woche auch rund [5][30 Expert*innen aus Forschung, Medizin, Suchthilfe
       und Justiz] ihre Unterstützung für das Gesetz. Vertreter*innen der
       Konsumierenden befürworten freilich die Legalisierung, die konkrete
       [6][Umsetzung ist ihnen aber zu bürokratisch und restriktiv]. In Umfragen
       hat die Zustimmung zur Legalisierung in Deutschland zwar in den vergangenen
       zehn Jahren zugenommen, das Meinungsbild bleibt aber gespalten.
       
       Wer ist gegen die Legalisierung? 
       
       Neben CDU/CSU laufen vor allem zwei Gruppen Sturm. Da sind zunächst einmal
       Mediziner*innen und Psycholog*innen. In Stellungnahmen [7][betont etwa
       die Bundesärztekammer] die Gefahr eines steigenden Konsums und die Zunahme
       behandlungsbedürftiger cannabisbezogener Störungen bei jungen Menschen.
       Lauterbachs Ministerium plant eine millionenschwere Kampagne mit
       Informations-, Aufklärungs- und Präventionsangeboten, die sich vor allem an
       Menschen bis 25 richten soll.
       
       Wie stehen Polizei und Justiz den Plänen gegenüber? 
       
       Vertreter*innen von Polizei und Justiz sind zwar nicht grundsätzlich
       gegen eine Legalisierung, üben aber heftige Kritik an der nun geplanten
       Umsetzung. So warnte der Richterbund in dieser Woche vor einer massiven
       Überlastung der Justiz, sollte der geplante rückwirkende Straferlass zum 1.
       April in Kraft treten. Allein am Amtsgericht Köln würde die Bearbeitung der
       Fälle ein Jahr dauern. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert einen
       Stopp der Legalisierungspläne, weil diese in der Praxis nicht umsetzbar
       seien und die geplanten Ziele nicht erreiche. So könnte die Polizei nicht
       unterscheiden, ob jemand als Dealer*in illegal Cannabis mit sich führe
       oder als Konsument*in legal. Diverse Landes- und Innenpolitiker
       schlossen sich der Perspektive von Polizei und Justiz an.
       
       Kann die Abstimmung im Bundestag noch schiefgehen? 
       
       Mit einigen Gegenstimmen aus der SPD kann gerechnet werden, dafür dürften
       aus den Reihen der Linken und dem Bündnis Sahra Wagenknecht Zustimmung
       kommen. Der Gesundheitsminister zeigte sich am Tag vor der finalen
       Abstimmung sehr zuversichtlich, dass sein Gesetz so angenommen wird. Die
       Bundesländer können deren Inkrafttreten allerdings noch im Bundesrat
       verzögern – was den 1. April als Starttermin gefährden könnte.
       
       Was bedeutet das Gesetz für Cannabispatient*innen? 
       
       Medizinisches Cannabis, zum Beispiel zur Behandlung starker Schmerzen, kann
       seit 2017 verschrieben werden. Cannabispatient*innen beklagen allerdings
       regelmäßig die schwierige Versorgungslage und leidvolle Erfahrungen mit der
       Polizei. Im Zuge der Teillegalisierung fällt auch Medizinalcannabis aus dem
       Betäubungsmittelgesetz. Expert*innen erwarten daher gewisse
       Erleichterungen in der Versorgung. Einige Cannabispatient*innen
       befürchten dagegen noch mehr Restriktionen, weil etwa die Abstandsgebote
       beim Konsum, die mit der Legalisierung eingeführt werden (in einer
       Entfernung von 100 Metern zu Kinder- und Jugendeinrichtungen wie Schulen
       darf nicht konsumiert werden) auch bei medizinischem Gebrauch gelten
       sollen.
       
       Welche Fragen müssen noch geklärt werden? 
       
       Da sind allen voran die Grenzwerte im Straßenverkehr. Eine besondere
       Herausforderung ist, dass Cannabis noch Wochen nach dem Konsum im Blut
       nachgewiesen werden kann, ohne die Fahrtüchtigkeit einzuschränken.
       
       Und wenn die Kritiker*innen recht behalten und durch das Gesetz alles
       noch schlimmer wird? 
       
       Ursprünglich sollte nach zwei Jahren, inzwischen spätestens nach 18 Monaten
       evaluiert werden, welche Effekte die Teillegalisierung auf den
       Schwarzmarkt, auf die Konsument*innenzahlen, auf Notfälle gerade bei
       Kindern und Jugendlichen und Verkehrsunfälle haben. Es gibt zwar
       Erfahrungen aus anderen Ländern, die sich schon vor Jahren auf den Weg zur
       Legalisierung machten – allerdings sind die Unterschiede in der konkreten
       Umsetzung erheblich.
       
       Wann kann denn nun der erste legale Joint zu Genusszwecken geraucht werden? 
       
       Sollte das Gesetz am Freitag den Bundestag und dann auch zügig den
       Bundesrat passieren, dann tritt es zum 1. April in Kraft. Ab da kann der
       Eigenanbau starten, ab 1. Juli könnten die Cannabis-Clubs den
       gemeinschaftlichen Anbau aufnehmen. Wie schnell dann geerntet werden kann,
       dürfte von Anbaugeschick, -equipment und Sorte abhängen.
       
       22 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://dserver.bundestag.de/btd/20/087/2008704.pdf
   DIR [2] https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/BZgA_Alkoholsurvey_2021.pdf
   DIR [3] /Cannabis-Social-Clubs/!5950679
   DIR [4] /Aktivistin-ueber-Cannabis-Legalisierung/!5987739
   DIR [5] https://schildower-kreis.de/wp-content/uploads/CanG-Saeule-1_Offener-Brief_MdB.pdf
   DIR [6] /Club-Vorsitzender-ueber-Cannabis-Gesetz/!5950307
   DIR [7] https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Politik/Stellungnahmen/Cannabisgesetz_SN_BAEK_24072023_final.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manuela Heim
       
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