# taz.de -- Antisemitismus auf der Berlinale: Im falschen Film
> Auf einem Instagram-Kanal der Berlinale tauchten israelfeindliche Posts
> auf. Das zeigt: Auch in der Filmwelt ist Antisemitismus verbreitet.
IMG Bild: „Cease Fire Now“-Forderung auf dem Rücken von Jurymitglied Verena Paravel, während sie den Preis für „No Other Land“ überreicht
Hat die Berlinale ein Antisemitismusproblem? Seit dem Wochenende stellt
sich diese Frage. Auf der [1][Preisverleihung des Filmfestivals am
Sonnabend] hatte es neben Solidaritätsbekundungen mit „Palästina“ in Wort
und Bild – Juroren trugen Stoffteile mit „Cease Fire Now“-Aufdruck,
Preisträger erschienen mit Palästinensertuch auf der Bühne – auch direkte
Kritik an Israel gegeben.
Von „Genozid“ war die Rede, als der Dokumentarfilm „No Other Land“ eines
israelisch-palästinensischen Kollektivs als bester Dokumentarfilm geehrt
wurde. All das geschah unter Beifall aus dem Publikum. Am Sonntag erschien
dann ein Post auf dem Instagram-Kanal der Berlinale-Sektion „Panorama“, der
ein Foto von zerstörten Häusern im Gazastreifen mit dem Schriftzug „The
Zone of Interest“ versah.
Dieses „Interessengebiet“ ist historisch das Gelände des KZ Auschwitz, in
dieser Woche startet in den deutschen Kinos zudem [2][Jonathan Glazers
Spielfilm „The Zone of Interest“] über den Auschwitz-Kommandanten Rudolf
Höß. Auf X kommentierte der Grünen-Politiker Volker Beck: „Das
Ungeheuerlichste ist diese Kachel. Es ist eine Gleichsetzung von Gaza &
Auschwitz durch Kombination von Gaza mit dem Auschwitzfilm ‚Zone of
interest‘.“
Die Berlinale gab nach dem Bekanntwerden des Posts bekannt, ihr Account sei
gehackt worden. Dass diese Antwort skeptische Reaktionen hervorrief, ist
unabhängig von der Frage, ob die Begründung stimmt, ein Zeichen dafür, dass
die Berlinale seit dem Wochenende ein Problem mit Antisemitismus hat. Damit
wäre sie die zweite internationale Kulturveranstaltung in Deutschland, die
in dieser Hinsicht auffällt.
## Brücken einreißen
Zuvor hatte [3][2022 die Kasseler Kunstausstellung documenta fifteen für
Diskussionen gesorgt], weil dort vorübergehend antisemitische Kunstwerke
ausgestellt waren, ohne dass die Kuratoren des indonesischen Kollektivs
Ruangrupa sich überzeugend distanziert hätten.
Was den Skandal, mit dem sich die Berlinale konfrontiert sieht, so
überraschend macht, war der zuvor eher ruhige Verlauf des Filmfestivals.
Allerdings hatte bei einzelnen Veranstaltungen die Stimmung im Publikum
merklich in eine Richtung tendiert.
Der israelische Regisseur Amos Gitai sah sich bei der Premiere seines Films
„Shikun“ etwa mit der Bitte eines Zuschauers konfrontiert, Gitai möge
Kulturstaatsministerin Claudia Roth bitten, auf die Bundesregierung
einzuwirken, ihre diplomatischen Beziehungen zu Netanjahus Regierung zu
kappen. Worauf der Regisseur souverän erwiderte, er sei studierter
Architekt und mehr daran interessiert, Brücken zu bauen, als sie
abzubrechen.
Die Bereitschaft zum Brückenbauen war am Wochenende nicht zu erkennen. Die
Solidarität mit Israel, die verspätet nach dem 7. Oktober aus der Kultur in
Deutschland bekundet wurde, wirkte bei der Preisverleihung wie weggefegt.
Dass die scheidende Berlinale-Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek zu
Beginn an das Massaker der Hamas vom 7. Oktober erinnerte, half wenig. Sie
blieb als Stimme eine viel zu kleine Minderheit.
## Kein Wort der Kritik
Dass inzwischen Kritik an Claudia Roth laut wurde, unterstreicht den Ernst
der Schieflage. So forderte Volker Beck von seiner Parteikollegin im
rbb-Sender Radio 1 eine Strategie, „wo man antisemitismuskritische Stimmen
stärkt und diese Sache nicht einfach laufen lässt“. Auch warf er ihr vor,
er habe von ihr, die bei der Preisverleihung zugegen war, „noch kein Wort
der Kritik gehört“.
Die Berlinale muss seit Jahren um ihre internationale Bedeutung fürchten.
Sie muss jedoch vermeiden, sich dem international dominierenden
propalästinensischen „Mainstream“ anzubiedern, auch in ihren einzelnen
Sektionen. Das Bekenntnis „Hass steht nicht auf unserer Gästeliste“, von
Rissenbeek griffig formuliert, geriete sonst zum leeren Werbeslogan. Wenn
die Berlinale weiter als Kulturveranstaltung des Bundes ernst genommen
werden will, muss sie glaubwürdig sein.
26 Feb 2024
## LINKS
DIR [1] /Goldener-Baer-fuer-Doku-ueber-Restitution/!5991919
DIR [2] /Filmfestspiele-in-Cannes-2023/!5933158
DIR [3] /Symposium-zur-documenta-15/!5974450
## AUTOREN
DIR Tim Caspar Boehme
## TAGS
DIR IG
DIR Israel
DIR Antisemitismus
DIR Palästina
DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
DIR GNS
DIR Gaza
DIR Schwerpunkt Berlinale
DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
DIR taz Plan
DIR taz Plan
DIR Schwerpunkt Berlinale
DIR taz Plan
DIR Universität der Künste Berlin
DIR taz Plan
DIR Schwerpunkt Berlinale
DIR Antisemitismus
DIR Schwerpunkt Berlinale
DIR Schwerpunkt Berlinale
DIR Arbeitskampf
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Nahost-Konflikt bei den Oscars: Geschichte, verzerrt
In seiner Oscar-Rede thematisierte Regisseur Glazer den Nahost-Konflikt.
Seine Formulierung wird von 1.000 jüdischen Filmleuten kritisiert.
DIR Kinotipp der Woche: Kein Denkmal
Mit „Fassbinder. Tausende von Spiegeln“ liefert Ian Penman weit mehr als
die Werkbiografie eines großen Regisseurs der deutschen Nachkriegszeit.
DIR Kinoempfehlungen für Berlin: Menschen in Landschaften
Eine Retrospektive würdigt die Zusammenarbeit von Thomas Plenert und Volker
Koepp. Das Filmmuseum Potsdam zeigt die Stummfilmkomödie „Jüdisches Glück“.
DIR Streit um die Berlinale: Detonation in Zeitlupe
Die 74. Berlinale endete mit einem Eklat. Nicht als Knall, sondern täglich
eskalierend. Wer äußerte sich wie zur politischen Schlagseite der Gala?
DIR Kinoempfehlungen für Berlin: Gewalt den Landschaften
Das Arsenal befasst sich mit der Trilogie im Film, das Babylon Mitte
würdigt Francis Ford und Sophia Coppola in
Vater-Tochter-Doppelretrospektive.
DIR Debatte an der UdK Berlin: Diskurs? Festgefahren
Kann man derzeit an Hochschulen wirklich offen diskutieren? Ein Lagebericht
aus der Universität der Künste in Berlin.
DIR Kinotipp der Woche: Nur keine Ordnung
Zusammenhalt statt großer Coup: In seinem Film „Am Tag, als der Regen kam“
von 1959 zeigt Gerd Oswald eine Gruppe Kleinganoven in ganz anderem Licht.
DIR Empörung über die Berlinale: Der Ruf nach Konsequenzen
Nach den vorwiegend propalästinensischen Statements auf der Bühne schlägt
die offizielle Kulturpolitik Alarm. Ist das noch gerechtfertigt?
DIR Israel-Kritik auf der Berlinale: Aktionen ohne Ambivalenzen
Die Protestrede eines Regisseurs auf der Berlinale zeigt: Manchen
Kulturschaffenden fehlt der Sinn für die wichtigen Nuancen des
Nahost-Konflikts.
DIR Goldener Bär für Doku über Restitution: Stimmen aus dem Jenseits
Wieder gewinnt ein Dokumentarfilm die Berlinale. „Dahomey“ von Mati Diop
begleitet die Rückgabe von Raubkunst aus Frankreich nach Benin.
DIR Denkräume am Rande der Berlinale: Einladung in den „Braver Space“
Der Jude Shai Hoffmann und der Palästinenser Ahmad Dakhnousn luden zum
Gedankenaustausch über Israel/Palästina ein.
DIR Konflikte um die Berlinale: Politisch jenseits der Leinwand
Ob Proteste gegen die AfD, Arbeitsbedingungen oder den Nahostkonflikt: Die
74. Filmfestspiele sind Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte