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       # taz.de -- „Angry Women“-Konzert in Berlin: Zornige Frauen, wenig Wut
       
       > „Angry Women“ auf der Bühne: Zum internationalen Frauentag spielten vier
       > Musikerinnen mit ihren Bands in der Schöneberger Zwölf-Apostel-Kirche.
       
   IMG Bild: Hazel Iris bei „Angry Women“ in Berlin
       
       Im Jahr 1996 erschien „Angry Women in Rock“ von Andrea Juno: eine Sammlung
       von Interviews mit musizierenden Frauen verschiedener Generationen und
       Szenen. Chrissie Hynde von der New-Wave-Band Pretenders erzählte dort
       ebenso über ihre Erfahrungen wie [1][Kathleen Hanna von Bikini Kill.] Es
       steckte eine Menge in dem Buch, dementsprechend eifrig wurde es seinerzeit
       herumgereicht – auch wenn Juno mit ihrer Fixierung auf Gitarrenmusik schon
       für damalige Verhältnisse nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit war. Das
       Buch trug den Zusatz „Vol. 1“ – doch Teil zwei lässt bis heute auf sich
       warten.
       
       Immerhin gab es am vergangenen Freitag eine musikalische Fortschreibung.
       Vier in Berlin beheimatete Musikerinnen – Joanna Gemma Auguri, Hazel Iris,
       Anchoress und Aniqo – brachten zum Frauentag ein schwelgerisches Konzert in
       der Schöneberger Zwölf-Apostel-Kirche auf die Bühne – unter dem Motto
       „Angry Women“ nahmen sie dabei explizit auf Junos Buch Bezug. Zwischendurch
       wurde daraus sogar vorgelesen, was akustisch aber etwas unter die Räder
       kam. Irgendwie ging es um Bell Hooks – immerhin ein Reminder, bei der 2021
       gestorbenen afroamerikanischen Literaturwissenschaftlerin mal wieder
       reinzugucken.
       
       Vieles hat sich seither auf dem weiten Feld der Geschlechterverstrickungen
       verschoben, doch Gründe für Frauen, ob der Verhältnisse im Popbetrieb und
       ganz allgemein „ungehalten“ oder auch „wütend“ zu sein – die Vokabel
       „angry“ deckt ja so einiges ab – gibt es nach wie vor zuhauf: gerade in
       Anbetracht dessen, dass man sich in den Kulturnischen ja gerne besonders
       progressiv findet und vor lauter Kleinklein verpennt, dem Backlash da
       draußen etwas entgegenzusetzen.
       
       ## Androgyne Stimme
       
       Nach einem kurzen Prolog, bei dem die vier Musikerinnen zusammen vom
       „change to come“ künden, eröffnet Hazel Iris ihr Set mit einer schön
       schwebenden Coverversion von PJ Harveys bluesigem „Down By The Water“ – was
       natürlich super ist, als Kopfnicken in Richtung einer Frau, die schon früh
       Wege gefunden hat, mit dem Zuschreibungsquatsch im Popbetrieb umzugehen,
       aber als Einsteig auch für latente Verwirrung sorgt. Wird das jetzt eine
       Revue mit Coverversionen von „Angry Women“?
       
       Auf Ansagen verzichtet Hazel Iris jedenfalls, wie auch die nachfolgenden
       Künstlerinnen. Nun, da es keine weiteren Wiedererkennungsmomente gibt,
       handelt es sich bei den folgenden Stücken offenbar um Eigenkompositionen
       der ausgebildeten Opernsängerin, die aus Kalifornien nach Berlin kam.
       Dreampop mit tollen Dynamiken, gelegentlich mäandern sie Richtung
       flirrender Psychedelik, was sehr schön und viel zu schnell vorbei ist. Aber
       klar, der Abend ist vollgepackt und entsprechend straff organisiert.
       
       Danach präsentiert Anna Lucia Nissen alias Anchoress ihre tolle androgyne
       Stimme, die gerne ein bisschen mehr Raum haben dürfte. Der Alias verweist
       übrigens nicht auf die weibliche Form eines Ankers, was auch immer das
       genau bedeuten könnte, sondern heißt Einsiedlerin – wonach der bisweilen
       recht arg wuchtige Sound eigentlich gar nicht klingt.
       
       ## Komfortzone und Gefängnis
       
       Etwas avantgardistischer wird es dann bei Joanna Gemma Auguri, trotz des
       klassisch-folkloristischen Instrumentariums. Unterstützen lässt sich die
       Songwriterin von der Cellistin Isabelle Klemt. Sie selbst switcht zwischen
       Zither und Akkordeon. Letzteres nutzt sie für toll grummelnde Drones,
       fernab der quietschig quetschkommodigen Anmutung, die das Instrument auch
       haben kann.
       
       Im kommenden Juni wird Auguris zweites Soloalbum erscheinen: „Hiraeth“ soll
       es heißen, was aus dem Walisischen kommt, eigentlich unübersetzbar ist und
       so etwas wie Sehnsucht vermischt mit einem Gefühl von Verlust bedeutet –
       eine recht treffende Beschreibung von Auguris Sound. Der unlängst vorab
       erschienene Song „Breakout“ mit den Zeilen „Let me overcome the borders of
       myself! Let me break out of here!“ fügt sich bestens in das Thema des
       Abends. Denn ebendas sind Geschlechterzuschreibungen allzu oft: Komfortzone
       und Gefängnis zugleich.
       
       Zum schwungvollen Abschluss tritt dann Anita Goß aka Aniqo mit einer
       ausladenden Band auf, auch dieser tollen Spielart von Dark Pop würde man
       gern länger lauschen. In gewisser Weise hatte Goß den ersten Anstoß für
       diesen Abend gegeben, als sie 2022 den Female Creators Space gründete, eine
       „konkurrenzfreie, empathische Austauschplattform für Kreative mit einer
       weiblichen Geschlechtsidentität“. Momentan gehören ihm zwölf Musikerinnen
       an. Vier davon haben diesen Abend auf die Beine gestellt, der sich als eine
       runde, trotz allem „anger“ recht wohlige Sache erwies – obgleich die
       introspektive, melancholische Gesamtanmutung ein paar Brüche hätte
       vertragen können. In die sakralen Räumlichkeiten hat sie zwar bestens
       gepasst, aber ein bisschen Wut wäre auch nicht schlecht gewesen.
       
       10 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
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