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       # taz.de -- Spaniens Rechte: Verdrehte Tatsachen
       
       > 20 Jahre nach den Terrorattentaten tut sich Spaniens Rechte noch immer
       > schwer mit den wahren Hintergründen. Und hält sich lieber an Fake News.
       
   IMG Bild: Ausgangspunkt von Fake News: Bombenanschläge auf Züge mit 193 Toten in Madrid am 11. März 2004
       
       Kaum ein Land in Europa ist so gespalten wie Spanien. Die
       Oppositionspolitik der Rechten besteht darin, zu beleidigen, zu lügen und
       die Institutionen zu nutzen, wo immer diese von Sympathisanten der
       rechtskonservativen Partido Popular (PP) oder der rechtsextremen Vox
       kontrolliert werden. „Crispación“– ständige „Gereiztheit“ oder „Anspannung“
       – nennen dies die Spanier. Das Ziel lautet, die politische Mitte zu
       zerstören, um so die Zahl der Wechselwähler zu reduzieren.
       
       Alles begann an einem Tag, der sich jetzt zum 20. Mal jährt – am 11. März
       2004. Spanien wurde Opfer des größten islamistischen Anschlags auf
       europäischem Boden. Bomben auf Nahverkehrszüge forderten 193 Tote und über
       2.000 Verletzte, und das nur drei Tage vor den Parlamentswahlen, bei denen
       der Konservative Mariano Rajoy von der PP seinen noch regierenden
       Parteichef José María Aznar beerben sollte. Spanien war unter der Regierung
       von Aznar am Krieg gegen den Irak beteiligt.
       
       Der Preis: Massenproteste gegen den Irakkrieg, die auch im konservativen
       Lager auf Sympathien stießen. Bomben auf Züge, als islamistische Antwort
       auf die Kriegsbeteiligung? Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Die
       Regierung unter Aznar erklärte die baskische Separatistenorganisation ETA
       zum Drahtzieher des Terrors und hielt selbst dann noch daran fest, als
       längst alle Indizien und Erklärungen aus dem ETA-Umfeld dagegen sprachen.
       
       Das ging so weit, dass das staatliche Fernsehen ein Exklusivinterview mit
       Präsident George W. Bush nicht ausstrahlte, weil der US-Präsident von
       al-Qaida im Zusammenhang mit den Bomben von Madrid sprach. Aznar und sein
       enges Umfeld riefen bei den Chefredakteuren der großen Tageszeitungen des
       Landes an, um auf ETA als Urheber hinzuweisen. Es gäbe keinerlei Beweise,
       dass dem nicht so sei, widersprachen sie dem, was die Polizei vor Ort nach
       und nach aufdeckte.
       
       ## Keine Entschuldigung
       
       Die PP wollte sich mit Lügen hinüberretten auf den Tag nach der Wahl. Die
       Strategie ging nicht auf. Zehntausende demonstrierten am Vorabend des
       Urnengangs vor der PP-Zentrale in Madrid unter dem Ruf „Euer Krieg, unsere
       Toten“. Der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero zog in den
       Regierungspalast ein.
       
       Bis heute, 20 Jahre später, hat sich niemand aus den Reihen der damaligen
       Regierung für ihre Kampagnen zur Verdunkelung der Urheberschaft
       entschuldigt, nicht bei denen, die in der rechten Presse ihren Job
       verloren, die sich weigerten, Lügen zu verbreiten, nicht bei den
       Sozialisten, die in den Pressekonferenzen des damaligen Innenministers als
       Nutznießer der Anschläge hingestellt wurden, und schon gar nicht bei den
       Opfern.
       
       Nachdem die PP die Wahlen verloren hatte, sollte nichts mehr sein, wie es
       war. Die Anschläge am 11. März 2004 waren das Ende einer konservativen
       Oppositionspolitik, die noch im Entferntesten als konstruktiv bezeichnet
       werden könnte. Eine Regierung Linker galt der Rechten per se als nicht
       legitim. Die Konservativen beschuldigen die Sozialisten, die Einheit
       Spaniens und seine Traditionen zerstören zu wollen.
       
       Sobald die Sozialisten regieren, schafft die Rechte ein unerträgliches und
       erdrückendes politisches und dadurch auch soziales Klima. Bei dieser
       Strategie zieht Aznar bis heute wichtige Fäden. Egal ob Politiker aus den
       Reihen der PP, der mittlerweile untergegangenen rechtsliberalen Ciudadanos
       oder der rechtsextremen VOX – viele sind durch die Schule der von Aznar
       geführten Stiftung FAES gegangen und haben dort gelernt, das politische
       Klima aufzuheizen.
       
       ## Geburtsstunde der Fake News
       
       Der 11. März 2004 war auch die Geburtsstunde der Fake News in der
       spanischen Politik. Der PP wohlgesonnene Tageszeitungen sowie von ihr
       finanzierte Internetportale versuchten, Verbindungen zu ETA herzustellen –
       selbst nach abgeschlossenem Gerichtsverfahren, bei dem eindeutig die
       Urheberschaft aus Marokko und Tunesien stammender Al-Qaida-Anhänger
       festgestellt werden konnte. Teile der Polizei seien ebenso wie die
       Sozialisten in eine groß angelegte Kampagne verstrickt gewesen, um die
       Konservativen zu stürzen.
       
       Selbst heute schafft es ein Buch mit dem Titel „Die verheimlichten
       Hintergründe des 11. März – 20 Jahre auf der Suche nach Wahrheit“ in nur
       zwei Wochen auf Platz 6 der Sachbuch-Bestsellerliste. Die Rechte denkt sich
       eine Fake News nach der anderen aus: So etwa, als klar wurde, dass
       Zapateros Sozialisten letztendlich erfolgreich bewirken konnten, dass ETA
       für immer die Waffen niederlegt.
       
       Das Innenministerium habe die bewaffnete Organisation vor Polizeiaktionen
       gewarnt, ließ die PP verbreiten und mobilisierte Zehntausende unter dem Ruf
       „Verräter“ auf die Straße. Oder bei der [1][Coronapandemie]: Der Virus habe
       sich dank der Frauendemo am 8. März 2020 verbreitet. Spaniens Rechte hat es
       in den letzten 20 Jahren verstanden, gemeinsam mit Unternehmern und der
       Kirche, große Teile der Presse zu kontrollieren. Gleichzeitig blockiert sie
       die Erneuerung der Institutionen, wo immer möglich.
       
       So weigert sich die PP, dem verfassungsmäßigen Auftrag nachzukommen,
       gemeinsam mit der Regierung den Consejo General del Poder Judicial, den
       Obersten Justizrat – eine Art Regierung der Richter, die dann ihrerseits
       die obersten Etagen der Gerichte organisieren – turnusmäßig frisch zu
       besetzen. Die [2][PP will ihren Einfluss an den obersten Gerichten] dort
       auf keinen Fall aufgeben und sie weiß ihn zu nutzen. Nicht nur, wenn die PP
       regiert, instrumentalisiert sie Polizei und Justiz gegen politische Gegner.
       
       Auch jetzt begleiten konservative Richter jeden Schritt, den die Regierung
       Sánchez in Richtung [3][Amnestie für hunderte von
       Unabhängigkeitsbefürwortern] vorantreibt, die 2017 trotz Verbot durch die
       damalige Rechtsregierung in Madrid ein Referendum über die Loslösung
       Kataloniens von Spanien abhielten. Sie leiten neue Ermittlungen unter
       teilweise grotesken Vorwürfen ein – auch gegen den im Exil lebenden
       katalanischen Ex-Präsidenten Carles Puigdemont.
       
       11 Mar 2024
       
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   DIR Reiner Wandler
       
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