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       # taz.de -- Rechtsruck in Europa: Europäischer Wettstreit um Ängste
       
       > Österreich, Niederlande, Griechenland, Italien: Fast überall in der EU
       > erhält die extreme Rechte Aufwind. Das wird auch die Europawahlen
       > beeinflussen.
       
   IMG Bild: Wär wohl gern wie Viktor Orbán: FPÖ-Chef Wolfgang Kickl
       
       Berlin taz | Das Wahlvolk in Österreich ist wenig nachtragend: Der Skandal
       um das Ibiza-Video vom Mai 2019, bei dem der damalige FPÖ-Vizekanzler
       Heinz-Christian Strache freimütig über die Umgestaltung Österreichs zur
       Autokratie nachdachte, ist vergessen. [1][Die FPÖ] liegt mit rund 30
       Prozent in den Umfragen stabil vorn. Auf Wiener Bühnen laufen
       Diskussionsrunden mit Titeln wie „Wer hat Angst vor Herbert Kickl? Was mit
       Österreich passiert, wenn der FPÖ-Chef regiert“. Kickl sagt selbst gern,
       dass er in jenem Fall dem autoritären ungarischen Ministerpräsidenten
       Viktor Orbán nacheifern wolle. Österreich brauche „a bisserl mehr
       ungarische Paprika, a bisserl mehr ungarische Chili“, so Kickl.
       
       Fast überall in der EU ist die extreme Rechte im Aufwind. „Bei den Wahlen
       zum Europaparlament 2019 bestand der zentrale Machtkampf zwischen
       Populisten, die der europäischen Integration den Rücken kehren wollten, und
       Mainstream-Parteien, die das europäische Projekt vor Brexit und Trump
       retten wollten“, sagt der Politikwissenschaftler Mark Leonard vom European
       Council on Foreign Relations. „Doch diesmal wird es ein Wettstreit zwischen
       miteinander konkurrierenden Ängsten vor steigenden Temperaturen,
       Zuwanderung, Inflation und militärischen Konflikten.“ Dank heißlaufender
       Propagandaschlachten in den sozialen Medien liegt die extreme Rechte oft
       vorn.
       
       In den Niederlanden etwa kam im November der [2][Islamkritiker Geert
       Wilders] mit rund 23,5 Prozent auf Platz eins. Die anderen Parteien haben
       bisher keine Bereitschaft gezeigt, mit ihm zu koalieren – unter anderem,
       weil Wilders Hilfen für die Ukraine lange ablehnend gegenüberstand. Eine
       Minderheitsregierung scheint für Wilders indes möglich.
       
       Spätestens seit in Frankreich Präsident Emanuel Macron im April 2023 sein
       Lieblingsprojekt, die schwer unpopuläre Rentenreform, durchsetzte, stehen
       die rechtsextreme Marine Le Pen und ihr Rassemblement National mit zuletzt
       knapp 30 Prozent auf Platz eins der Umfragen. Macron hatte in der
       Ukraine-Frage zuletzt mit dem Gedanken an EU-Bodentruppen gespielt, was in
       Frankreich auf Skepsis stieß. Die seit jeher als russlandnah bekannte RN
       schlachtete dies direkt aus: „Macrons kriegerische Haltung, die das
       Entsenden französischer Soldaten nicht ausschließt, beunruhigt das Land“,
       sagte Parteichef Jordan Bardella.
       
       Hart nach rechts gerückt ist auch Griechenland. Dort hatte die
       [3][konservative Nea Dimokratia] 2019 die linke Syriza abgelöst. Die
       Regierung des Premierministers Kyriakos Mitsotakis hat seither zunehmend
       autoritäre Züge gezeigt, sodass nur noch wenig programmatische Distanz zur
       extremen Rechten besteht. Unliebsame Journalist:innen werden mit
       Spyware überwacht, im Grundrechte-Ranking der NGO Civicus kommt
       Griechenland nur noch auf 58 von 100 Punkten.
       
       Kein Durchmarsch bei Europawahlen 
       
       Auch Skandinavien galt lange als feste Bank für die Sozialdemokratie. Heute
       ist das anders: In Finnland wurden die [4][rechtsextremen „Wahren Finnen“]
       bei der Parlamentswahl 2023 mit 20,1 Prozent zweitstärkste Partei. Sie
       regieren seither mit dem Wirtschaftsliberalen Petteri Orpo. Die vor allem
       im Ausland so beliebte Sozialdemokratin Sanna Marin musste gehen und
       arbeitet heute bei einem Thinktank des britischen Ex-Premiers Tony Blair.
       In Spanien ist die rechtsextreme Vox auf dem Vormarsch, in Italien hat die
       postfaschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in den ersten 15
       Monaten ihrer Amtszeit nichts an Popularität eingebüßt.
       
       Bei den EU-Wahlen im Juni wird der Rechtsruck deutlich durchschlagen. Einen
       Durchmarsch wird es allerdings wohl nicht geben. Jüngsten Umfrageanalysen
       des Magazins Politico zufolge könnten die beiden extrem rechten Fraktionen
       ID und EKR von derzeit 128 auf zusammen etwa 160 Sitze wachsen. Sie blieben
       damit aber immer noch weit hinter der konservativen EVP mit rund 175 und
       der sozialdemokratischen S&D-Fraktion mit 136 Sitzen zurück.
       
       11 Mar 2024
       
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