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       # taz.de -- Proteste bei Holocaustmuseum-Eröffnung: Ein bitterer Kontext
       
       > In Amsterdam eröffnet das Holocaustmuseum als erstes seiner Art in den
       > Niederlanden. In der Stadt kommt es zu propalästinensischen
       > Demonstrationen.
       
   IMG Bild: König Willem-Alexander bei einer Führung durch das Holocaustmuseum in Amsterdam
       
       Ein Meilenstein sollte er sein, dieser 10. März: der Tag, [1][an dem das
       Nationale Holocaustmuseum der Niederlande seinen Platz in der
       niederländischen Museumslandschaft einnimmt] und damit die Verfolgung und
       Ermordung der jüdischen Bevölkerung des Landes den ihren im kollektiven
       Gedächtnis. So jedenfalls drückte es Direktor Emile Schrijver aus, zu
       Beginn des Festakts in der berühmten Portugiesischen Synagoge Amsterdams,
       die ein paar Ecken entfernt liegt.
       
       Was Konzept und Architektur angeht, hat man – nach jahrzehntelangem
       „Unvermögen, mit dem Mord umzugehen“ (Schrijver) – einiges in Bewegung
       gesetzt. Das ehemalige Schulhaus, in dem einst protestantische
       Lehrer*innen ausgebildet wurden, ist mit viel hellem Holz und
       Lichteinfall kein Ort, der die Atmosphäre des Grauens hervorrufen will.
       
       Auch die Interaktion mit dem Außenbereich trägt dazu bei, etwa durch
       lebensgroße Porträtaufnahmen von Kindern, die hier einst vor der
       Deportation gerettet wurden. Von der Sammelstelle auf der anderen
       Straßenseite brachte man sie bis zum geplanten Abtransport ihrer Familie in
       die jüdische Kita nebenan – und in unbemerkten Augenblicken über die Schule
       in ein Versteck.
       
       Dass man auch die Geschichte der Rettung erzählen will, liegt nahe an
       diesem Ort, an dem finsterste Abgründe und Lichtblicke eine Straßenseite
       voneinander entfernt lagen. Schrijver und Annemiek Gringold, die
       Konservatorin, kündigten im Vorfeld der Eröffnung an, man wolle den Opfern
       ihre Menschlichkeit zurückgeben. In der Ausstellung sind persönliche
       Gegenstände zu sehen: eine Tasche, eine Trinkflasche, zwei Zöpfe, die
       Rozette van Dijk ihrer Tochter Elisabeth abschnitt, als diese im KZ
       Bergen-Belsen an Läusen litt.
       
       ## Tragische Rolle des „Jüdischen Rats“
       
       Auch die 19 „Vergiss-mein-nicht-Installationen“ tragen dazu bei, die
       verteilt über die Dauer-Ausstellung auf die Schicksale einzelner Ermordeter
       zoomen. In unmittelbarer Nähe freilich findet sich die Personenkartei des
       „Jüdischen Rats“, von den deutschen Besetzern ins Leben gerufen. Das
       Gremium, dessen tragischer Rolle sich aktuell die niederländische TV-Serie
       „De Joodse Raad“ annimmt, gab manchen die Illusion, das Schlimmste
       verhindern zu können. Am Ende stand die Ermordung von drei Vierteln der
       jüdischen Bevölkerung des Landes.
       
       Dass dieser Teil der Geschichte nun sein eigenes Museum hat, schafft
       Anerkennung für die Opfer und ihre Nachkommen. [2][Die niederländische
       Gesellschaft begegnete den Überlebenden lange mit Desinteresse und
       Schweigen.] Bis heute wird der Holocaust selten benannt, sondern eher
       mitgedacht, wenn von „dem Krieg“ die Rede ist. Doch es gibt noch einen
       anderen Effekt des Nationaal Holocaust Museum: Das Jüdische Museum (ehemals
       „Jüdisch-Historisch“) wird von der Aufgabe befreit, sich bei der
       jahrhundertelangen jüdischen Geschichte der Niederlande [3][auf die Epoche
       der Schoa] zu konzentrieren.
       
       Dass es im neuen Haus mittelfristig Sonderausstellungen geben wird,
       kündigten Gringold und Schrijver bereits an. Der Themenkomplex Schoa soll
       auch diskursiv angegangen werden. „Der Terrorangriff des 7. Oktober, der
       schreckliche Krieg, der darauf folgte, und der beunruhigende Anstieg von
       Antisemitismus, gerade auch in den Niederlanden, verleihen dem Ganzen einen
       bitteren Kontext“, so der Direktor in seiner Ansprache.
       
       Der bittere Kontext manifestierte sich dann in Demonstrationen an mehreren
       Orten in der Stadt: Ein paar Minuten entfernt hatten sich rund 1.000
       Menschen versammelt, um gegen die Anwesenheit des israelischen Präsidenten
       Izchak Herzog bei der Eröffnung zu protestieren. Aufgerufen hatte eine
       antizionistische jüdische Gruppe, gekommen sind Palästinenserinnen und
       Gaza-Aktivisten, Samidoun, antiimperialistische und antikoloniale Linke.
       
       Auch die islamistische Hizb ut-Tahrir hatte zu einer Kundgebung aufgerufen.
       Im Westen der Stadt demonstrierten später am Tag einige Hundert Menschen,
       nach Geschlechtern getrennt.
       
       11 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
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   DIR Tobias Müller
       
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