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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Knurrig im Allgäu
       
       > Der Stadtteilladen Zielona Góra zeigt im März subversives „Heimatkino“
       > mit regionalen Bezügen ins Allgäu, darunter auch „Daheim sterben die
       > Leut’“.
       
   IMG Bild: Szene aus „Daheim sterben die Leut'“ (1984/1985)
       
       Auf Bauern mit Mistgabeln in der Hand, mit denen Autoreifen durchstochen
       werden, blickt man derzeit vielleicht nicht mit genau derselben Lachlust
       wie vor rund 40 Jahren, als „Daheim sterben die Leut’“ in die Kinos kam und
       ein sensationeller Publikumserfolg wurde. Seit Bauern in großer Zahl
       durchdrehen und von an Galgen baumelnden Grünen-Politikern fantasieren,
       weil die ihnen angeblich das Leben schwermachen, hat das Bild des
       aufmüpfigen, sich gegen die Obrigkeit stellenden Landwirts, das in dem Film
       von [1][Klaus Gietinger] und [2][Leo Hiemer] gezeichnet wird, einfach ein
       wenig gelitten.
       
       Was aber nichts daran ändert, dass der extrem schrullige Film, in dem
       hauptsächlich Laiendarsteller agieren, die in einem Dialekt daherreden, für
       den Berliner Zuschauer:innen sicherlich dankbar sind für die Untertitel,
       immer noch ein außergewöhnliches Werk ist. Mit welcher Hingabe hier
       letztlich die Menschen in einem Allgäuer Landstrich in Bayern und das
       vermeintliche Dorfidyll als Kulisse für allerlei Grauen gezeichnet werden,
       ist immer noch äußerst belustigend.
       
       Da ist der Gesundbeter Guggenmoos, der für ein paar Hundert-Euro-Scheine
       seine „weiße Magie“ anwendet, was beim Landrat Strobel zu Problemen mit
       seiner Blase führt. Und wenn es beim Sohn von Bauer Allgeier zum Beischlaf
       mit einer Touristin kommt, schaut der Leibhaftige persönlich am Ort des
       Geschehens vorbei. Aberglauben und eine gewisse Renitenz haben im Allgäu
       einen ganzen Menschenschlag geformt, der hier auf die Schippe genommen
       wird. Kein Wunder, dass während der Coronapandemie auffällig viele
       Coronaleugner in genau diesem ländlichen Raum anzutreffen waren.
       
       „Daheim sterben die Leut’“ wird am 14. März im linken, selbstverwalteten
       Laden [3][][4][Zielona Góra] in Friedrichshain gezeigt. Von der
       Westallgäuer Filmproduktion (WAF), die hinter dem Film steht, stammt auch
       der 1981 für das ZDF produzierte Film „Land der Räuber und Gendarmen“, der
       genau eine Woche später am selben Ort läuft. „Leni … muss fort“ (1994), zu
       sehen am 28. März, rundet die kleine Reihe mit grotesken und subversiven
       Filmen aus dem Allgäu im Zielona Góra ab.
       
       Die Westallgäuer Filmproduktion wurde Ende der 70er gegründet und war bis
       zu Beginn der 90er aktiv. Ihr mit großem Abstand erfolgreichster Film blieb
       „Daheim sterben die Leut’“. Der Titel ist einer beliebten Aussage von
       Wirtshausgängern im Allgäu entliehen, die damit zum Ausdruck bringen
       wollen, dass die Wahrscheinlichkeit, plötzlich tot umzufallen, in den
       eigenen vier Wänden ungleich höher sei als beim Bier am Stammtisch.
       
       Den bissigen Spott der Filmemacher bekommen letztlich alle Figuren ab, die
       hier gezeigt werden. Außer vielleicht die Dorfjugend, die vor allem mit
       Flirten beschäftigt ist und dem Mief um sie herum zu entgehen sucht, indem
       sie sich im Jugendtreff Kreuz zum Schwofen trifft. Die Polizei, die hier
       nach dem Rechten sieht, erweist sich als unangemessen schießwütig. Landrat
       Strobel, der sich für besonders wichtig hält und nicht einmal den
       ländlichen Dialekt beherrscht, geht auch mit ziemlich handfesten Mitteln
       gegen seinen Intimfeind, den Bauern Allgeier, vor. Der wiederum will
       einfach nicht einsehen, dass er an das neue Wassernetz angeschlossen werden
       soll, wie von Strobel gewünscht, schließlich tut es doch auch wie eh und je
       sein Brunnen.
       
       Mit einem klassischen Heimatfilm hat „Daheim sterben die Leut’“ wirklich
       gar nichts zu tun. Hier wird kein Landleben idealisiert, sondern es werden
       knurrige Gestalten gezeigt, die man fast gerne haben möchte, bis sie dann
       in der Wirtschaft kollektiv aufstehen und die erste Strophe des „Lied der
       Deutschen“ schmettern, als sei das völlig normal.
       
       13 Mar 2024
       
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