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       # taz.de -- Neues CDU-Grundsatzprogramm: „Das ist ein Tabubruch“
       
       > Der Entwurf für das neue CDU-Grundsatzprogramm stelle das Asylrecht
       > infrage, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat. Er hofft, dass die
       > Parteibasis noch Änderungen durchsetzt.
       
   IMG Bild: Die CDU will es noch restriktiver: Flüchtlingsunterkunft in Sachsen
       
       taz: Herr Weber, sie wollen am Mittwochnachmittag im Bündnis mit 46
       Organisationen in Hannover gegen die CDU demonstrieren. Warum? 
       
       Kai Weber: Der CDU-Bundesvorstand fordert im Entwurf für das
       Grundsatzprogramm, das Asylrecht faktisch abzuschaffen. [1][Schutzsuchende
       sollen in Drittstaaten abgeschoben werden], dort soll ihr Asylverfahren
       durchgeführt werden – und sie sollen auch dann dort belassen werden, wenn
       sie Schutz erhalten. Damit würde das Völkerrecht ausgehebelt und das
       Grundgesetz außer Kraft gesetzt. Nun wird dieser Entwurf auf mehreren
       Regionalkonferenzen der Parteibasis präsentiert, [2][unter anderem in
       Hannover].
       
       Sie haben den CDU-Mitgliedern einen Offenen Brief geschrieben. Was steht
       drin? 
       
       Wir appellieren an die Basis, diesen Passus im Grundsatzprogramm in Frage
       zu stellen und sich für das geltende Völkerrecht einzusetzen:
       Schutzsuchende haben ein Anrecht auf Prüfung ihres Asylantrags, und zwar in
       Europa. Wer die EU erreicht, darf nicht einfach zurückgeschoben werden. Das
       Asylrecht grundlegend in Frage zu stellen ist ein Tabubruch, auch für die
       Union. [3][Selbst als 1993 der entsprechende Paragraf im Grundgesetz massiv
       eingeschränkt wurde], hat der damalige Kanzler Helmut Kohl daran
       festgehalten, dass dieses Recht nicht gänzlich abgeschafft werden darf.
       
       Die Menschen bekämen ja immer noch ein Asylverfahren – nur nicht in Europa. 
       
       Zu erklären, [4][Europa solle Drittstaaten bezahlen, um die Verantwortung
       für Schutzsuchende komplett loszuwerden], ist eine unfassbar unsolidarische
       Praxis. Und es bricht mit allen Konsequenzen, die die internationale
       Gemeinschaft und auch Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen haben.
       Damals wurden Hunderttausende Schutzsuchende ins faschistische Deutschland
       zurückgeschickt.
       
       Die Kodifizierung des Asylrechts – erst die Allgemeine Erklärung der
       Menschenrechte, dann die Europäische Menschenrechtskonvention und das
       Grundgesetz – sind die direkte Folge dieses Versagens: Alle Schutzsuchenden
       sollten Anspruch auf ein faires Asylverfahren bei uns haben.
       
       Sie beziehen sich in Ihrem Aufruf auch auf die AfD. Was hat die mit dem
       CDU-Grundsatzprogramm zu tun? 
       
       Wir haben in den letzten Monaten eine wirklich gespenstische Asyldebatte
       erlebt. Immer wieder wurden [5][Diktionen der AfD auch von etablierten
       Parteien aufgenommen]. Es wurden Forderungen artikuliert, die vor 2023 noch
       klar als außerhalb des demokratischen Konsens verortet worden wären. Wenn
       etwa [6][Unions-Fraktionsvize Jens Spahn erklärt, die EU müsse Geflüchtete
       notfalls mit Gewalt aufhalten], klingt das schon sehr nach AfD-Forderungen
       von 2016, notfalls auf Geflüchtete zu schießen. Das beginnt schon im
       Kleinen. Es ist eigentlich nur noch von irregulärer Migration die Rede –
       als ginge es hier gar nicht um Schutzsuchende.
       
       Der Begriff trifft ja insofern zu, als dass diese Menschen irregulär nach
       Europa einreisen. 
       
       Der Begriff trifft nicht zu. Unsere bestehenden Regularien sind genau dafür
       da, diese Menschen zu legalisieren. Nach internationalem Recht sind
       Menschen auf der Flucht in einer Notlage. Sie dürfen nach Genfer
       Flüchtlingskonvention nicht dafür bestraft werden, illegal eine Grenze zu
       passieren – wenn sie dies hinterher offenlegen. Und genau das tun sie mit
       dem Asylantrag. Insofern sind sie eben nicht irregulär, im Gegenteil: Sie
       nehmen ihre Rechte wahr.
       
       Nun regiert die CDU ja gar nicht und kann keine Gesetze ändern. Warum ist
       das Grundsatzprogramm trotzdem so wichtig? 
       
       Weil sie dort einerseits verspricht, Menschenrechtsstandards hochzuhalten,
       aber beim Asylrecht das Gegenteil tut und AfD-Forderungen übernimmt. Die
       CDU ist eine der großen demokratischen Parteien in diesem Land. Es ist
       enorm wichtig, dass sie den demokratischen Konsens mitträgt, [7][den
       Hunderttausende seit Wochen auf die Straße tragen]: Dass Demokrat*innen
       für Menschenrechte einstehen. Wenn wir eine Brandmauer gegen rechts
       errichten wollen, gehört das Asylrecht elementar dazu.
       
       28 Feb 2024
       
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