URI: 
       # taz.de -- Hofreiter über Scholz’ Ukraine-Politik: „Eine schwere Fehleinschätzung“
       
       > Grünen-Militärexperte Anton Hofreiter kritisiert, Olaf Scholz sei zu
       > nachsichtig gegenüber Russland. Deutschland müsse der Ukraine das
       > Taurus-System liefern.
       
   IMG Bild: Und dann kritisiert er auch noch Emmanuel Macron: Anton Hofreiter
       
       taz: Herr Hofreiter, wie steht es um [1][die Ukraine]? 
       
       Anton Hofreiter: Die letzten Tage waren sehr schwierig für Europa und die
       Ukraine. Der deutsche Kanzler und der französische Präsident [2][sind weit
       auseinandergefallen]. Olaf Scholz hat ohne jede Not mit einer sehr
       schwierigen Begründung die Lieferung der Marschflugkörper Taurus abgesagt
       und Emmanuel Macron hat ohne jede Not und ohne jeden Sinn die Entsendung
       von Bodentruppen ins Spiel gebracht. Damit verunsichert er die Bevölkerung:
       Bodentruppen stehen nicht zur Debatte. Putin dürfte sich sehr gefreut
       haben.
       
       Was ist so schwierig an der Argumentation des Kanzlers? 
       
       Sie signalisiert: Wir haben Angst vor Putin. Ein Diktator wie Putin sieht
       Schwäche und nutzt sie aus. Wenn man erreichen will, dass er den Krieg
       möglichst schnell beendet und nicht weiter aggressiv vorgeht, muss man
       Stärke signalisieren. Putin wird erst dann bereit sein, ernsthaft über
       Frieden zu verhandeln, wenn er zu der Überzeugung kommt, dass er seine
       Ziele auf dem militärischen Weg nicht erreicht.
       
       Spricht aus Scholz’ Argumentation nicht gesunde Vorsicht? Was ist, wenn es
       doch eine rote Linie für Putin gibt, ab der er zurückschlagen würde? 
       
       Auch ich habe Sorge vor einer Ausweitung des Krieges. Entscheidend ist,
       dass wir diese Ausweitung verhindern. Die Argumentation mit der roten Linie
       hat sich bislang als falsch erwiesen und signalisiert Erpressbarkeit. Das
       ermutigt den Aggressor. Wenn man es hart ausdrücken will, ist es klassische
       Appeasementpolitik. Die funktioniert gegenüber Diktatoren nicht.
       
       Warum agiert der Kanzler so? 
       
       Zum Teil aus falsch verstandener Tradition der wirklich erfolgreichen
       Ostpolitik von Willy Brandt. Scholz glaubt wohl, dass man mit Putin durch
       eine gewisse Nachgiebigkeit verhandeln kann. Das ist eine schwere
       Fehleinschätzung. Er will als vorsichtiger Kanzler dastehen, dabei sorgt er
       dafür, dass dieser Krieg länger dauert. Und er ermuntert Putin, weitere
       Länder anzugreifen.
       
       Er trifft mit seiner Vorsicht den Willen der Bevölkerung, weit mehr als
       Sie. 
       
       Ich verstehe, wenn sich Menschen Sorgen machen. Wir haben den größten
       kriegerischen Konflikt in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber
       wenn mit falschen Behauptungen Angst geschürt wird, braucht man sich über
       die Stimmung in der Bevölkerung nicht zu wundern. Angesichts dessen bin ich
       ehrlicherweise manchmal erstaunt, wie stark die Unterstützung im Land für
       die Ukraine noch ist.
       
       Was genau ist faktisch an [3][der Begründung des Kanzlers] falsch? 
       
       Man muss die ukrainischen Soldaten am Taurus ausbilden, aber deutsche
       Soldaten müssen dafür nicht in die Ukraine. Südkorea hat 260 von diesen
       Marschflugkörpern und dort wartet man nicht darauf, dass sie im Ernstfall
       von deutschen Soldaten bedient werden. An den Leopard II-Panzern wurden die
       Ukrainer auch in Deutschland ausgebildet.
       
       Ist das Thema Taurus-Lieferung nach dieser Aussage des Kanzlers durch? 
       
       In meinen Augen nicht. Die größten Sorgen bereitet mir aber Scholz’
       Begründung für die Nichtlieferung. Die Gefahr ist, dass Putin sich dadurch
       ermuntert fühlt. Scholz’ Aussagen sind ein Sicherheitsrisiko.
       
       Wenn das so ist, ist er als Kanzler für Sie noch tragbar? 
       
       Wir müssen dringend diese Politik verändern. Vergangene Woche hat der
       Bundestag mit einer Mehrheit beschlossen, die Ukraine ausreichend zu
       unterstützen, damit sie diesen Krieg gewinnen kann. Ich erwarte vom
       Kanzler, dass er das jetzt umsetzt.
       
       Sind die Grünen gegenüber dem Kanzler nicht durchsetzungsfähig genug? 
       
       Ich glaube, dass die Grünen, die FDP und auch die Union in dieser Frage
       durchsetzungsfähiger werden müssen, weil wir alle ein hohes Interesse daran
       haben, dass die Ukraine den Krieg gewinnt.
       
       Wie groß ist dafür die Bedeutung des Taurus? Wird er nicht überbewertet? 
       
       Wird er. Es kommt aufs Gesamtpaket an. Wir müssen dringend mehr Geld in die
       Friedensfazilität der EU geben, aus der das ukrainische Militär unterstützt
       wird. Wir brauchen eine funktionierende Struktur zum Einkauf von
       Rüstungsgütern und müssen Garantien an die Rüstungsindustrie geben, damit
       die Produktion hochgefahren wird. Wir brauchen mehr Munition, mehr
       Flugabwehr und wir müssen die Bundeswehr besser ausstatten, bis wir
       wirklich konventionell abschreckungsfähig sind.
       
       Russland hat drei Kriegsziele. Das erste ist die Wiedererrichtung des
       russischen Imperiums, das zweite die Zerstörung der demokratischen Ukraine.
       Und das Dritte, das eigentlich das zentrale ist und bei uns zu wenig
       wahrgenommen wird, ist die Zerstörung der regelgebundenen internationalen
       Ordnung. Dazu muss Putin die Nato und die Europäische Union spalten.
       Deswegen ist dieses Signalisieren von Schwäche so problematisch.
       
       Und wie wollen Sie all das, was Sie gerade aufgezählt haben, bezahlen? Das
       Geld ist nicht da. 
       
       Doch, das ist da. Die Bundesrepublik Deutschland ist das am niedrigsten
       verschuldete große Industrieland. Wir sind die drittgrößte Industrienation
       der Welt, die ökonomisch zweitmächtigste Demokratie der Welt. Die Kosten
       des Nicht-Handelns, die uns im Falle einer Ausweitung des Krieges drohen,
       sind viel höher als die Summe, die wir jetzt investieren müssen. Deshalb
       müssen wir dringend die Schuldenbremse aufheben. Sie ist eine Gefahr für
       die nationale und europäische Sicherheit.
       
       29 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
   DIR [2] /Frankreich-ueber-Bodentruppen/!5992162
   DIR [3] /Scholz-Absage-zum-Taurus/!5995261
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine am Orde
   DIR Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Olaf Scholz
   DIR Anton Hofreiter
   DIR Rüstungsexporte
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Unser Fenster nach Russland
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Scholz, Tusk und Macron in Berlin: Mehr Waffenkäufe gegen Putin
       
       Das Weimarer Dreieck will wieder als politischer Akteur auf die Bühne. Die
       Regierungschefs bemühen sich um fast wortgleiche Sätze zur Ukraine.
       
   DIR Cybersicherheitsexperte zu Taurus-Leak: „Einen Keil in die Nato treiben“
       
       Zur Diskreditierung Deutschlands sei Russland jedes Mittel recht, sagt
       Matthias Schulze. Und erklärt, was passieren muss, um solche Leaks künftig
       zu verhindern.
       
   DIR Debatte um Deutschlands Verlässlichkeit: Stirnrunzeln über Taurus-Leak
       
       Nach den Veröffentlichungen ist Schadensbegrenzung angesagt. Die
       diplomatischen Kanäle laufen auf Hochtouren – mit ungewissem Ausgang.
       
   DIR Geheimes Bundeswehr-Gespräch: Der Feind konferiert mit
       
       Russland leakt ein Offiziersgespräch und die Aufregung ist groß. Moskau
       möchte damit nur destabilisieren, sagt Verteidigungsminister Boris
       Pistorius.
       
   DIR Olaf Scholz tourt durch Sachsen: „Man will wissen, wo sie landet“
       
       Der Kanzler erklärt in Dresden sein Nein zu Taurus-Raketen und erntet dafür
       Applaus. Und überrascht damit, dass er künftig auch TikToks machen will.
       
   DIR AKW Saporischschja: „Die Gefahren nehmen zu“
       
       Zwei Jahre nach dem russischen Überfall auf das ukrainische Atomkraftwerk
       nennt Bürgermeister Orlow die Lage dort kritisch. Den Besatzern macht er
       Vorwürfe.
       
   DIR Meduza-Auswahl 22. – 28. Februar: Täglich sterben 120 russische Soldaten
       
       Letzten Sommer veröffentlichten unabhängige Medien die Zahl der Gefallenen
       der russischen Armee im Ukraine-Krieg. Nun hat Meduza die Zahlen
       aktualisiert.
       
   DIR Debatte um Bodentruppen und Taurus: Kritik an Scholz und Macron
       
       Frankreichs Präsident und der deutsche Kanzler sind in der Ukraine-Politik
       zuletzt uneins. Der Grüne Anton Hofreiter wirft beiden „Fahrlässigkeit“
       vor.
       
   DIR Frankreich über Bodentruppen: Macron und Scholz im Ukrainekrieg
       
       Frankreichs Präsident bringt Bodentruppen in der Ukraine ins Gespräch.
       Deutschlands Kanzler widerspricht. Was verbirgt sich hinter der Debatte?