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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Ein anderes Sammeln
       
       > Archive feiern: Das RAMSCH-Filmarchiv von Bernhard Marsch ist zu Gast im
       > Zeughauskino und lädt zur Neubesichtigung in die Jugendkultur der 1960er.
       
   IMG Bild: So träumt es ich in Leonard Horns „Stanley Sweetheart“
       
       Begleitet vom Lärm der Baustelle, auf der direkt vor seinem Fenster die
       Twin Towers des World Trade Centers entstehen, lässt sich der Filmstudent
       Stanley Sweetheart (Filmdebüt: Don Johnson) in ein Taxi fallen. An der
       Universität angekommen, durchläuft er die Langeweilehölle eines
       Italienischkurses im Sprachlabor. Als sich seine Blicke mit einer
       Kommilitonin in der Reihe hinter ihm kreuzen, driftet Stanley in eine kurze
       Traumsequenz mit ihr ab. Als der Kurs endlich zu Ende ist, wartet Cathy, so
       der Name der Kommilitonin, auf ihn. Abends trifft Stanley in einer Kneipe
       einen früheren One-Night-Stand.
       
       „The Magic Garden of Stanley Sweetheart“ von Leonard Horn folgt Stanley
       beim Driften durch das New Yorker Leben junger Menschen. Der Film läuft am
       Freitag in deutscher Fassung, aber dafür als Filmkopie im Berliner
       [1][Zeughauskino]. Die Vorführung eröffnet eine kleine, dreiteilige Schau,
       für die das Kino den Kölner Kinoallrounder Bernhard Marsch gebeten hat,
       sein RAMSCH Filmarchiv vorzustellen. Die Schau ist Teil einer neuen Reihe
       mit dem sympathischen Titel „Sammelt Filme!“, in der das Zeughauskino
       privaten Filmarchiven ein Podium bieten wird und sichtbar machen will, wie
       sie zur Überlieferung von Filmen beitragen.
       
       Leonard Horns Film ist die Adaption von Robert T. Westbrooks gleichnamigem
       autobiographischem Roman, der während dessen Studium in New York entstand.
       Das Buch war wegen seiner Darstellung des Lebens im New York jener Jahre
       bei Erscheinen ein ziemlicher Erfolg. Der Film jedoch war ein grandioser
       Flop: Von der Kritik allgemein verrissen für einen weiteren Versuch,
       Jugendkultur zwischen Sex und Drogen zu vermarkten, von den Zuschauer_innen
       der Zeit gemieden, führte der Film beinahe zum Ende der Karriere Don
       Johnsons bevor diese richtig losgegangen war. Andy Warhol hingegen pries
       den Film als authentische Darstellung der Kultur der Zeit in einer
       Studioproduktion.
       
       Zwei weitere Programme widmen sich westdeutschen Filmen der 1960er Jahre.
       Schon seit Jahren ist Bernhard Marsch Ehrenwitwer des bulgarischen
       Regisseurs Marran Gosov (eigentlich: Tzvetan Marangosoff), der von 1960 bis
       1991 in Westdeutschland lebte und bis Mitte der 1970er Jahre vor allem als
       Teil der Schwabinger Filmszene arbeitete. Anschließend wechselte Gosov zum
       Fernsehen. 2008 organisierte der Filmclub 813, ein anderes Urgestein der
       stets etwas unterbesetzten Kölner Kinokultur, eine erste Werkschau und
       seither ist Marsch umtriebiger Präsentator von Programmen mit Filmen
       Gosovs.
       
       Drei Jungs, die ein Mädchen in „Power Slide“ (1966) mit einem Autorennen
       auf einer Carrerabahn beeindrucken wollen, ein Tramper auf dem Weg nach
       Frankfurt, Beatmusik-Fans: Gosovs Filme sind Miniaturen des Schwabinger
       Zeitgeists jener Jahre.
       
       Zum Abschluss der RAMSCH-Filmarchiv-Schau läuft Franz-Josef Spiekers „Mit
       Eichenlaub und Feigenblatt“ von 1967: ein junger Mann will zum Militär,
       also konkret zur Bundeswehr und ganz konkret zu den Fallschirmspringern,
       allein die Gesundheit will nicht mitspielen und er landet im Sanatorium.
       
       Fünf Jahre nachdem Spieker mit seinen Mitstreitern im Oberhausener Manifest
       einen anderen deutschen Film gefordert hat, hat er sich ein Genre
       erarbeitet: „Spiekers Metier ist die beschwingte Satire, das spontane
       Lustspiel mit bösem, widerborstigem Humor“, beobachtete Klaus Lackschewitz
       damals in der FAZ.
       
       Im poppigen Szenenbild des Sanatoriums trifft Spiekers Protagonist auf den
       muffigen Alptraum, der die Honoratioren der BRD im Adenauer-Autoritarismus
       geblieben waren. Der Evangelische Filmbeobachter notierte, der Film sei
       „kritischen Erwachsenen zu empfehlen“.
       
       Die Schau zum RAMSCH-Filmarchiv im Zeughauskino lädt ein zur
       Neubesichtigung in die Jugendkultur der 1960er Jahre. Und vielleicht findet
       sich in der nächsten Episode von „Sammelt Filme!“ ja sogar mal ein Film,
       der nicht von einem Mann ist.
       
       20 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihe/sammelt-filme/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Tietke
       
       ## TAGS
       
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