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       # taz.de -- Aktivistin zu Bürgergeld-Sanktionen: „Ein Gerücht, dass Leute rumsitzen“
       
       > Die wenigsten Leute verweigern Arbeit aus Faulheit, sagt Helena Steinhaus
       > vom Verein Sanktionsfrei. Die Gründe, einen Job abzulehnen, lägen
       > woanders.
       
   IMG Bild: Wer zu Terminen nicht erscheint, ist meistens in einer multiplen Krisensituation
       
       taz: Frau Steinhaus, jeder, der arbeiten könne, müsse das auch tun – das
       [1][fordert CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann]. Gibt es wirklich so
       viele Bürgergeldempfänger:innen, die Arbeitsangebote verweigern? 
       
       Helena Steinhaus: Bei den Totalverweigerern handelt es sich um eine
       verschwindend geringe Zahl. Für letztes Jahr hat die Bundesagentur für
       Arbeit rund 8.000 Personen angegeben. Das ist wirklich wenig, wenn man
       bedenkt, dass 5,5 Millionen Menschen [2][Bürgergeld-Leistungen] beziehen,
       und darunter sind ein Großteil Kinder und Jugendliche oder Menschen, die
       bereits arbeiten, aber zu wenig verdienen, sodass sie ergänzend Leistungen
       beziehen müssen. Ganz viele sind alleinerziehend oder machen andere
       Care-Arbeit, sodass sie dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung stehen.
       Und dann sagt die CDU: Zweieinhalb Millionen erwerbsfähige Menschen würden
       einfach nicht arbeiten gehen. Aber das stimmt nicht.
       
       Oft ist die Rede von „zumutbaren“ Arbeitsangeboten, die Betroffene
       ablehnen. Was sind das für Angebote? 
       
       Zum Beispiel wurde einer spielsüchtigen Person ein Job im Spielcasino
       angeboten. Der Betroffene war in Behandlung und hatte die Spielsucht
       überwunden, aber bei Süchtigen braucht es ja nur einen Trigger. Natürlich
       konnte er das nicht annehmen. Dann sind zum Beispiel die Betreuungszeiten
       der Kinder nicht vereinbar mit den Arbeitszeiten. Oder die Leute wohnen zu
       weit weg von der Arbeitsstelle und die Verkehrsanbindung ist super
       schlecht. Ganz oft passen die Arbeiten einfach nicht zu den Umständen der
       Leute.
       
       Ihr Verein [3][„Sanktionsfrei“] geht deshalb gegen Sanktionen vor. Wie
       genau?
       
       Zuerst wird ein rechtssicherer Widerspruch erstellt. Gleichzeitig können
       die Betroffenen Kontakt zu unseren Anwält:innen aufnehmen und den
       Widerspruch individualisiert begründen. Die Anwält:innen gucken, ob es
       eine Rechtsgrundlage für den Widerspruch gibt. So oder so zahlen wir den
       Sanktionsausgleich, also das Geld, das den Leuten abgezogen wurde. Das
       erstatten wir aus unserem Solidartopf, weil wir der Überzeugung sind, dass
       die Menschen bereits von einem Existenzminimum leben. Das darf nicht noch
       gekürzt werden.
       
       Warum kommen Menschen nicht zu Terminen beim Jobcenter? Aus Faulheit oder
       aus einer Verweigerungshaltung heraus, wie das die CDU suggeriert? 
       
       Ganz viele Menschen, die Bürgergeld beziehen, sind schlicht krank, haben
       zum Beispiel Depressionen. Viele können ihre Post nicht öffnen. Sie
       brauchen Unterstützung und fühlen sich nicht in der Lage, sich ihrem Alltag
       zu stellen. Oft weiß man auch gar nicht, was von einem verlangt wird, wenn
       man ins Jobcenter eingeladen wird. Man versteht nicht, warum man schon
       wieder dahin soll. Oder die Menschen sind in einer multiplen
       Krisensituation. Es ist ein Gerücht, dass die Leute rumsitzen, Bürgergeld
       beziehen und nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit machen sollen.
       
       Welche Folgen hätte es, wenn jemand, der eine „zumutbare“ Arbeit ablehnt,
       [4][für zwei Monate kein Geld mehr erhält,] wie von der Ampel gefordert? 
       
       Zumindest die Miete kann nicht gestrichen werden. Aber solche Leute
       verschulden sich dann privat noch mehr, sind noch stärker sozial isoliert,
       werden häufiger krank, versuchen, Lebensmittel nur noch [5][bei der Tafel
       zu holen]. Man wählt diesen Weg nicht aus Jux und Tollerei oder weil man so
       renitent ist.
       
       Sie fordern eine bedingungslose Grundsicherung. Wird dieser Kampf jetzt
       noch utopischer? 
       
       Mit Sicherheit. Es gibt uns seit acht Jahren, und es gab zwischendurch
       hellere Zeiten, wo wir uns auf einem vergleichsweise guten Weg befunden
       haben. Die Fortschritte der letzten Jahre sehe ich stark bedroht.
       
       21 Mar 2024
       
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