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       # taz.de -- Drei Epochen Raubkunst: Die Einzigartigkeit des Unrechts
       
       > Das Berliner Humboldt Forum zeigt eine Ausstellung über Raubkunst aus
       > drei Epochen. Das beeindruckt, neigt aber zur Relativierung der
       > Geschichte.
       
   IMG Bild: Eine Gabel aus dem „Silber-Sonderinventar“, den jüdischen Zwangsabgaben ab 1939
       
       Es braucht eine gewisse Gelassenheit, solch eine Ausstellung im Humboldt
       Forum zu machen, in 10 Fallstudien Raub- und Beutekunst aus so
       unterschiedlichen Epochen zusammenzubringen: die der Napoleonischen Kriege,
       der Kolonialzeit und des Nationalsozialismus. Während gerade mit viel
       öffentlichem Interesse die Restitution von Kulturgütern aus deutschen
       Museen verfolgt wird, bringt diese Ausstellung mit der Zeit Napoleons nun
       eine historische Phase ins Spiel, in der auch deutsche Gebiete „Opfer“ von
       Kunstraub wurden.
       
       Dieser freimütige Ausstellungsansatz neigt dazu, Geschichte zu
       relativieren. Im Humboldt Forum, im rekonstruierten Stadtschloss, schlägt
       das einen schrägen Ton an.
       
       Just zur Eröffnung der Ausstellung „Kunst als Beute. 10 Geschichten“ werden
       [1][acht alttestamentarische Kolossalfiguren] an seine Fassade angebracht,
       mitfinanziert von rechtsradikalen Spendern. Das Schloss belegt seine Museen
       mit einem Fluch: Sie können versuchen, sich ihrer düsteren
       Sammlungsgeschichte mit Ausstellungen wie dieser zu stellen, an seinem
       Gebäude aber wird Geschichte böse ignoriert.
       
       ## Rembrandt in Sci-Fi-Rosa
       
       Doch die Gastkurator:innen, Eline Jongsma und Kel O’Neill, gehen es
       locker an. Bereits im Den Haager Mauritshuis, dessen Gründung auf
       napoleonische Beutekunst zurückgeht, zeigten sie diese Schau mit 10
       Gegenständen aus den Berliner Sammlungen des Stadtmuseums, den
       Ethnologischen Museen und dem Museum für Asiatische Kunst und dem
       Mauritshuis.
       
       Eine Rokoko-Kommode aus Frankreich ist dabei, ein Krisdolch aus Bali – ein
       wirklich ungewöhnliches Objekt, entstanden um 1800, mit flammenartiger
       Klinge und einem Holzgriff, dessen Schnitzereien aussehen, als hätte sich
       eine Muschelkolonie darauf angesiedelt – und ein echter Rembrandt.
       
       Dessen Selbstporträt von 1669 mit seiner unverkennbar aus einem schummrigen
       Dunkel sich hervorhebenden Knollnase steht nonchalant auf den Boden. Dass
       die Kurator:innen den Rembrandt da so abstellen, in ihrem puristischen,
       ganz in ein Sci-Fi-Rosa getauchten Ausstellungsdesign, ist eine Art
       szenisches Reenactment.
       
       ## Ein mulmiges Gefühl
       
       Womöglich lagerte das Gemälde so während des Zweiten Weltkriegs in einem
       stillgelegten Salzbergwerk in Österreich. Es war wie viele andere tausend
       Kunstwerke für [2][das nie realisierte Führermuseum in Linz] gedacht. Die
       Nazis hatten es in Amsterdam ihren jüdischen Besitzern, Ernst und Ellen
       Rathenau, entzogen. 1947 veräußerte die Familie Rathenau es in einem
       erniedrigenden Restitutionsverfahren an das Mauritshuis.
       
       Die Eingangsszene der Schau gibt ein mulmiges Gefühl. Ein surinamischer
       Holzstab in der Form einer feingliedrigen Frauenfigur liegt da auf einem
       Kissen. Er wurde um 1900 gewaltvoll einer Maroon entwendet, einer
       Nachkommin geflohener [3][afrikanischer Sklaven in der damals
       niederländischen Kolonie Suriname]. Ein Film zeigt, wie ein Erbe der
       beraubten Besitzerin den Stab nach über hundert Jahren wieder in die Hand
       nimmt, in dem klinischen Setting des Berliner Museumsdepots.
       
       Ihm gegenübergestellt ist eine Vitrine, gefüllt mit hunderten
       Silberlöffeln, Kinderrasseln, Schmuckstücken. Es sind Zwangsabgaben, zu
       denen die Nazis jüdische Menschen ab 1939 nötigten. Durch einen wendigen
       Museumsdirektor kamen sie während des NS in das Berliner Stadtmuseum.
       
       Wird hier auf die Waage gelegt, was nicht wägbar ist? Die Verbrechen des
       Kolonialismus mit der Entrechtung und Zerstörung der Juden Europas durch
       die Nationalsozialisten verglichen?
       
       ## Historische Belastung
       
       Doch Eline Jongsma und Kel O'Neill weichen dieser Gefahr aus, sie bleiben
       in der Ausstellung nahe an den individuellen Geschichten der Objekte. Die
       Eingangsszene vermittelt etwas anderes, nämlich mit welcher Ohnmacht die
       Museen der manchmal undurchdringlichen Schwere gegenüberstehen, mit denen
       die Kunstwerke in ihren Sammlungen historisch belastet sind. Noch heute
       lassen sich die insgesamt 500 Stücke aus dem jüdischen
       „Silber-Sonderinventar“ keinem Einzelschicksal zuordnen.
       
       In einer populären Wahrnehmung kann Provenienzforschung manchmal zum
       Krimigenre werden. Die Suche nach dem Moment in der Objektbiografie, wo das
       Unrecht ansetzt. Die Kurator:innen nehmen diesen populären Pfad, und
       machen einen gewissen, kriminalhaften Moment bei drei der zehn
       Ausstellungsstücke durch eine Virtual Reality-Tour hautnah erfahrbar.
       
       ## Storytelling und Provenienzforschung
       
       Man kann nun miterleben, wie die Napoleonischen Truppen im Oktober 1806
       nach Berlin einmarschieren und bald die Quadriga vom Brandenburger Tor
       hieven werden. Fast schon psycho wird der zweiminütige VR-Trip nach Bali
       ins Jahr 1849: Auf dem Boden einer Tempelanlage liegt ein gefallener
       balinesischer Kämpfer, der sonderbare Krisdolch neben ihm, im Hintergrund
       glüht der tropische Himmel durch die Bombenschwaden der niederländischen
       Kolonialarmee.
       
       Die Kurator:innen wollen durch solch technisch aufgebauschtes
       Storytelling einen Kontext vermitteln, der sich nur schwerlich über
       Museumsvitrinen begreifen lässt. Doch geraten sie damit auch politisch in
       eine Schieflage. Warum wird hier das Unrecht auf Bali über einen
       Immersivtrip so psychologisierend nahe gebracht, das andere Leid aber, etwa
       die Ausbeutung der Bevölkerung auf Sri Lanka durch die Niederländer im
       späten 18. Jahrhundert, nur sachlich abgearbeitet?
       
       Auf einem Bildschirm ist das 3D-Modell der einst von den Kolonialisten
       geraubten „Kanone von Kandy“ visualisiert, das prächtige Original haben die
       Niederlande 2023 an Sri Lanka restituiert. Das 3D-Modell ist ein
       interessanter Stichwortgeber, denn es wirft Fragen zum geistigen Eigentum
       von Kulturgütern auf. Wer verhandelt und besitzt diese, wenn sie
       restituiert werden? Sind sie Teil eines digitalen Weltkulturerbes?
       
       Doch die Ausstellung kommt leider nicht über das Stichwortgeben hinaus.
       Dennoch kann man ihr etwas abgewinnen. Diese zehn Objekte, die
       Rokoko-Kommode aus der Reichsbank, deren Provenienz zur NS-Zeit nie
       lückenlos geklärt werden konnte, das Landschaftsgemälde von Jan Mijtens,
       das die Niederlande gar nicht von Frankreich zurückerhalten wollten, sie
       alle erzählen ihre sehr eigene Geschichte.
       
       22 Mar 2024
       
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