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       # taz.de -- Oscarverleihung in Los Angeles: Glamour und Realität
       
       > Bei den Oscars war „Oppenheimer“ der große Gewinner, immer wieder kam
       > auch Politisches zur Sprache. Deutsche gingen leer aus.
       
   IMG Bild: „The Zone of Interest“-Regisseur Jonathan Glazer sprach in seiner Dankesrede über den Krieg in Gaza
       
       Ganz auszublenden ist die Realität dann doch nicht, auch in der surrealen
       Traumfabrik bei der Oscarverleihung, der glamourösesten aller
       Filmpreissausen, nicht. Spätestens als [1][Jonathan Glazer, der aus einer
       jüdischen Familie stammende Regisseur von „The Zone of Interest“] und
       frischgebackener Gewinner des Oscars für den „Besten Internationalen Film“
       in seiner Dankesrede den Krieg in Gaza anspricht: In seinem Film gehe es,
       sagt er, nicht darum, zu zeigen, was wir früher getan haben, sondern was
       gerade passiert – auf beiden Seiten würde entmenschlicht.
       
       Dass mit Glazers verdientem Sieg [2][İlker Çataks deutscher Beitrag „Das
       Lehrerzimmer“] leer ausging und sich auch [3][Wim Wenders' japanischer Film
       „Perfect Days]“ mit der Ehre der Nominierung zufriedengeben musste, ist
       schade – aber man freut sich, dass sich die knapp 10.000
       Akademie-Mitglieder ein so unerbittliches Werk wie die radikale Abhandlung
       über den Auschwitz-Kommandanten Höß anschauten.
       
       Und anhörten: Der Oscar für den besten Sound ging ebenfalls an „Zone“ –
       berechtigterweise, denn um das Leid der damaligen Opfer nicht durch eine
       fiktionale Bildebene zu verwässern, erzählt der Film das monströse
       Verbrechen über den Ton.
       
       ## Propalästinensische Proteste
       
       Zeitgleich zur Verleihung finden um das sorgfältig bewachte Dolby Theatre
       in Los Angeles Demonstrationen von propalästinensischen Gruppen statt,
       während ein paar der prominenten Gäste, zum Beispiel der als „supporting
       actor“ nominierte Mark Ruffalo, ihren Wunsch nach Waffenstillstand
       öffentlich mit einem roten Button am Revers kundtun.
       
       Ruffalo verliert zwar gegen Robert Downey Jr., der für seine Nebenrolle in
       „Oppenheimer“ geehrt wird und sich zunächst für seine „schreckliche
       Kindheit“ und dann erst bei der Academy bedankt. Aber im weitesten Sinne
       passt der darauffolgende Siegeszug (sieben Oscars) des eindrücklichen
       Dramas von [4][Christopher Nolan zu unserer Zeit: Auch „Oppenheimer“] ist
       schließlich ein hochpolitischer Film, und aus welchen Motiven und womit
       jemand kämpft, leider ein aktuelles Thema.
       
       Cillian Murphy, dessen Titelrolle ihm ebenfalls die Trophäe einbrachte,
       widmete sie den „Peacemakers“ der Welt – in der Hoffnung, dass sie sich
       durchsetzen; sein Regisseur Christopher Nolan, der nach dem Regie-Oscar am
       Ende auch den für den Besten Film einheimste, ging als großer Gewinner in
       die Nacht.
       
       Andere freuten sich verhalten: In seiner Dankesrede beim
       Dokumentarfilm-Oscar für „20 Tage in Mariupol“ hatte Regisseur Mstyslav
       Chernov etwas früher erklärt, dass er „den Film und den Oscar-Erfolg
       liebend gern eintauschen würde gegen eine Welt, in der Russland die Ukraine
       nie angegriffen hätte“.
       
       Natürlich, denn man ist immer noch im Unterhaltungsbusiness, wimmelte der
       von Jimmy Kimmel gewohnt sicher und pointenreich präsentierte Awardregen
       trotzdem von rosafarbenen und glitzernden Showelementen: Sowohl Billie
       Eilish als auch Ryan Gosling performten ihre Barbie-Songs, Eilish und ihr
       Bruder durften den Preis für den besten „Original Song“ mitnehmen.
       
       Der Wrestler John Cena wackelte als Fast-Flitzer (nur mit einer
       Moderationskarte bekleidet) über die Bühne, Arnold Schwarzenegger und Danny
       DeVito rissen Batman-Witze. Und [5][Justine Triet, deren Drehbuch (und
       leider nicht auch Hauptdarstellerin Sandra Hüller) für „Anatomie eines
       Falls“] ausgezeichnet wurde, skizzierte in ihrer Dankesrede das Arbeiten
       als Familie während des Lockdowns: „There was no line between work and
       diapers“.
       
       ## Schwieriges Jahr für die Kulturindustrie
       
       Aber trotz auflockernder Sprüche und Ideen bildete sich das für die
       US-Kulturindustrie schwierige Jahr mit seinen Streiks, Streits und den
       Aussichten auf eine – je nach Ausgang der Präsidentschaftswahlen –
       problematische Zukunft deutlich ab. Und dass die Oscars unterm Strich doch
       wieder ziemlich „white“ blieben – auch die indigene Schauspielerin Lily
       Gladstone musste sich gegenüber [6][Emma Stone als Beste Schauspielerin
       („Poor Things“)] geschlagen geben –, ist vielleicht bezeichnend.
       
       Ob als Reaktion auf unsere komplexe, unschöne und herausfordernde Realität
       der eskapistische Blockbuster weiterhin eine gute Wahl ist, oder, wie es
       Oscar-Gewinner Cord Jefferson („American Fiction“) in einem furiosen
       Einwurf anregte, man eher dazu übergehen sollte, mit dem Budget für ein
       einziges der Hollywoodspektakel lieber 20 kleinere Filme zu drehen, wird
       sich zeigen. Dringlich-politische Themen gibt es jedenfalls genug.
       
       11 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
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