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       # taz.de -- Jungpolitiker*innen über Zukunft: Was können wir uns noch leisten?
       
       > Renten, Schuldenbremse, Klima – wie gerecht geht es zwischen den
       > Generationen zu? Jungpolitiker*innen von SPD, CDU und Grünen im
       > Streitgespräch.
       
   IMG Bild: Siezen, Duzen? Johannes Winkel, Svenja Appuhn und Philipp Türmer (von links nach rechts)
       
       Pünktlich und beinahe gleichzeitig treffen alle drei bei der taz ein:
       Svenja Appuhn von der Grünen Jugend ist mit dem Rad gekommen, Juso-Chef
       Philipp Türmer zu Fuß und Johannes Winkel von der Jungen Union per Bahn aus
       Düsseldorf. Gemeinsam wollen sie über das Thema Generationengerechtigkeit
       diskutieren.
       
       wochentaz: Frau Appuhn, Herr Winkel, Herr Türmer, was ist für Sie
       Generationengerechtigkeit? 
       
       Svenja Appuhn: Dass die verschiedenen Generationen miteinander ein gutes
       Leben haben und alle gemeinsam dafür sorgen, dass auch die nächsten
       Generationen noch gut auf diesem Planeten leben können.
       
       Johannes Winkel: Dass die heutigen Probleme nicht wichtiger sind als die
       Probleme der Zukunft. Das heißt auch, dass die Politik heutige Probleme
       nicht mit dem Geld von morgen lösen sollte.
       
       Philipp Türmer: Dass das Aufstiegsversprechen, das für unsere Eltern galt,
       auch für unsere Generation wieder ausnahmslos gilt.
       
       Was heißt das ganz konkret für Sie? 
       
       Appuhn: Ich möchte, dass meine Großeltern, die ihr ganzes Leben gearbeitet
       haben, von ihrer Rente leben können. Und ich möchte nicht, wenn ich 80 bin,
       in einer Welt leben, die von Extremwetterereignissen und Kriegen um
       Ressourcen geprägt ist. Ich stelle mir ehrlich die Frage: Möchte ich in
       diese kaputte Welt hinein Kinder bekommen?
       
       Winkel: Diese Gesellschaft hat mir ermöglicht, alles zu machen, was ich
       möchte. Ich habe durch viele Anstrengungen und vielleicht auch ein bisschen
       Glück etwas erreicht, und zwar unabhängig von meinem Elternhaus. Man muss
       natürlich schauen, dass es so bleibt.
       
       Türmer: Für meine Eltern ist das sozialdemokratische Versprechen des
       Aufstiegs durch Bildung wahr geworden, deshalb war meine Ausgangslage gut.
       Aber viele, mit denen ich zur Schule gegangen bin, hatten diese Privilegien
       nicht. Und unser Bildungssystem gleicht das nicht aus. Deutschland ist
       eines der Länder mit den schlechtesten Aufstiegschancen.
       
       Dann lassen Sie uns über Geld und Chancen, über Klima und darüber reden,
       wie auch die nächste Generation noch ein gutes Leben haben kann. Ihr
       wichtigster politischer Kampf? 
       
       Türmer: Wir haben eine grundlegende Gerechtigkeitsfrage, die in dieser
       Gesellschaft immer drängender wird. Wir haben eine neue Adelsschicht, die
       Superreichen, deren Wohlstand vererbt und nicht erarbeitet wird, und der
       sich immer mehr vermehrt. Diesen Trend müssen wir umkehren!
       
       Winkel: Wenn du dir die reichsten Menschen anschaust, dann sind das Chefs
       von Unternehmen, die es doch vor 20, 30, 40 Jahren noch gar nicht gab.
       Tesla, Meta, Apple sind aus einer Innovation heraus entstanden und nicht
       über sechs Generationen vererbt worden. Die Bedingungen, durch eigene
       Arbeit und eigene Anstrengung sozial aufzusteigen, waren noch nie so gut
       wie jetzt. Wir kämpfen dafür, dass das so bleibt.
       
       Appuhn: Dann sprich doch mal mit migrantischen Jugendlichen in Neukölln.
       Von denen haben viele nie eine Chance aufzusteigen, weil in Schulen
       Lehrkräfte fehlen, weil sie keine Nachhilfe bekommen, weil sie aufgrund
       ihres Namens diskriminiert werden. Für mich ist die Frage aber größer:
       Wollen wir in einer Welt leben, die systematisch Gewinner und Verlierer
       produziert? Es ist doch nicht gerecht, wenn wenige Personen mehrere
       Milliarden Euro besitzen, während gleichzeitig jedes fünfte Kind in Armut
       lebt. Diese Frage ist übrigens auch ganz eng mit Klimaschutz verbunden. Das
       [1][reichste Prozent der Weltbevölkerung] ist für mehr Emissionen
       verantwortlich als die ärmeren zwei Drittel.
       
       Winkel: Natürlich existiert in unserer Gesellschaft Ungleichheit. Und das
       wird sich auch niemals ändern.
       
       Appuhn: Wenn die CDU regiert, wahrscheinlich nicht.
       
       Winkel: Unsere Gesellschaft ist ungleich, weil Menschen ungleiche Talente,
       Vorstellungen, Ziele haben. Das ist auch gut so.
       
       Appuhn: Diese immense Ungleichheit ist nicht naturgegeben, sondern eine
       politische Entscheidung. Dagegen kann man was tun. Das macht unsere
       Gesellschaft resilienter gegen Krisen und sogar glücklicher.
       
       Deutschland gibt vergleichsweise wenig Geld für die öffentliche
       Infrastruktur aus. Dafür ist die Staatsverschuldung relativ niedrig, auch
       weil es die Schuldenbremse im Grundgesetz gibt. Was ist für Sie wichtiger:
       Gute Schulen, gutes Klima oder solide Finanzen? 
       
       Winkel: Das ist kein Widerspruch. Es ist total einfach zu sagen, wir
       verschulden uns. Aber wir geben schon dieses Jahr fast 40 Milliarden Euro
       für Zinszahlungen aus! Ich bin hinsichtlich der Schuldenbremse nicht
       ideologisch. Wenn der Staat kein Geld für die Daseinsvorsorge hat, wird er
       Schulden aufnehmen. Aber bevor wir das tun, müssen wir erst wieder lernen,
       Prioritäten zu setzen.
       
       Appuhn: Ich habe kein Problem damit, darüber zu reden, welche Ausgaben im
       Haushalt unnötig sind. Die vielen Milliarden Euro für neue Autobahnen etwa
       können wir uns klimatechnisch gar nicht leisten.
       
       Winkel: Wir brauchen mehr Autobahnen, nicht weniger.
       
       Appuhn: Da werden wir nicht einig werden. Aber Sparen allein wird das
       Problem nicht lösen. Jetzt wäre der Zeitpunkt zu investieren. Ich erläutere
       es mal am Beispiel einer Straße, denn Straßen magst du ja gern, Johannes.
       Solange ein Schlagloch noch klein ist, kann ich es mit ein bisschen Teer
       reparieren. Wenn ich aber noch zehn Jahre warte, muss ich irgendwann die
       ganze Straße austauschen. Ein anderes Beispiel: Für den Neubau der
       Uniklinik, an der ich studiere, gab es jahrelang keine
       Finanzierungszusagen. Jetzt muss doch neu gebaut werden und zusätzlich muss
       noch fast eine Milliarde in den Erhalt des Bestandsgebäudes gesteckt
       werden.
       
       Türmer: Ich bin auch der festen Überzeugung, dass [2][die Schuldenbremse
       die angezogene Handbremse] für die Entwicklung dieses Landes ist. Gemessen
       am Bruttoinlandsprodukt gibt unser Staat wenig Geld aus. Um Industrieland
       zu bleiben, müssten wir jetzt aber weit überdurchschnittlich in die
       klimaneutrale Transformation investieren. Ein Beispiel: Das Deutsche
       Institut für Urbanistik [3][geht von 372 Milliarden aus, die bis 2030 nötig
       sind] für eine nachhaltige Verkehrswende in den Kommunen. Da kommen wir mit
       Priorisierung niemals hin.
       
       Winkel: Die angezogene Handbremse für die deutsche Wirtschaft ist die
       Bürokratie. Ich gebe euch völlig recht, wir brauchen viel mehr
       Investitionen in Deutschland. Zuerst sollte man sich aber fragen, warum wir
       einen Kapitalabfluss von 120 Milliarden im Jahr haben. Bevor man
       öffentliche Investitionen forciert, sollte man bessere Rahmenbedingungen
       für private Investitionen setzen.
       
       Derzeit werden Schulen und Straßen öffentlich finanziert. Der
       Investitionsstau allein bei den Schulen beträgt 50 Milliarden. Das soll
       alles aus den regulären Haushalten finanziert werden?
       
       Winkel: Ja, na klar. Wir müssen einfach mal Kassensturz machen.
       
       Wo wollen Sie sparen, Herr Winkel? 
       
       Winkel: Einer der größten Posten ist sicherlich Migration. Der Staat gibt
       ungefähr 50 Milliarden Euro im Jahr für Migration aus. Das ist ein
       Riesenproblem. Und die Rente mit 63 kostet auch fast 50 Milliarden Euro pro
       Jahr. Mitten im demografischen Wandel leisten wir uns ein
       Frühverrentungsprogramm, das ist Wahnsinn.
       
       Türmer: Das Beste, was wir machen können, ist, mehr zu investieren in die
       Integration von Migrant*innen, egal auf welchem Wege sie hergekommen sind,
       weil wir in allen Bereichen Arbeitskräfte brauchen. Und der Sozialstaat ist
       kein nice to have, wie Herr Winkel glaubt, bei dem man kürzt, wenn es mal
       wirtschaftlich nicht so läuft, sondern der Kitt unserer Demokratie. Da
       kommen wir nicht zusammen.
       
       Winkel: Herr Winkel, soweit ist es also schon. (Gelächter) Ich bin deiner
       Meinung, der Sozialstaat ist der Kitt der Gesellschaft. Aber du musst auch
       diejenigen respektieren, die ihn finanzieren.
       
       Wie sieht es denn mit den Einnahmen aus? Die Erbschaftssteuer zum Beispiel.
       Superreiche zahlen mit zwei bis drei Prozent viel weniger als normale
       Erben. Würden Sie die reformieren, Herr Winkel? Erben hat ja nichts mit
       Leistung zu tun, sondern ist Glücksache. 
       
       Winkel: Alles, was vererbt wird, ist schon mal versteuert und durch
       Leistung erarbeitet worden. Trotzdem muss man darüber diskutieren, dass man
       Erbschaften angemessen besteuert. Wichtig ist, dass man in Unternehmen
       gebundenes Vermögen nicht zu stark belastet. Denn das kommt nicht nur den
       Erben zugute, sondern auch den Leuten, die darin arbeiten. Für vernünftige
       Vorschläge zur Besteuerung von Erbschaften muss die Union natürlich offen
       sein.
       
       Appuhn: Das freut mich. Aber ein großer Teil der Ungleichheit in
       Deutschland ist darauf zurückzuführen, dass große Betriebsvermögen in der
       Hand sehr Weniger sind. Und da gibt es Möglichkeiten der Besteuerung, die
       nicht dazu führen, dass Unternehmen geschlossen werden müssen: Steuern
       können gestundet werden, der Staat kann als Teilhaber einsteigen oder das
       Unternehmen kann in Verantwortungseigentum umgewandelt werden.
       
       Winkel: Das sehe ich ganz anders. Du brauchst die unternehmerische Freiheit
       und Verantwortung. Da ist der Staat kein guter Ratgeber.
       
       Türmer: Tatsächlich sind Kapitaleinkommen gegenüber Arbeitseinkommen in
       Deutschland ganz stark privilegiert. Einkommen aus Arbeit wird bis zu 45
       Prozent besteuert, und die Sozialabgaben kommen noch drauf. Wenn sich der
       reichste Deutsche, der Logistikunternehmer Michael Kühne, Milliarden an
       Dividenden auszahlen lässt, dann zahlt er eine pauschale Abgeltungssteuer
       von 25 Prozent und keine Sozialbeiträge. Deutschland ist hinsichtlich der
       Vermögensverteilung eines der ungleichsten Länder in Europa. Wir haben eine
       enorme Akkumulation von unmoralischem Reichtum. Eine Reform der
       Erbschaftssteuer ist richtig.
       
       Klima ist ein anderes großes Thema im Zusammenhang mit
       Generationengerechtigkeit. 2045 soll Deutschland klimaneutral sein, so
       steht es im Klimaschutzgesetz, das die Große Koalition verabschiedet hat –
       wir nehmen an, da gehen Sie alle mit. 
       
       Türmer: Gehst du da mit, Johannes?
       
       Winkel: Ich finde es albern, wenn Politik Jahreszahlen in Gesetze pinselt
       und glaubt, damit ein Problem gelöst zu haben …
       
       Appuhn: Stimmt, ein Budgetansatz wäre besser gewesen. Dann wäre auch
       aufgefallen, dass das, was im Klimaschutzgesetz steht, nicht ausreicht,
       wenn wir auf den 1,5-Grad-Pfad wollen.
       
       Türmer: Es geht es ja nicht um irgendwelche Jahreszahlen. Es geht um die
       Pariser Klimaziele, der größte Erfolg in der internationalen Klimapolitik.
       Ich finde, wir sollten uns an internationale Verträge halten.
       
       Auf welche Weise lassen sich diese Ziele erreichen? 
       
       Winkel: Der Grundfehler ist, Klimaschutz in nationalen Grenzen zu denken.
       Dass unser CO2-Ausstoß zurückgegangen ist, was Robert Habeck und die Grünen
       gerade so feiern, ist logisch, wenn die energieintensive Industrie
       einbricht. Ist es besser, wenn diese Unternehmen in anderen Ländern
       produzieren, wo dann viel mehr CO2 ausgestoßen wird? Die aktuelle
       Klimaschutzpolitik ist schädlich.
       
       Türmer: Dieses Klimaschutzziel, zu dem du dich nicht bekennen magst, ist
       direktes Ergebnis der internationalen Klimapolitik, die du einforderst. Du
       versuchst zu verdecken, dass ihr eigentlich gar keine Klimapolitik machen
       wollt.
       
       Winkel: Das ist fast bösartig, vielleicht sind wir doch beim Sie hinterher.
       (Gelächter) Das Klimaziel von Paris ist ja gut, wäre nur schön, wenn es
       auch international verbindlich wäre. Eure „Deutsches Vorbild“-Debatte ist
       einfach irre! Wenn wir hier in Deutschland und Europa politisch verbieten,
       CO2 zu emittieren, führt das doch nicht dazu, dass das globale Angebot an
       fossiler Energie geringer wird.
       
       Appuhn: Das ist doch Quatsch! Der Anstieg der globalen Emissionen
       verlangsamt sich, weil viele Länder Regeln erlassen haben. Ich erwarte,
       dass Deutschland, eines der Länder, die historisch gesehen für die meisten
       Emissionen verantwortlich sind, Tempo macht. Immer nur „Aber China“ zu
       sagen, reicht halt nicht.
       
       Winkel: Wir müssen das Angebot und nicht die Nachfrage an fossilen Energien
       reduzieren. Und dazu müssen nicht-fossile Energien günstiger werden als
       fossile Energien.
       
       Türmer: Der Schlüssel ist der massive Ausbau von Wind- und Sonnenenergie,
       das stimmt. Nur hat die Union genau das jahrzehntelang behindert. Und wir
       müssen massiv die Netze ausbauen, und zwar mit Oberleitungen, weil das viel
       günstiger ist und schneller geht. Aber dagegen stellen sich die
       CDU-geführten Regierungen auch immer.
       
       Herr Winkel, wie könnte es aus Ihrer Sicht gehen? 
       
       Winkel: Günstige, CO2-neutrale Energie werden wir vor allem dann bekommen,
       wenn wir die [4][nächste Generation der Kernkraft] kriegen. Es braucht
       zudem mehr Geld in die Forschung für Kernfusion …
       
       Appuhn: Wenn du vor dem Feuer fliehst, kannst du dich doch nicht auf ein
       Pferd setzen, das im Bestfall in Jahrzehnten rennen kann.
       
       Winkel: Natürlich müssen wir viel intensiver forschen. Und das zweite Thema
       sind Spaltungsreaktoren der vierten Generation. Dass wir als
       Ingenieursnation über solche Sachen gar nicht mehr technologieoffen
       nachdenken, macht mich traurig.
       
       Appuhn: Apropos Generationengerechtigkeit: Es dauert 40.000 Generationen,
       bis Atommüll nicht mehr strahlt.
       
       Winkel: Aber es gibt jetzt schon Technologien – die leider in Ruanda und
       nicht bei uns erprobt werden –, die den Atommüll wiederverwerten und dessen
       Halbwertszeit drastisch reduzieren können.
       
       Türmer: Selbst wenn wir den Müll und die Gefährlichkeit von Atomkraft
       ausblenden: Kernkraftwerke sind zutiefst unwirtschaftlich. Das zeigen alle
       internationalen Beispiele. Für den Bau [5][des AKW in Hinkley Point] in
       England waren Kosten in Höhe von 18 Milliarden Pfund eingeplant, jetzt
       drohen bis zu 35 Milliarden. Dafür könnte man 12.700 Windkraftwerke bauen,
       die ungefähr das Vierfache der Leistung dieses Kernkraftwerks hätten.
       
       Appuhn: Vielleicht mal weg von Science-Fiction und zurück zur Wissenschaft.
       Es besteht ein großer Konsens, dass der Weg zur Klimaneutralität über den
       Ausbau der Erneuerbaren läuft. Die Frage ist, wie bezahlen wir das und
       begeistern die Leute auch noch dafür? Im Moment werden die Kosten über den
       CO2-Preis [6][auf alle verteilt], der soziale Ausgleich fehlt. Viele
       Beschäftigte machen sich Sorgen, dass sie aufgrund der
       Industrietransformation ihren Job verlieren.
       
       Winkel: Erneuerbare Energien brauchen grundlastfähige Reserven. Dass diese
       nicht klimaneutral mitgedacht wurden, ist der Grund, warum ihr mit der
       Energiewende scheitert.
       
       Apphun: Ihr? Ich bin nicht Robert Habeck. Abgesehen davon: Der Ausbau der
       Erneuerbaren läuft; es muss halt noch schneller gehen und der soziale
       Ausgleich beim Klimaschutz endlich deutlich besser werden.
       
       Neues Thema: In den 2030ern werden die Leute im [7][Rentenalter die größte
       Wählergruppe] sein, Politik wird noch mehr als jetzt von ihnen bestimmt
       werden. Ist das ein Problem für die Demokratie? 
       
       Winkel: Ja, ganz klar. Das demografische Problem unserer Gesellschaft wird
       jetzt schon zum demokratischen Problem für die junge Generation. Wenn ich
       in meiner Partei für eine grundlegende Rentenreform appelliere, sagen mir
       Leute: Da hast du Recht, aber gerade ist es ganz schlecht, weil bald Wahlen
       sind. So kann man keine Politik machen, wenn man Dinge nicht anpackt, weil
       es einer großen Wählergruppe nicht gefallen könnte.
       
       Appuhn: Meine Großeltern machen sich sehr viel Sorgen um die Zukunft
       unserer Generation. Ich weiß noch, wie ich meinen Opa gefragt habe, wie er
       Fridays for Future findet. Seine Antwort: Großartig.
       
       Aber kann man darauf setzen? 
       
       Appuhn: Ich glaube schon. Wenn man die Spaltungslinie nicht zwischen den
       Generationen, sondern zwischen arm und reich sieht, findet man eine
       verbindende Generationenpolitik. Ich finde es gefährlich, wenn man die
       Generationen gegeneinander ausspielt, so als wären die Alten schuld an
       unserer Situation.
       
       Sind sie das nicht, zum Teil zumindest? 
       
       Türmer: Punkt eins: Der demografische Wandel ist nicht gottgegeben, sondern
       von der Politik gemacht, weil man sich geweigert hat, einen konsequenten
       Schritt in Richtung Einwanderungsland zu gehen. Punkt zwei: Ich bin
       ebenfalls der Überzeugung, dass die Trennlinien in der Gesellschaft nicht
       zwischen alt und jung, sondern zwischen arm und reich verlaufen.
       
       Winkel: Die Debatte in der Rente ist systemlogisch eine zwischen alt und
       jung.
       
       Türmer: Nein.
       
       Winkel: Doch, weil wir ein Umlagesystem haben. Die Frage der
       Lastenverteilung ist immer eine der Generationen, weil die Jungen die Alten
       finanzieren.
       
       Türmer: Der Generationenvertrag bedeutet doch vor allen Dingen, dass
       diejenigen, die jetzt einzahlen, sich darauf verlassen können, dass sie
       später auf dem gleichen Niveau abgesichert werden wie diejenigen, für die
       sie jetzt die Rente zahlen. Und deshalb ist es richtig, dass wir jetzt das
       Rentenniveau festschreiben.
       
       Winkel: Aber das lässt sich langfristig gar nicht bezahlen. Wir geben
       momentan 370 Milliarden Euro jährlich an Rentenzahlungen aus, und das
       steigt wegen der Babyboomer in 20 Jahren auf über 800 Milliarden Euro im
       Jahr. Das wird nicht finanzierbar sein!
       
       Türmer: Ihr wollt die Leute für das gleiche Geld länger arbeiten lassen
       oder ihnen gleich die Rente kürzen. Alternativ sollen die Leute mehr in die
       private Altersvorsorge investieren. Und das ist der eigentliche Konflikt:
       Will man Einkommen aus Arbeit – und damit die gesetzliche Rente – oder
       Kapitaleinkommen stärken? Wir sind dafür, dass die Löhne steigen, dann
       steigt auch die gesetzliche Rente und ist zukunftssicher.
       
       Appuhn: Fest steht: Es werden weniger Menschen in die gesetzliche
       Rentenversicherung einzahlen als leistungsberechtigt sind. Abgeordnete,
       Selbstständige, Beamte sind allerdings bislang von der gesetzlichen Rente
       ausgenommen, das sind alles eher gutverdienende Berufsgruppen. Die sollten
       einzahlen. Die Beitragsbemessungsgrenze könnte man anheben. Je mehr man
       verdient, desto weniger muss man aktuell anteilig in die gesetzliche Rente
       zahlen, das ist ungerecht. Und beim Rentenniveau könnte man differenzieren:
       Bei geringen Einkommen darf es sicher nicht sinken.
       
       Können wir uns in 25 Jahren noch den gleichen Lebensstil leisten wie heute?
       Oder gibt es Dinge, auf die wir verzichten müssen? 
       
       Appuhn: Privatjets, Superyachten, Luxusvillen.
       
       Winkel: Die Herausforderung wird sein, den Lebensstandard mindestens zu
       halten, wenn nicht auszuweiten. Verzichtsdebatten bringen uns nicht weiter
       und überzeugen international auch niemanden. Alle Schwellenländer streben
       ja das Niveau an, auf dem wir jetzt sind.
       
       Türmer: Den Lebensstandard der Superreichen werden wir so nicht bewahren
       können und umverteilen müssen. Wir müssen aber dafür sorgen, dass der
       Lebensstandard der restlichen Bevölkerung möglichst steigt.
       
       Dann wagen wir doch mal einen kurzen Ausblick ins Jahr 2050, also eine
       Generation weiter. Wird es 2050 noch Inlandsflüge geben? 
       
       Türmer: Nein, braucht auch keiner.
       
       Winkel: Klar, viel mehr als heute.
       
       Appuhn: Um Gottes Willen!
       
       Fahren wir noch in den [8][Skiurlaub]? 
       
       Appuhn: Ich fürchte, dafür fehlt dann in vielen Skigebieten der Schnee.
       
       Türmer: Dann bleiben vielleicht nur Indoorhallen. Aber ich hoffe, dass
       unsere Klimapolitik so erfolgreich ist, dass es auch in Zukunft noch Schnee
       in den Alpen gibt.
       
       Winkel: Skiurlaub ist mir persönlich zu teuer.
       
       Und wird es in den Kantinen einen Fleischtag geben? 
       
       Appuhn: Ja, warum nicht? Ich glaube sowieso, dass die Alternativen bis
       dahin so gut sind, dass es niemandem mehr auffällt.
       
       Türmer: Solange es eine Dönerbude in Reichweite gibt.
       
       Winkel: Da geh ich mit, Philipp.
       
       31 Mar 2024
       
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       Eine neue Rechtsform soll verhindern, dass Einzelne aus Unternehmen
       beliebig Geld abziehen können. Streit gibt es aber noch um das Wie.
       
   DIR Frauen in Rente: Alte Frau, was nun?
       
       Unsere Autorin bekommt seit Kurzem Rente und ist damit offiziell alt. Wie
       lässt sich auch dieser Lebensabschnitt schön gestalten?
       
   DIR Debatte um Alterssicherung: Die Ampel rangelt um die Rente
       
       Die FDP will Rentenausgaben kürzen, führende SPD-Politiker halten dagegen
       und die Debatte für vorgeschoben. Anlass ist der Streit um den Haushalt
       2025.
       
   DIR Umweltorganisation widerspricht Minister: Habeck beim Klima zu optimistisch
       
       Agora Energiewende kritisiert die CO2-Prognosen der Bundesregierung für
       2030. Die Annahmen zu Wetter, Wachstum und Windausbau seien zu positiv.
       
   DIR JU-Landeschef Harald Burkart: Mitglied Nummer 10586931
       
       War der Berliner Landesvorsitzende der Jungen Union mehrere Jahre in der
       AfD? Das legen Mitgliedsdaten nahe, die der taz vorliegen. Er bestreitet
       das.
       
   DIR Hungerstreik vor dem Kanzleramt: Streiken, bis der Arzt kommt
       
       Vor dem Bundeskanzleramt in Berlin Mitte machen Aktivist*innen unter
       dem Motto „Hungern bis ihr ehrlich seid“ auf den Klimawandel aufmerksam.
       
   DIR Ökonom Bofinger über die Schuldenbremse: „Es wurde viel falsch gemacht“
       
       Deutschland sei wieder der kranke Mann Europas, sagt der Ökonom Peter
       Bofinger. Auch das auf den Automobilsektor ausgerichtete Geschäftsmodell
       trage nicht mehr.
       
   DIR Nabu-Chef über EU-Agrarpolitik: „Die Ampel sollte mit Nein stimmen“
       
       Die Agrarpolitik von Rot-Grün-Gelb droht schlechter zu werden als die der
       CDU, sagt Nabu-Chef Jörg-Andreas Krüger. Auch bei Abstimmungen auf
       EU-Ebene.
       
   DIR Altervorsorge in Deutschland: Ginge es auch gerecht?
       
       Fragen und Antworten zum deutschen Rentensystem und zu seiner Finanzierung
       – und was die Alternativen wären.