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       # taz.de -- Neukölln-Untersuchungsausschuss: Nächste Runde eingeläutet
       
       > Der Neukölln-Untersuchungsausschuss schließt mit Klaus Kandt und Barbara
       > Slowik die Befragung der Polizeizeugen ab.
       
   IMG Bild: Kundgebung vor dem Abgeordnetenhaus während der Sitzung des Untersuchungsausschusses
       
       Berlin taz | Der Untersuchungsausschuss Neukölln hat ein weiteres
       Etappenziel erreicht. Die Vernehmungen von Polizeikräften und
       Staatsschutzermittlern sind abgeschlossen. Als letzte Zeugen wurden am
       Freitag im Abgeordnetenhaus der frühere Polizeipräsident Klaus Kandt und
       die amtierende Polizeipräsidentin Barbara Slowik gehört.
       
       Zeitgleich protestierte die Betroffeneninitiative „Rudow empört sich“ vor
       dem Parlament. Unter den rund 30 Demonstranten war auch der
       Linken-Abgeordnete Ferat Koçak, der selbst von einem Brandanschlag
       betroffen war. Dass sie mit den Aufklärungsbemühungen höchst unzufrieden
       sind, [1][hatten Betroffene in den vergangenen Monaten immer wieder
       kundgetan].
       
       Der Ausschuss soll mögliche Pannen und Ermittlungsfehler in einer Serie
       rechtsextremer Anschläge in Neukölln aufdecken. Es geht um 72 rechte
       Straftaten, die seit 2012 verübt worden sind, darunter 23 Brandanschläge.
       Zwei Hauptverdächtige sind lange bekannt, konnten aber bisher nicht
       schwerer Straftaten überführt werden.
       
       Seit Juni 2022 tagt der [2][Untersuchungsausschuss], nach der
       Wiederholungswahl setzte er seine Arbeit fort. Die Vernehmung der von den
       Anschlägen Betroffenen hatte der Ausschuss im vergangenen Sommer beendet.
       Seither wurden Angehörige der Polizei, von Abschnittsbeamten bis zu den
       Ermittlern der Sonderkommissionen und der Rechtsextremismus-Abteilung des
       Staatsschutzes im Landeskriminalamt (LKA) gehört.
       
       Von „einer großen Kluft zwischen Theorie und Praxis“ sprach der
       Ausschussvorsitzende Vasili Franco (Grüne) am Freitag, als er mit den
       Ausschussmitgliedern der anderen Parteien ein vorläufiges Fazit aus den
       Polizeivernehmungen zog. So habe es erhebliche Mängel bei Spurensicherung
       und Wissensübermittlung nach Personalwechseln gegeben. Innerhalb von 12
       Jahren seien die Führungskräfte in der [3][Rechtsextremismus-Abteilung] des
       Staatsschutzes sechs Mal ausgetauscht worden, ergänzte André Schulze
       (Grüne).
       
       Als „total unterbelichtet“ bezeichnete Wiebke Neumann (SPD) die
       Datenauswertung. Man habe aber auch eine Menge engagierter Polizeikräfte im
       Kampf gegen Rechtsextremismus erlebt, steuerte der CDU- Abgeordnete Stephan
       Standfuß Positives bei.
       
       Bis heute steht laut Franco der Verdacht im Raum, dass aus der Polizei
       Informationen an die rechtsextreme Szene weitergegeben worden seien. Franco
       stützte das auf Aussagen wie die des [4][früheren Leiters der
       Ermittlungsgruppe „Resin“, Michael E.] Viele nächtliche
       Observationseinsätze habe die EG Resin gefahren. Merkwürdigerweise sei in
       diesen Zeiten im Unterschied zu sonst aber nie etwas geschehen, hatte E.
       bei seiner Vernehmung im Ausschuss gesagt. „Vielleicht wurden die Einsätze
       durchgesteckt.“ Er habe den Kreis der Wissenden über die Einsätze innerhalb
       der Polizei deshalb zunehmend klein gehalten, so E.
       
       Erst 2017, durch zunehmenden Druck der Öffentlichkeit, sei die Qualität der
       Ermittlungen gesteigert worden, stellte Franco am Freitag fest. Von 2007
       bis 2016 war die Ermittlungsgruppe Rechtsextremismus (EG Rex) mit der
       Neuköllner Neonaziszene befasst. Danach die Nachfolgeorganisation OG Rex,
       ab 2017 wurde im Staatsschutz dann die EG Resin eingerichtet, die im
       Frühjahr 2019 in die Sonderermittlungsgruppe „Bao Fokus“ aufging. Und das,
       obwohl der Seriencharakter der Anschläge schon deutlich früher zu erkennen
       gewesen, sagte Franco mit Verweis auf entsprechende Aussagen von
       Polizisten.Seit 2009 sei der Behörde durch Aufhellungsmaßnahmen bekannt
       gewesen, [5][dass die Neonaziszene in Nord-Neukölln] aus einem harten Kern
       von drei bis vier Personen und einem gefestigten Kreis von 120 Anhängern
       bestand. „Eine nicht zu unterschätzende Zahl“, so Franco.
       
       In den kommenden Monaten will sich der Ausschuss mit dem nicht aufgeklärten
       Mord an Burak Bektaş befassen. Der 22-Jährige war im April 2012 in Neukölln
       erschossen worden, als er mit vier Freunden vor einem Wohnhaus stand. Die
       polizeilichen Ermittlungen führten zu keinem Ergebnis, der Täter ist bis
       heute unbekannt.
       
       „Zäh und mühsam“ sei die Aufklärungsarbeit, sagte Ausschussmitglied Niklas
       Schrader (Linke). Noch immer fehlten dem Ausschuss zentrale
       Aktenbestandteile der Staatsanwaltschaft. Nach dem Fall Bektaş ist die
       Befragung der Vertreter der Anklagebehörde an der Reihe. „[6][Viele offene
       Fragen“ gebe es in Richtung der Staatsanwaltschaft,] sagte Franco. Die
       Ermittler der Polizei hätten ausgesagt, dass ihre Anträge, Tatverdächtige
       zu observieren, von der Staatsanwaltschaft oftmals nicht bewilligt, Fälle
       von dieser auseinandergerissen, Beweisen nicht mit der nötigen Konsequenz
       nachgegangen worden sei. Das habe „die Aufklärung der Serie erheblich
       erschwert“.
       
       2020 hatte Generalstaatsanwältin Margarete Koppers zwei Staatsanwälte
       [7][wegen möglicher Befangenheit abgelöst und die Ermittlungen an sich
       gezogen.]
       
       Wie mühsam die Aufklärungsarbeit ist, zeigte sich am Freitag auch bei den
       Vernehmungen von Polizeipräsidentin Barbara Slowik und ihrem Vorgänger
       Klaus Kandt. Kandt war 2012 vom damaligen CDU-Innensenator Frank Henkel ins
       Amt geholt und Ende 2017 von dessen Nachfolger Andreas Geisel (SPD)
       entlassen worden. Seiner Vernehmung schob Kandt voran, die Ladung habe ihn
       überrascht, er habe nur „noch rudimentäre Erinnerungen“. So war es dann
       auch, dabei fällt die Mehrzahl der Anschläge in seine Amtszeit. „Wann das
       auf meinen Tisch kam, dass das eine Serie ist?“ – „Das kann ich nicht mehr
       sagen“, so Kandt. „Da muss ich passen“, war auch eine beliebte Antwort. Er
       habe sich auf seine Führungskräfte verlassen und sich nie im Detail in
       Ermittlungen eingemischt.
       
       Was der frühere Polizeipräsident allerdings offensiv verteidigte, war das
       Stühlerücken beim Staatsschutz. 2013 war es dort in Folge des
       Bekanntwerdens der NSU-Mordserie zu großen Umstrukturierungen gekommen.
       Nahezu die Hälfte des Personals zur Bekämpfung des Rechtsextremismus war
       ausgetauscht worden, „um frisches Blut reinzubringen“, wie LKA-Leiter
       Christan Steiof als Zeuge im Ausschuss gesagt hatte. Jahrelang erworbenes
       „Kopfwissen“, so Steiof, sei so verloren gegangen. „So eine Aktion würde
       ich heute nicht noch einmal machen“, sagte der LKA-Chef.
       
       Ganz anders Kandt, der „von temporären Engpässen“ sprach, „die man in Kauf
       nehmen muss, damit es danach besser weitergeht“. Gleichzeitig bestätigte
       er, dass bei der Nachbesetzung der Stellen auf Berufsanfänger zurückgriffen
       werden musste, weil die Arbeit beim Staatsschutz wegen der hohen
       Arbeitsbelastung nicht beliebt sei.
       
       Kandts Nachfolgerin Slowik war im April 2018 ins Amt gekommen, kurz nach
       dem Höhepunkt der Brandanschläge. Bei der „Morgenlage“ im Präsidium sei die
       Serie ein regelmäßiger Gesprächspunkt gewesen, sagte sie. Die Frage, ob sie
       mit dem Verdacht eines möglichen Spitzels in den Reihen der Polizei
       konfrontiert worden sei, verneinte sie. Angesprochen auf
       Polizei-Chatgruppen mit rassistischen Inhalten und andere bekannt gewordene
       verfassungsfeindliche Umtriebe von Polizisten, erklärte Slowik:
       Rechtsextreme Strukturen innerhalb der Polizei seien bisher nicht erkennbar
       gewesen. „Allerdings mussten wir irgendwann erkennen, dass man nicht mehr
       von Einzelfällen sprechen kann.“
       
       Aber auch die amtierende Polizeipräsidentin speiste die Abgeordneten bei
       vielen Fragen mit Allgemeinplätzen ab. Manchmal blieb sie die Antwort auch
       gänzlich schuldig. Zum Beispiel, als Niklas Schrader wissen wollte, warum
       der wegen einer rassistischen Gewalttat rechtskräftig verurteilte
       [8][Polizist Stefan K.] immer noch im Dienst und nicht mal vorläufig
       suspendiert sei. K. war bis 2016 Teil der EG Rex.
       
       17 Mar 2024
       
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