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       # taz.de -- AfD-nahe Justiz: Die rechten Richter von Gera
       
       > Seit Jahren schafft das Verwaltungsgericht Gera Freiräume für Neonazis,
       > NPD und AfD. Die Rechtssprechung geht zulasten von Asylbewerbern.
       
   IMG Bild: Das Geraer Gerichtsgebäude: Für Afrikaner ist es hier fast unmöglich, Asylverfahren zu gewinnen
       
       Hamburg taz | Dieter Laudenbach ist nicht nur Inhaber des in Gera beliebten
       Cafés Graf Zeppelin, sondern auch ein thüringischer
       AfD-Landtagsabgeordneter mit Ambitionen. 2018 kandidierte er für den
       rechtsextremen Landesverband von [1][Björn Höcke] für den Posten des
       Oberbürgermeisters, scheiterte aber im zweiten Wahlgang.
       
       Unter den Gästen seiner damaligen Wahlparty waren auch der Vizepräsident
       des Verwaltungsgerichts, Bengt Fuchs, und der Pressesprecher des Gerichts,
       Bernd Amelung, Letzterer mit Frau und Tochter. Berührungsängste mit dem
       AfD-Wirt haben die beiden Richter auch sonst offenbar nicht: Sie essen
       häufig im Grafen Zeppelin zu Mittag, es liegt in der Nähe des Gerichts.
       
       Indizien deuten darüber hinaus sogar auf eine freundschaftliche und
       ideologische Nähe von Fuchs und Amelung zur in Thüringen als gesichert
       rechtsextrem eingestuften AfD. Auf der Facebook-Freundesliste von Richter
       Amelung stand damals unter anderem der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan
       Brandner, der ebenfalls dem offiziell aufgelösten Höcke-„Flügel“
       zugerechnet wird. Auf der Freundesliste des AfD-Wirts Laudenbach stand
       seinerzeit der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Gera Fuchs und bis
       heute der Richter Amelung.
       
       Zuständig sind die beiden AfD-nahen Juristen für Asylrecht. Die sich
       aufdrängende Frage: Schlägt sich die Nähe der beiden ranghohen
       Verwaltungsrichter zum AfD-Milieu in einer restriktiven und rechtslastig
       wirkenden Asylrechtssprechung nieder?
       
       ## „Mindestens tendenziös“
       
       In einem [2][„Forderungspapier zur Justiz in Thüringen“] aus dem April 2022
       beklagen neun Vereine aus der Flüchtlingshilfe eine „Entscheidungspraxis“
       des Verwaltungsgerichts Gera in Asylverfahren, die „mindestens eine
       tendenziöse Rechtsprechung vermuten lässt“. Unter Rechtsanwälten sei es ein
       „offenes Geheimnis“, dass es dort fast unmöglich ist, Asylverfahren
       afrikanischer Kläger zu gewinnen. Im Fadenkreuz der Kritik stehen die
       Richter Fuchs und Amelung. MDR-Recherchen und eine Antwort der
       Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag
       bestätigen die Praxiserfahrungen der Anwälte und Flüchtlingshelfer.
       
       Nach der Asylstatistik der Bundesregierung lagen die Aufhebungsquoten von
       Asylbescheiden von Fuchs und Amelung deutlich unterhalb des
       Bundesdurchschnitts. 2016 betrug die Schutzquote beim Herkunftsland Eritrea
       bei Fuchs' Vorgänger über 18 Prozent. Als er 2017 die Zuständigkeit für das
       Land übernahm, sank sie auf knapp unter 1 Prozent – gegenüber knapp 9
       Prozent im Bundesdurchschnitt. Bei Nigeria betrug das Missverhältnis der
       Schutzquoten knapp über 1 Prozent bei Fuchs im Vergleich zu gut 6 Prozent
       im Bundesdurchschnitt.
       
       Ähnliche Diskrepanzen gibt es bei Richter Amelung: Beim Herkunftsland
       Elfenbeinküste entschied seine Kammer seit 2014 in unter einem Prozent der
       Verfahren zugunsten der Asylbewerber. Der Bundesdurchschnitt lag bei gut 6
       Prozent. Beim Herkunftsland Libyen gingen die Verfahren bei Richter Amelung
       zu gut 6 Prozent zugunsten von Schutzsuchenden aus, der Bundesdurchschnitt
       betrug 14 Prozent. Die linke Bundestagsabgeordnete Clara Bünger ist
       überzeugt, dass die geringen Schutzquoten mit der „rechten Einstellung“ der
       beiden Asylrichter zusammenhängen.
       
       ## Politisch neutrale Argumentationsmuster
       
       Die Praxis der Richter in Gera ist offenbar politisch und hinterlässt den
       Eindruck der Rechtslastigkeit. Zugleich überschreitet sie dabei jedoch
       nicht die Grenzen des rechtlich Vertretbaren. Denn um die Asylansprüche
       abzuweisen, verwendeten die beiden Richter in der Regel politisch neutrale
       Argumentationsmuster:
       
       Entweder hielten sie den Vortrag eines Asylbewerbers für „nicht
       glaubwürdig“ oder sie nutzten für Ablehnungen von Asylansprüchen
       Textbausteine, nach denen die Vorträge der Kläger „detailarm, vage und
       unsubstantiiert“ waren. Das sind Schulbeispiele für die Möglichkeit von
       Richtern, mit politisch neutralen Wertungen mutmaßlich politisch
       angestrebte Ergebnisse zu produzieren, etwa Zuwanderung zu begrenzen.
       
       Auf Nachfrage der taz räumen die Richter Fuchs und Amelung ein,
       „Stammgäste“ im Cafe Graf Zeppelin zu sein. Fuchs bestreitet eine „Nähe zur
       AfD“, Amelung sieht im Umgang mit dem AfD-Wirt Laudenbach keine
       „verfassungsfeindlichen Tendenzen“ – was allerdings auch niemand behauptet
       hat.
       
       Die Asylrechtssprechung ist aber nicht der einzige Bereich, der in Gera
       Fragen aufwirft. Auch die Entscheidungspraxis des Präsidenten des
       Verwaltungsgerichts Gera, Michael Obhues, als Vorsitzender der 1. Kammer
       ist politisch umstritten. Diese hat einer Neonazi-Gruppe und der NDP (heute
       „Die Heimat“) über Jahre erstaunlich viel Raum für Demonstrationen,
       Protestaktionen und rechte Rockkonzerte eröffnet.
       
       In Jena durfte die NPD Märsche im Gedenken an die Reichspogromnacht und an
       den Tod von Hitlerstellvertreter Rudolf Heß durchführen. Die Neonazi-Gruppe
       „Thügida/Wir lieben Ostthüringen“ durfte Hitlers Geburtstag am 20. April
       2016 mit einem Fackelzug in Jena feiern. Das Gericht kassierte dabei immer
       wieder zuvor verhängte Versammlungsverbote des damaligen
       SPD-Oberbürgermeisters Albrecht Schröter.
       
       ## Braunen Anmeldern wird geglaubt
       
       Typisch für diese Gerichtsbeschlüsse ist, dass die Kammer den Vorträgen der
       braunen Anmelder eher glaubte als denen des Oberbürgermeisters – wenn sie
       zum Beispiel vorgaben, mit Demos die Meinungsfreiheit zu verteidigen oder
       gegen „linken Terror“ zu protestieren, obwohl sie tatsächlich Hitler oder
       Heß huldigen wollten. Dass die offiziell genannten Demonstrationsziele nur
       zur Tarnung vorgeschoben waren und die Proteste in Wirklichkeit
       Tarnversammlungen für braune Anliegen waren, hielten die Verwaltungsrichter
       in Gera für nicht hinreichend belegt.
       
       Der Vorsitzende der jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Reinhard Schramm,
       hat dafür kein Verständnis. Aus seiner Sicht war der „thematisch enge
       Zusammenhang dieser Tage für alle offensichtlich“: „Das Ignorieren des
       Gedenkens an diese Mordnacht (Reichspogromnacht), die der Ausgangspunkt zum
       Völkermord wurde, betrachte ich als Verhöhnung der Opfer“, sagte Schramm.
       Die Folge dieser Spruchpraxis: Zwischen 2006 und 2016 hatte sich Jena zur
       einem Protesteldorado für NPD und Neonazis entwickelt.
       
       Dass es durchaus auch anders ginge, zeigt ein Beschluss des
       Oberverwaltungsgerichts Magdeburg. Es hielt das Verbot einer
       NPD-Demonstration unter dem Motto „Gegen Polizeiwillkür“ aufrecht, weil
       diese in Wirklichkeit eine „getarnte Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung“ war.
       
       ## Rechtslastige Spruchpraxis
       
       Gegenüber der taz hat Präsident Obhues den Vorwurf einer rechtslastigen
       Spruchpraxis zurückgewiesen. Er verteidigt sie mit der Rechtsprechung des
       Bundesverfassungsgerichts zur Versammlungsfreiheit. Dabei hat die Frage, ob
       eine NPD-Demonstration eine Tarnveranstaltung ist oder nicht, nichts mit
       dieser zu tun.
       
       Im März 2021 hat das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz den
       AfD-Landesverband als „erwiesen rechtsextremistisch“ eingestuft. Die AfD
       Thüringen klagt seit August 2023 gegen einzelne Passagen des
       Verfassungsschutzberichts, hat aber gegen die Einstufung als gesichert
       rechtsextrem keine Rechtsmittel eingelegt. Die 1. Kammer des
       Verwaltungsgerichts Gera unter dem Vorsitz von Präsident Obhues ist dennoch
       nicht von der Einstufung überzeugt. Das zeigt sich in einem einstweiligen
       Rechtsschutzverfahren, in dem ein Sportschütze gegen den Entzug seines
       Waffenscheins wegen seiner AfD-Mitgliedschaft geklagt hatte.
       
       Hier kam die Kammer im August 2023 nebenbei zum Ergebnis, dass die
       Verfassungsschützer bislang nicht „tragfähig nachgewiesen“ hätten, dass der
       Thüringer AfD-Landesverband „erwiesen rechtsextremistisch“ sei. Der
       AfD-Sportschütze durfte seine Waffenbesitzkarte vorerst behalten. Was
       politisch längst Konsens ist, sollte rechtlich nicht belegbar sein: dass
       der Höcke-Landesverband die rechtsextremistische Herzkammer der AfD ist.
       
       Ohne Not hinterfragte die Obhues-Kammer in der Entscheidung die
       Professionalität des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz. Dem
       Verfassungsschutzbericht 2021 und einem Vermerk der Behörde attestierte sie
       „mangelhafte quantitative und qualitative Verdichtung“, „unzureichenden
       Begründungen“ und eine vom Amt „favorisierte Auslegungsvariante“, sprich
       Voreingenommenheit.
       
       ## Irritierender Ton
       
       Den Jenaer Staatsrechtler Michael Brenner irritiert die Tonalität des
       Beschlusses: „Es ist ungewöhnlich, wenn ein Landesgericht eine
       Landesbehörde in so drastischer Form zerlegt. Das ist für ein
       Verwaltungsgericht nicht angemessen.“
       
       Brenner ist mit seiner Irritation nicht allein: Im wohltuenden Kontrast zum
       Beschluss der Geraer Verwaltungsrichter urteilte der 3. Senat des
       Oberverwaltungsgerichts Thüringen im Februar 2024. Er kam zwar zum selben
       Ergebnis, sah aber „anders als das Verwaltungsgericht Gera durchaus
       Tatsachen“, nach denen der „AfD-Landesverband Thüringen Positionen
       vertritt, die den elementaren Grundsätzen der Verfassung entgegenstehen“.
       
       Im Zentrum der Kontroverse der beiden Gerichte stehen unterschiedliche
       rechtliche Bewertungen der politischen Dominanz des Landesvorsitzenden
       Björn Höcke im Thüringer Landesverband. Nach Ansicht der Geraer
       Verwaltungsrichter sind seine Äußerungen zwar „gewichtige Indizien für die
       Gesamtausrichtung“ der Partei, dürften aber angesichts der „regelmäßig
       komplexen Strukturen politischer Parteien“ nicht „schematisch“ auf die
       ganze Partei übertragen werden. Demgegenüber fand der 3. Senat des
       Oberverwaltungsgerichts Thüringen es als „sachgerecht“, die „politische
       Ausrichtung einer Partei an den unwidersprochenen öffentlichen Äußerungen
       ihrer auf höchsten Ebenen bestimmenden Repräsentanten (Höcke) zu messen“.
       
       ## Zulasten der wehrhaften Demokratie
       
       Diese wurzeln nach Meinung des Oberverwaltungsgerichts in einer
       „Grundeinstellung, die mit den wesentlichen Verfassungsgrundsätzen der
       Menschenwürde, Religionsfreiheit, Gleichbehandlung und dem
       Demokratieprinzip nicht mehr vereinbar ist“. Auch hier dasselbe Phänomen:
       Von zwei vertretbaren Auslegungen des Waffengesetzes entscheidet das
       Verwaltungsgericht Gera zugunsten der AfD und zulasten der wehrhaften
       Demokratie.
       
       21 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hoecke-Prozess-wegen-SA-Parole/!6004606
   DIR [2] https://www.fluechtlingsrat-thr.de/aktuelles/news/gemeinsames-forderungspapier-zur-justiz-th%C3%BCringen
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Joachim Wagner
       
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