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       # taz.de -- Krise an Berliner Berufsschule: Ohne Fachkräfte keine Ausbildung
       
       > Mehrere Klassen einer Berliner Schule für Gesundheitsberufe werden
       > kurzfristig aufgelöst. Die Schüler*innen fühlen sich alleingelassen.
       
   IMG Bild: Trotz Fachkräftemangel in der Pflege soll die Physiotherapieklasse in Lichtenberg kurzfristig aufgelöst werden
       
       Berlin taz | Erst die Pflegefachassistenz, dann die Physiotherapie,
       schließlich die Logopädie: Die private Ludwig-Fresenius-Schule in
       Lichtenberg macht reihenweise Klassen dicht, die Schüler*innen müssen
       sich neue Ausbildungsplätze suchen. Und das extrem kurzfristig.
       
       Anfang März wurde den angehenden Pflegefachassistent*innen
       mitgeteilt, dass ihre Klasse zum 15. März aufgelöst wird. Genau an diesem
       Tag folgte dann die Information an die Physiotherapieklasse wie kurz darauf
       auch an die Logopäd*innen, dass für sie zum 31. März Schluss ist. Der
       Grund: eine Anordnung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso).
       
       „Wir haben das alles erst für einen Witz gehalten“, sagt Nathalie, eine
       Schülerin der Physiotherapieklasse, die nicht mit ihrem vollen Namen in der
       Zeitung stehen will. Anfang März habe die Klasse noch von der Schule
       versichert bekommen, dass die vorgesehene Ausschulung nur die Klasse für
       Pflegefachassistenz betreffe. Nathalie und ihre Mitschüler glauben, dass zu
       dem Zeitpunkt auch bereits über das Fortbestehen der eigenen Klasse
       entschieden war.
       
       Die Berufsschule dementiert: Zu dem Zeitpunkt hätten die Bescheide für die
       Physiotherapie- und Logopädieklassen noch nicht vorgelegen, sagt ein
       Sprecher auf taz-Nachfrage. Schuld an der offenkundig zeitversetzt
       mitgeteilten Entscheidung sei das Lageso.
       
       ## Lehrkräfte-Schüler-Schlüssel nicht eingehalten
       
       Als Grund für die Ausschulung nennt die Fresenius-Schule den
       Fachkräftemangel: „Wie viele andere Schulträger in Berlin müssen auch wir
       uns seit Jahren mit einem eklatanten Lehrkräftemangel auseinandersetzen“,
       so der Sprecher.
       
       Offene Stellen könnten nur schwer besetzt werden, zumal Berlin im Vergleich
       zu anderen Bundesländern besonders hohe Anforderungen an die
       Lehrkräftebefähigung etwa im Bereich Physiotherapie stelle. Um den
       geltenden Lehrkräfte-Schüler-Schlüssel einhalten zu können, sei die
       Ausschulung verfügt worden, so der Sprecher weiter.
       
       Der Lehrkräfte-Schüler-Schlüssel liegt in der Physiotherapie bei mindestens
       einer Lehrkraft in Vollzeit pro 20 Schüler*innen. Der Unterricht wurde
       laut Schüler*innen bislang ohne Ausfälle hauptsächlich von zwei
       Lehrer*innen getragen. „Für kleinere Fächer sind andere Lehrerkräfte zu
       uns gekommen. Wir haben den Unterricht trotzdem als normal empfunden“,
       berichtet Nadia, eine Mitschülerin von Nathalie.
       
       Dass der aktuelle Ausbildungsjahrgang ausgeschult wird, die
       Physiotherapieausbildung an der Fresenius-Schule im Oktober jedoch wieder
       regulär starten soll, erscheint vielen als absurd. Die Schule selbst ist
       zuversichtlich: In den vergangenen Monaten sei es „durch die intensive
       Suche nach Lehrkräften“ gelungen, aussichtsreiche Kandidat*innen zu
       finden und so im Oktober den „geforderten Lehrkräfte-Schüler-Schlüssel
       wieder erfüllen zu können“, so der Sprecher.
       
       ## Schließung als letztes Mittel
       
       Das Lageso will sich auf taz-Anfrage nicht zu einzelnen Maßnahmen an
       Pflegeschulen äußern, verweist aber auf eine Pressemitteilung. In der heißt
       es, das Amt habe die Aufgabe, auf die „Einhaltung von gesetzlichen
       Mindestansprüchen bei der Ausbildung von Pflegekräften zu achten“.
       
       Diese Maßnahmen sollen [1][dem Schutz von Patient*innen] dienen und
       „zudem gewährleisten, dass alle Schülerinnen und Schüler qualitativ
       ausgebildet werden“. Sobald das Amt Hinweise erhalte, dass wichtige
       Lerninhalte nicht vermittelt werden könnten oder andere Missstände an einer
       Schule bestünden, müsse es sich einschalten.
       
       Dafür trete das Lageso erst mit der Schule ins Gespräch, sollten die Mängel
       jedoch nicht behoben werden, „kann als letztes Mittel auch die Schließung
       oder die Teilschließung einer Gesundheits- und Pflegeschule erforderlich
       sein“.
       
       ## Azubis haben sich selbst um Ersatz gekümmert
       
       Nathalie und Nadia hilft es wenig, dass Schule und Amt die Verantwortung
       hin und her schieben. Sie mussten sich selbst helfen. Das Lageso habe den
       Schüler*innen mitgeteilt, dass es rechtlich nicht dazu verpflichtet sei,
       sie bei der Schulsuche zu unterstützen. „Wir haben die Schulen eigenständig
       angeschrieben und gefragt, ob sie noch Plätze haben und uns aufnehmen
       können“, berichtet Nadia. Immerhin: sie wurden fündig.
       
       Ab April geht es nun an einer anderen Schule weiter. Nathalie ist froh,
       dass die ganze Klasse übernommen wurde: „Die Klassenstruktur und das
       Miteinander sind bei der Physiotherapieausbildung sehr wichtig. Das ist
       eine physische Ausbildung. Wir behandeln uns gegenseitig und sind uns
       dadurch auch körperlich sehr nahe.“
       
       Im Nachhinein wünschen sich die beiden vor allem eine bessere
       Kommunikation. „Es kann nicht sein, dass Personen, die sich [2][für einen
       stark unterbesetzten Gesundheitsberuf interessieren] und Hoffnung auf einen
       Abschluss haben, dann so abgefertigt und vor vollendete Tatsachen gestellt
       werden“, findet Nadia.
       
       25 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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