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       # taz.de -- Nach Terroranschlag in Konzerthalle: Verdächtige in Moskau vorgeführt
       
       > Russische Ermittler präsentieren überraschend schnell vier
       > Tatverdächtige. Auch in Deutschland und Frankreich wird vor Anschlägen
       > gewarnt.
       
   IMG Bild: Tatverdächtiger des Terroranschlags auf die Crocus City Hall im Bezirksgericht Basmanny
       
       Moskau/Berlin dpa/afp/taz | Gezeichnet von üblen Gesichtsverletzungen sind
       die vier mutmaßlichen Attentäter des [1][jüngsten Terroranschlags nahe
       Moskau] dem Haftrichter vorgeführt worden. Die Angeklagten wurden am
       Sonntag von vermummten Sicherheitskräften ins Basmanny-Gericht in der
       russischen Hauptstadt gebracht und mit deutlich sichtbaren Blutergüssen,
       Schwellungen, Schürf- und Platzwunden in Glaskäfigen platziert. Einer von
       ihnen war offensichtlich nicht mehr in der Lage zu laufen und lag mit
       geschlossenen Augen festgeschnallt in einem Krankenstuhl.
       
       Ein anderer hatte einen wenig fachmännisch wirkenden Verband am rechten
       Ohr. Vor dem Gerichtstermin waren Videoaufnahmen im Netz verbreitet worden,
       die zeigen sollen, dass die festgenommenen Männer gefoltert wurden und
       einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde. Ob die Aufnahmen
       authentisch sind, ließ sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die
       eigentliche Anhörung fand hinter geschlossenen Türen statt, wie die
       russische Staatsagentur Tass berichtete.
       
       Der Terrorverdächtige auf dem Krankenstuhl, der den Anschlag gefilmt haben
       soll, hatte demnach „Schwierigkeiten zu sprechen“. Das Ermittlungskomitee
       wirft ihm und seinen drei mutmaßlichen Komplizen einen gemeinschaftlich
       verübten tödlichen Terroranschlag vor.
       
       Vier der Verdächtigen gelten als die eigentlichen Todesschützen – sie sind
       diejenigen, die nun dem Haftrichter vorgeführt wurden. Die Haftbefehle
       wurden laut Tass am Sonntagabend erlassen. Die vier Männer waren am
       Wochenende im russischen Grenzgebiet Brjansk festgenommen und nach Moskau
       gebracht worden. Menschenrechtler berichten immer wieder von Demütigungen,
       Misshandlungen und brutalen Foltermethoden im russischen Strafvollzug.
       Öffentlich inszenierte Schauprozesse dienen demnach der staatlichen
       Machtdemonstration und Abschreckung.
       
       ## Putin sieht nach wie vor eine Spur in die Ukraine
       
       Zu dem Anschlag hat sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) öffentlich
       bekannt. Dennoch will Russlands Staatsführung eine Verwicklung der Ukraine
       sehen, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg
       führt. Nach Angaben des russischen Präsidenten Wladimir Putin wollten die
       Täter in die Ukraine flüchten, Beweise dafür legte er aber nicht vor. Kyjiw
       weist jede Beteiligung an der Tat zurück.
       
       Unterdessen beging Russland am Sonntag einen nationalen Trauertag. Die
       Mitglieder der populären Rockband Piknik, die am Freitag in der Crocus City
       Hall hätte auftreten sollen, legten am Abend [2][vor der Konzerthalle
       Blumen für die Opfer] nieder. Nach einer Gedenkminute sprachen sie den
       Hinterbliebenen ihr Mitgefühl aus. „Diese Gräueltat ist eine sinnlose,
       unvorstellbare Grausamkeit“, wurde Bandleader Edmund Schkljarski zitiert.
       Unter den Todesopfern ist laut der Band auch eine ihrer Assistentinnen.
       
       Sichtlich erschütterte Bewohner der Hauptstadtregion strömten auch am
       Sonntag in dichten Scharen zur Crocus City Hall. Am Zaun vor dem zerstörten
       Gebäude legten sie Blumen und Spielsachen zum Gedenken an die Opfer nieder
       – die Gegend glich einem Blumenmeer. Auf Leuchttafeln in der russischen
       Hauptstadt flackerte anstelle von Werbung die Aufnahme einer Kerze und
       darunter die Aufschrift: „Wir trauern. 22.03.2024.“ Über dem Kreml wehte
       die Fahne auf halbmast.
       
       Präsident Putin sprach in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede am
       Samstagnachmittag von einer angeblichen Spur in die Ukraine. Mit Blick auf
       die festgenommenen Verdächtigen sagte er: „Sie haben versucht sich zu
       verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein
       Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war.“ Der ukrainische
       Militärgeheimdienst konterte dies mit dem Hinweis, dass die Grenze sei seit
       Langem vermint sei.
       
       Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies jede Verwicklung seines
       Landes in den Anschlag zurück. Angesichts der Anschuldigungen aus Moskau
       nannte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba den Kremlchef am Sonntag
       einen „pathologischen Lügner“. Putin versuche verzweifelt, die Ukraine mit
       dem Anschlag in Verbindung zu bringen, auch wenn es keine Beweise gebe,
       schrieb Kuleba am Sonntag auf der Plattform X (ehemals Twitter). „Lasst
       euch nicht von Putin und seinen Handlangern in die Irre führen“,
       appellierte er.
       
       ## Experten halten Bekennerschreiben für glaubwürdig
       
       Ihr einziges Ziel sei, weitere Russen zu motivieren, um in dem sinnlosen
       und kriminellen Krieg gegen die Ukraine zu sterben. Zudem solle dadurch
       weiterer Hass gegen andere Länder, vor allem den gesamten Westen, geschürt
       werden. [3][Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte als angeblichen
       Beweis, für den Angriff verantwortlich zu sein], ein Video, das die
       Attentäter am Anschlagsort zeigen soll. Zudem wurde ein Bild der
       angeblichen Attentäter mit unkenntlich gemachten Gesichtern gezeigt.
       
       Die mit Sturmgewehren, Pistolen und Sprengsätzen bewaffneten Kämpfer hätten
       Russland einen „schweren Schlag“ versetzt, hieß es in dem
       Bekennerschreiben. Der Angriff habe „Tausenden Christen in einer
       Musikhalle“ gegolten. Terrorismusexperten stuften das Schreiben als
       glaubwürdig ein. Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet
       sie als Ungläubige. Seit einigen Jahren haben die Islamisten auch Moskaus
       Politik auf dem Radar.
       
       In früheren Ansprachen warf die Terrorgruppe Russland etwa vor,
       muslimisches Blut vergossen zu haben. Insbesondere in Afghanistan wiegt das
       Erbe der sowjetischen Intervention vor 45 Jahren immer noch schwer.
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte es glaubhaft, dass die als
       IS-Ableger bekannte Gruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) den
       Anschlag zu verantworten habe.
       
       ## Terrorgefahr für Deutschland und Frankreich
       
       Von dieser gehe derzeit auch für [4][Deutschland die größte Gefahr aus,
       sagte Faeser] der Süddeutschen Zeitung. Die ISPK-Terrorgruppe hat ihren
       Ursprung in Afghanistan. Khorasan steht für eine historische Region in
       Zentralasien, die Teile von Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan und
       Tadschikistan sowie von Iran umfasste.
       
       Die französische Regierung rief in ihrem Land die höchste
       Sicherheits-Alarmstufe aus. Dies gab Premierminister Gabriel Attal am
       Sonntagabend im Onlinedienst X bekannt. Neben dem Angriff bei Moskau
       verwies er zur Begründung auch auf „Bedrohungen, denen unser Land
       ausgesetzt ist“.
       
       Die höchste Alarmstufe wird in Frankreich ausgerufen, wenn davon
       ausgegangen wird, dass ein Anschlag unmittelbar droht. Diese wurde nun in
       Kraft gesetzt, nachdem sie zuvor erst im Januar um eine Stufe nach unten
       gesetzt worden war. Die Entscheidung fiel nach einer Sitzung des
       Sicherheitskabinetts im Elysée-Palast, an der auch Präsident Emmanuel
       Macron teilnahm.
       
       25 Mar 2024
       
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