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       # taz.de -- Antiziganismus im Alltag: Ganz plötzlich kein Zimmer frei
       
       > Kelly Laubinger von der Sinti-Union bucht für einen gastierenden Autor
       > ein Zimmer. Das Hotel storniert – wegen ihres Namens. Nun geht sie vor
       > Gericht.
       
   IMG Bild: Nicht immert seriös begründet: Schild mit Aufschrift „belegt“ an einer Pension
       
       Hamburg taz | Es sollte ein Lesefest gegen Diskriminierung werden – und
       endet vermutlich vor Gericht. Im vergangenen Oktober wollte Kelly
       Laubinger, Geschäftsführerin der Sinti-Union Schleswig-Holstein, ein Zimmer
       für [1][den Autor Max Czollek] buchen, der in den damals neu eröffneten
       Räumen des Selbsthilfe-Vereins lesen sollte. Ein örtliches Hotel
       verweigerte die Reservierung, die Begründung: „Schlechte Erfahrungen mit
       der Familie Laubinger“. Der Name ist typisch für die Sinti-Minderheit.
       [2][Kelly Laubinger machte den Fall öffentlich], schaltete die
       Antidiskriminierungsstelle des Landes ein und verlangt Wiedergutmachung.
       Der Versuch einer außergerichtlichen Schlichtung scheiterte. Nun droht ein
       Prozess.
       
       Mit dem Hotelier Thomas Hildebrandt an einem Tisch zu sitzen, sei kein
       gutes Gefühl gewesen, berichtet Laubinger von dem Schlichtungsgespräch.
       Ihre Forderungen, darunter eine öffentliche Entschuldigung und ein
       Antidiskriminierungstraining für ihn selbst und seine Mitarbeiter:innen,
       habe er abgelehnt. Aus Sicht des Hoteliers stellte sich die Szene anders
       dar: „Bei dem Gespräch war sie zu keinem Dialog bereit. Selbst als ich auf
       ihre Forderungen weitgehend eingehen wollte, lehnte sie ab“, schreibt er
       auf taz-Anfrage.
       
       ## Der Teufel liegt im Detail
       
       Es sind die Details, über die sich beide Seiten nicht einigen können. So
       verlangte Laubinger ein Anti-Rassismus-Seminar für das ganze Team,
       Hildebrandt schlug vor, alleine daran teilzunehmen, „da 60 Prozent meiner
       Mitarbeiter die deutsche Sprache schlecht bis gar nicht sprechen“. Eine
       Entschädigung wollte er an eine örtliche „Brennpunktschule mit über 30
       Nationen, auch mit Sinti- und Roma-Kindern“ zahlen. Überhaupt sei er „seit
       25 Jahren durch meinen Rotary-Club engagiert in Burkina Faso“. Daher sei es
       „erniedrigend“, so der Hotelier, wenn er und sein Team als „Rassisten und
       Nazis beschimpft“ würden.
       
       Sie selbst habe ihn nie so genannt, betont Laubinger. Doch für sie ist
       Hildebrandts Verweis auf das Engagement im Ausland eher ein Zeichen dafür,
       dass der Mann nicht verstanden habe, worin die Diskriminierung bestand.
       Denn die Sinti sind eben nicht „ausländisch“: Die Minderheit ist seit über
       600 Jahren in Schleswig-Holstein ansässig und [3][genießt seit 2012
       Verfassungsrang], so wie die dänische und die friesische Minderheit.
       Dennoch werde „unterstellt, wir seien nicht deutsch genug oder nicht gut
       integriert“, sagt Laubinger, deren Verein sich dafür einsetzt, die
       Minderheit sichtbarer zu machen.
       
       Beim Mediations-Gespräch und auch gegenüber Medien hatte Hildebrandt die
       damalige Entscheidung bedauert und von einem Missverständnis gesprochen.
       Laubinger hätte ihn anrufen und die Sache klären können, sagt er. Kelly
       Laubinger schüttelt den Kopf: Die Ablehnung sei so deutlich gewesen, dass
       sie keine Basis für ein Gespräch gesehen habe: „Das Zimmer stand plötzlich
       nicht mehr zur Verfügung, als ich explizit im Namen der Sinti Union SH
       buchen wollte.“ Für die Enkelin von Holocaust-Überlebenden war diese
       harsche Abfuhr „ein Stich ins Familien-Trauma“.
       
       Im vergangenen Oktober sollte der Berliner Autor Max Czollek in Neumünster
       im Rahmen einer „antirassistischen Lesereihe“ aus seinem Buch
       „Versöhnungstheater“ lesen. Auf der Suche nach einem Zimmer war Laubinger
       auf Hildebrandts Hotel gestoßen, das sozusagen um die Ecke liegt. „Gäste
       können zu Fuß gehen – ideal auch für zukünftige Veranstaltungen“, sagt sie.
       Online reservierte sie ein Zimmer und bekam eine Zusage. Als sie die
       bestätigte, erhielt sie eine Mail, die die taz einsehen konnte: „Leider
       darf ich Ihnen kein Zimmer vermieten, da wir mit der Familie Laubinger
       leider schlechte Erfahrungen gemacht haben“, schreibt eine Mitarbeiterin
       des Hauses. Das doppelte „leider“ lässt ahnen, dass sie selbst nicht froh
       darüber war.
       
       ## „Maximal schlechte Kommunikation“
       
       Heute bedauere er die Absage „aus tiefstem Herzen“, sagt Hotelier
       Hildebrandt. Die Kommunikation im eigenen Haus sei „maximal schlecht
       gelaufen“. Mit Sinti habe er den Namen „Laubinger“ – der in der Minderheit
       ähnlich weit verbreitet ist wie „Müller“ oder „Meier“ in der deutschen
       Mehrheitsgesellschaft – nicht in Zusammenhang gebracht.
       
       Doch warum genau er nicht an eine Laubinger vermieten wollte, bleibt vage.
       Der Lokalzeitung Holsteiner Courier sagte Hildebrandt, Gäste dieses Namens
       hätten früher einmal nicht bezahlt. Dem Fernsehsender Sat 1 sagte er
       dagegen, ein Laubinger habe ein Zimmer „verwüstet“. Auf die Frage der taz
       nach diesem Widerspruch antwortet der Hotelier unbestimmt, es habe „vor
       einigen Jahren in unserem ersten Hotel einen sehr unangenehmen Vorfall mit
       dem Namen Laubinger gegeben“. Deswegen habe er abgelehnt, obwohl nicht
       einmal eine Person namens Laubinger hätte übernachten sollen. „Menschen
       machen Fehler, auch ich“, schreibt er.
       
       Nachdem Laubinger den Fall bekannt gemacht hatte, gab es zahlreiche
       Reaktionen – positive wie negative. Hildebrandt spricht von „Hass und
       Hetze“, die ihn getroffen hätten: „Das wird dem Vorfall nicht gerecht.“
       
       Kelly Laubinger nimmt es gelassen: „Ich kriege bestimmt mehr
       Hass-Kommentare als er“, sagt die Verbands-Geschäftsführerin. Aber sie
       erhielt auch Zuspruch, darunter von Politiker:innen wie der
       EU-Abgeordneten Delara Burkhardt (SPD).
       
       Kommt es zu einem Verfahren, ist es für sie bereits der zweite Prozess, mit
       dem sie gegen Diskriminierung vorgeht. In einem ersten Verfahren hatte sie
       gegen einen Fitnessstudio-Besitzer geklagt, der sie wegen ihres Namens
       nicht aufnehmen wollte. Das Gericht gab ihr recht.
       
       8 Apr 2024
       
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