URI: 
       # taz.de -- Gedenken an Zwangsarbeiter in Bremen: Einer von über 200 Orten
       
       > In Bremen erinnert nun ein Mahnmal an Zwangsarbeit in der NS-Zeit. Die
       > Stadt zeigt damit, dass sie auch pietätvoll mit ihrer Geschichte umgehen
       > kann.
       
   IMG Bild: Gedenkort für Zwangsarbeit: Künstlerin Michaela Melián hat die Fassade des Ulrichsschuppens nachgebaut und auf den Boden gelegt
       
       Bremen taz | Da liegt sie nun, die „Gewaltgeschichte des Hafens“, dieser
       Ausdruck wird am Mittwoch immer wieder verwendet: Eine Fassade aus alten
       Backsteinen, zwischen Kieselsteinen, ganz leicht erhöht. Fast eins zu eins
       soll sie den alten Ulrichsschuppen nachgebaut sein, die hier einmal
       standen, aber am Boden liegend wirkt die Fassade seltsam klein. Das Tor in
       der Mitte aus unbehandeltem Eisen ist nach dem Regen der letzten Nächte
       schon gelb geworden.
       
       Normalerweise bewegen sich hier nur ein paar Arbeiter*innen, Lkw liefern
       Güter. Heute aber sind 70, 80 Leute gekommen zur Einweihung des
       Gedenkortes, den die [1][Künstlerin Michaela Melián gestaltet hat.] Die
       nachgebaute Fassade des Ulrichsschuppens soll erinnern an die
       Zwangsarbeiter, die hier in der NS-Zeit untergebracht waren. 983 Männer
       haben zwischen 1942 und 1945 als Zwangsarbeiter in den Backsteinschuppen 9
       und 10 gelebt, Franzosen, Polen, Sowjetbürger.
       
       Es ist nur einer von über 200 Orten in Bremen, an denen Zwangsarbeiter
       lebten. Schätzungsweise 75.000 Menschen mussten in der Stadt Zwangsarbeit
       leisten. Untersucht worden ist die Geschichte der Lager in Bremen
       detailliert, ein Standardwerk der Wissenschaft von Helga Elisabeth
       Bories-Sawala aus den Neunziger Jahren hat die [2][Lage der Zwangsarbeiter
       am Beispiel Bremens] untersucht.
       
       Dennoch ist es mit vielen dieser Lager ein bisschen wie mit dem
       Juchtenkäfer: Der größeren Öffentlichkeit fallen sie meist erst ein, wenn
       es eine neue Nutzung an dem Ort zu verhindern gilt. So geschehen beim
       [3][ehemaligen Zwangsarbeiterlager in Grolland,] das in die Presse kam, als
       ein Bordell einzog, und an der Reitbrake, an der Zwangsarbeiter beerdigt
       liegen – in die Öffentlichkeit gekommen ist das, als die [4][Fläche mit
       emissionsstarker Industrie bebaut] werden sollte.
       
       ## Mit Geschichts- und Verantwortungsbewusstsein
       
       Dass es auch pietätvoller geht, das zeigt der neue Gedenkort in Walle, wo
       viele Leute vieles richtig gemacht haben: In seinem Bürgerhaus „Brodelpott“
       verfügt der Stadtteil über eine eigenes Geschichtsabteilung, samt
       [5][„digitialem Heimatmuseum“]. Angela Piplak untersucht dort seit Jahren
       die Geschichte des Stadtteils, organisiert Ausstellungen und
       Stadtteilspaziergänge, auch zur Situation von Zwangsarbeitern in der
       NS-Zeit im Stadtteil.
       
       Als der Beirat, das Stadtteilparlament von Walle, Ende 2018 vom
       bevorstehenden Abriss des historischen Ulrichsschuppens hörte, suchte man
       schnell nach einer Möglichkeit, zumindest Teile als historische Stätte zu
       erhalten.
       
       Der dritte wichtige Akteur ist das Unternehmen J. Müller aus Brake, das das
       Gelände 2018 erworben hatte, um seine Lagerkapazität für Rohkaffee
       auszubauen. Was sie da gekauft hatten, das wusste bei der Hafengesellschaft
       niemand. „Für uns waren das nur Lagerschuppen. Die mussten weg“, sagt Uwe
       Schiemann vom Unternehmen. Auf die Bitten des Beirats aber ging man gern
       ein: Die Fassade erhalten, das sei nicht möglich gewesen; hundert
       Quadratmeter für den Gedenkort abzwacken, darauf konnte man sich aber
       einlassen.
       
       Ein bisschen zu kurz kommt am Tag der Einweihung das [6][eigentliche
       Gedenken an die Zwangsarbeiter.] Wer sie waren, ob sie entschädigt wurden,
       wie sie gelebt haben – das wird nicht erzählt. Dabei gäbe es einiges zu
       sagen über die 986 Männer. Gearbeitet haben sie für den
       Hafenbetriebsverein; profitiert von ihrer Arbeitskraft haben wohl alle
       Unternehmen, die damals im Hafen ansässig waren. Unter den Männern waren
       Kriegsgefangene, aber auch „Zivilarbeiter“: Zivilist*innen die
       zwangsrequiriert wurden.
       
       ## Großflächige Wandbilder
       
       Gut ging es ihnen nicht, eine wissenschaftliche Studie berichtet von Elf-
       und Zwölf-Stunden-Tagen, von Sieben-Tage-Wochen. Wie schlecht aber, das
       hing auch davon ab, in welchem Schuppen sie lebten: Die „Zivilarbeiter“ aus
       Frankreich im Schuppen 10 fielen unter die Genfer Konvention. Die Sowjets
       im Schuppen 9 waren schlechter gestellt, für sie galt die Genfer Konvention
       nicht.
       
       Bekannt geworden ist die Geschichte der französischen Insassen im Schuppen
       10 durch eine historisch einmalige Überlieferung: Die Zwangsarbeiter hatten
       mit deutscher Genehmigung [7][großflächige Wandbilder gemalt: 13 Szenen]
       auf 105 Quadratmetern stellten die Tage im Lager dar. Die Bilder waren
       später übertüncht worden, aber durch die Erinnerung eines ukrainischen
       Zwangsarbeiters aus dem benachbarten Sowjetlager wieder ins Gedächtnis
       gerufen, geborgen und restauriert worden. Die Bilder sind unter anderem im
       Staatsarchiv ausgestellt.
       
       14 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kuenstlerin-ueber-Erinnerungsort/!5999001
   DIR [2] https://media.suub.uni-bremen.de/handle/elib/5242
   DIR [3] /!5635183/
   DIR [4] /Streit-um-Graeber-aus-der-Nazizeit/!5827262
   DIR [5] https://digitales-heimatmuseum.de/
   DIR [6] https://digitales-heimatmuseum.de/gedenkort-lager-ulrichsschuppen/
   DIR [7] https://www.staatsarchiv.bremen.de/entdecken/quellen-zur-bremischen-geschichte/wandbilder-deutsch-1754
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
       ## TAGS
       
   DIR Zwangsarbeit
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR Gedenkort
   DIR Gedenkpolitik
   DIR Bremen
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR Schwerpunkt Fußball-EM 2024
   DIR Mahnmal
   DIR Alstom
   DIR Graphic Novel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Forscher über den NS-Begriff von Arbeit: „Deutsch ist die Idee, man arbeite gegen jüdisches Kapital“
       
       Nikolas Lelle hat ein Buch über die NS-Devise „Arbeit macht frei“
       geschrieben. Bis heute spielt der Begriff der Arbeit bei Rechtsextremen
       eine Rolle.
       
   DIR Zwangsarbeit und Fußball: Schuften und kicken
       
       Nicht allen Zwangsarbeitern war in der NS-Zeit das Fußballspielen verboten.
       Eine Ausstellung zeigt, dass es sogar Länderkämpfe unter ihnen gab.
       
   DIR Künstlerin über Erinnerungsort: „Spuren sind kaum noch sichtbar“
       
       Gut 70.000 Menschen wurden in Bremen 1939-45 als Zwangsarbeiter
       versklavt. Eine Intervention von Michaela Melián ruft sie in Erinnerung.
       
   DIR Sowjetische Kriegsgräber: Pietät als Kampfmittel
       
       Die Grabungen am Kriegsgefangenenfriedhof in Bremen sind abgeschlossen:
       Eine Bürger-Ini glaubt, dass nur dort ein würdiges Gedenken möglich ist.
       
   DIR Graphic Novel zur Zwangsarbeit in Bremen: Die Toten von Farge
       
       Im Comic „Valentin“ beleuchtet Jens Genehr die NS-Zwangsarbeit beim Bau des
       U-Boot-Bunkers Farge. Wo der Autor Abstand nimmt, klappt das am besten.