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       # taz.de -- Ostermärsche in Deutschland: Waffenstillstand und Verhandlungen
       
       > Rund 100 Ostermärsche sind über Ostern angekündigt. Erwartet werden mal
       > Dutzende, mal Tausende. Über die Übriggebliebenen einer Bewegung.
       
   IMG Bild: Der erste Ostermarsch gegen Atomwaffen auf deutschen Boden mit 300 Teilnehmern am 17. 4. 1960, hier in Hannover nach Bergen-Hohne
       
       Krieg gegen die Ukraine, Krieg in Gaza: Die Ostermärsche der
       Friedensbewegung stehen in diesem Jahr im Zeichen der Konflikte in
       Osteuropa und im Nahen Osten. Die Organisatoren verlangen ein Ende des
       Tötens, Waffenstillstand, Verhandlungen. Bundesweit sind rund 100 Demos,
       Kundgebungen und Mahnwachen angekündigt. Das in Bonn ansässige Netzwerk
       Friedenskooperative erwartet eine „rege Beteiligung“. In Wahrheit heißt
       das: An manchen Orten werden einige Hundert, anderswo wohl auch nur ein
       paar Dutzend Menschen auf die Straße gehen. Es sind die Übriggebliebenen
       einer Bewegung, die zu ihren besten Zeiten Hunderttausende mobilisieren
       konnte.
       
       [1][Karfreitag 1958]. In London versammeln sich mehr als 10.000 Menschen
       zum Protest gegen das britische Atomwaffenprogramm. Ihre Demonstration
       dauert vier Tage und führt sie über 80 Kilometer zum „Atomic Weapons
       Establishment“ in der südenglischen Ortschaft Aldermaston, wo Nuklearbomben
       entwickelt werden. Die Bilder der Demonstration gehen um die Welt, der
       Aldermaston-Marsch wird zum Fanal für die internationale
       Ostermarschbewegung.
       
       In der Bundesrepublik führt der erste Ostermarsch 1960 mit rund 1.500
       Teilnehmern zum [2][Truppenübungsplatz Bergen-Hohne] in der Lüneburger
       Heide. Dort hat die Nato Raketen vom Typ Honest John stationiert. Sie
       sollen Atomsprengköpfe aufnehmen. Beflügelt auch von den Protesten der
       Studierenden, haben die Ostermarschierer in der zweiten Hälfte der 60er
       Jahre enormen Zulauf. 1967 beteiligen sich 150.000 Demonstrierende an
       Oster-Aktionen in mehr als 200 Städten, ein Jahr später sind es doppelt so
       viele.
       
       ## Ostermarschlieder auch in die DDR geschwappt
       
       In jenen Jahren schwappen die Ostermarschlieder auch über die Mauer und die
       deutsch-deutsche Grenze. Mitglieder der jungen [3][DDR-Singebewegung]
       verbreiten die Melodien auch in ihrem Staat – teils leicht umgedichtet und
       mit Kritik auch an der Rüstung des Warschauer Pakts.
       
       In Westdeutschland zerfällt die Bewegung: Streit entzündet sich vor allem
       daran, dass die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und ihre
       „Massenorganisationen“ den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die
       Tschechoslowakei rechtfertigen. Eine Renaissance erfahren die Ostermärsche
       um 1980 mit der Debatte über die Aufrüstung der Nato mit atomaren
       Mittelstreckenwaffen, Zehntausende versammeln sich an den geplanten
       Standorten für Cruise Missiles und Pershing-II-Raketen. Die Kriege in
       Jugoslawien und im Irak mobilisieren in den 90er und 2000er Jahren
       zahlreiche Menschen. Danach pendelt sich die Zahl der Ostermarschierer bei
       einigen Tausend ein.
       
       In diesem Jahr sind neben den auch medial präsenten Kriegen in der Ukraine
       und [4][in Gaza] auch die Aufrüstung im konventionellen und nuklearen
       Bereich Thema. Der Ruf nach einer atomwaffenfreien Welt werde in vielen
       Redebeiträgen erklingen und „einen deutlichen Kontrapunkt“ zu Forderungen
       nach Hochrüstung und einer europäischen nuklearen Abschreckung setzen,
       heißt es etwa im Ostermarschaufruf des Netzwerks Friedenskooperative. Dem
       Verlangen, dass [5][Deutschland wieder „kriegstüchtig“ werden müsse], müsse
       „entschieden entgegengetreten“ werden: „Deutschland muss sich für
       diplomatische Initiativen in Kriegen einsetzen und nicht Millionen für
       Rüstung ausgeben. Sprich: Deutschland muss ‚friedenstüchtig‘ werden!“
       
       „Unser Ostermarsch-Aufruf wurde in diesem Jahr von mehr als 2.000
       Einzelpersonen und 71 Organisationen unterzeichnet“, sagt Netzwerk-Sprecher
       Kristian Golla. „Die Menschen wollen, dass die Bundesregierung endlich
       aktiver wird, um Kriege am Verhandlungstisch zu beenden.“ Das zentrale
       Ostermarsch-Büro in Frankfurt am Main erteilt in seinem Aufruf der
       „unsäglichen Forderung, dass Deutschland kriegstüchtig werden soll“,
       ebenfalls eine Absage.
       
       ## Zivilie Atomkraft und Fliegerhorst im Visier
       
       „Auch die Kriegsvorbereitungsszenarien durch Atombunkerbau, Ausweitung der
       Kriegsforschung, Soldaten in Schulen und Einführung der Wehrpflicht werden
       abgelehnt“, so Sprecher Willi van Ooyen. Ob der Ukraine bis zu möglichen
       Verhandlungen Waffen geliefert werden sollen, bleibt in den Aufrufen
       allerdings ausgeklammert.
       
       Als Erste gingen wie in den vergangenen Jahren die Ostermarschierer in
       Potsdam auf die Straße. Bereits am 23. März demonstrierten dort rund 200
       Menschen. Die meisten Veranstaltungen finden am Osterwochenende selbst
       statt, darunter der traditionelle dreitägige Ostermarsch Rhein-Ruhr von
       Duisburg nach Dortmund sowie Ostermärsche in den meisten Hauptstädten der
       Bundesländer.
       
       Örtliche Bündnisse setzen eigene Themen. [6][Im schleswig-holsteinischen
       Jagel] wollen Demonstranten zum Fliegerhorst der Luftwaffe ziehen, im
       niedersächsischen Unterlüß zur Waffenfabrik von Rheinmetall. An der
       Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau nehmen die Ostermarschierer
       auch die zivile Atomkraft ins Visier.
       
       Als Kundgebungsredner:innen sind vielerorts Gewerkschafts- und
       Kirchenleute angekündigt. Teils bieten die Organisatoren auch prominente
       Vertreter der Linken oder vom Bündnis Sahra Wagenknecht auf. Ansonsten
       zählen Russland-Freund:innen und Querfrontler:innen, soweit
       ersichtlich, nicht zu den Eingeladenen. Die von Wagenknecht und Alice
       Schwarzer im Februar 2023 initiierte Onlinepetition [7][„Manifest für den
       Frieden“] und die große Demo am 25. Februar vor dem Brandenburger Tor hatte
       bekanntlich Teilnehmende von ganz links bis ganz rechts vereint.
       
       28 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gute-Gruende-fuer-Protestmaersche/!5013999
   DIR [2] /Vermessung-der-Lueneburger-Heide/!5347768
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       ## AUTOREN
       
   DIR Reimar Paul
       
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