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       # taz.de -- Beschulung in Flüchtlingslagern: Rassistische Bildungspolitik
       
       > Flüchtlingskinder in Lagern zu unterrichten statt an Regelschulen, ist
       > kein Sachzwang, sondern diskriminierend. Den Schaden trägt die gesamte
       > Gesellschaft.
       
   IMG Bild: Gemeinsam lernt es sich besser – und Vorurteile werden auch noch abgebaut
       
       Es ist eine Krux mit dieser Realpolitik. Da haben Politiker*innen
       hehre Ziele, die Einhaltung der Menschenrechte etwa oder den Kampf gegen
       Diskriminierung. Aber dann kommt die Realität dazwischen – und was soll man
       dagegen schon tun?
       
       Nun ja, man könnte versuchen, die Realität zu verändern, statt Missstände
       einfach zu akzeptieren und damit zu verfestigen oder gar zu verschlimmern.
       Wie beim [1][jüngsten Streit] zwischen Berlins Bildungssenatorin Katharina
       Günther-Wünsch (CDU) und Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD): Die
       [2][Geflüchtetenzahlen in Berlin] gehen wieder hoch und da in regulären
       Schulen kein Platz ist, müssten die Flüchtlingskinder eben [3][in
       Lagerschulen unterrichtet werden], findet die Christdemokratin
       Günther-Wünsch. Die Sozialdemokratin Kiziltepe ist dagegen und warnt, dass
       Isolation der Integration nicht unbedingt zuträglich ist.
       
       Das Ende vom Lied ist leider – wie schon bei der diskriminierenden
       [4][Bezahlkarte für Asylsuchende] –, dass Kiziltepe einknickt. Schließlich
       ist da diese verflixte Realität und deswegen werden an fünf der geplanten
       16 neuen Containerdörfer für Geflüchtete die Unterrichtsräume doch gleich
       mitkonzipiert. „Sich den Realitäten stellen“, nennt das der Regierende
       Bürgermeister Kai Wegner, ebenfalls CDU. Man könnte es auch Realitäten
       schaffen nennen.
       
       Denn abgesehen von der Frage, wozu es eine Integrationssenatorin braucht,
       die zwar im richtigen Moment den Finger hebt, wenn die Integration
       gefährdet wird, letzten Endes aber doch immer nachgibt und damit den Weg
       frei macht für diskriminierende Vorhaben, könnte man sich fragen, ob diese
       Realität, der sich Politiker*innen so gern beugen, nicht auch
       veränderbar ist. Dies nicht sogar das Wesen von Politik ist. Und die bloße
       Verwaltung des Status Quo nicht der Tod jeglichen Fortschritts ist.
       
       ## Menschenfeindliche Logik
       
       Zugegeben, das sind rein rhetorische Fragen, denn die Antwort darauf ist
       ganz klar: Ja. Dazu braucht man nicht Politikwissenschaft studiert haben,
       das erkennt schon der gesunde Menschenverstand. Und damit ist der Grund
       dafür, dass geflüchtete Kinder nicht gemeinsam mit deutschen Kindern in
       einer Schule unterrichtet werden, kein Sachzwang, sondern gewünschtes
       Ergebnis rassistischer Bildungspolitik, die vor allem einem Ziel dient: Die
       herrschende Ordnung und das ihr innewohnende Klassenverhältnis
       aufrechtzuerhalten.
       
       Das beschränkt sich natürlich keineswegs auf die Bildungspolitik. Auch in
       der Wohnungspolitik wird mit den gleichen Realitätszwängen argumentiert: Es
       gibt nun mal nicht genügend Sozialwohnungen, deswegen können Flüchtlinge
       eben auch keine bekommen und müssen [5][weiter in den Lagern leben], obwohl
       sie eigentlich einen Anspruch auf eine eigene Wohnung haben.
       
       Die Logik dahinter ist menschenfeindlich und antidemokratisch: Es wird
       davon ausgegangen, dass Berliner*innen mehr Rechte haben als
       geflüchtete Menschen. Erst, wenn alle armen Deutschen mit Wohnraum versorgt
       sind, sind die Geflüchteten dran. Erst, wenn alle deutschen Kinder einen
       Schulplatz haben, dürfen geflüchtete Kinder eine reguläre Schule besuchen.
       
       Falls das jetzt nicht allen klar ist: Laut Grundgesetz, also der Grundlage
       unserer demokratischen Gesellschaft, haben alle Menschen die gleichen
       Rechte – unabhängig von ihrer Herkunft. Das gilt für das Recht auf Wohnen
       ebenso wie für das Recht auf Schule. Es sollte nicht zu viel verlangt sein,
       dass sich gewählte Senator*innen an die Verfassung halten und nicht noch
       Diskriminierung im Alltag implementieren.
       
       ## Nur zusammen sind wir stark
       
       Denn es ginge auch anders. Zugegeben, der [6][Schulplatzmangel] ist ein
       Problem. Eines, das dringend behoben werden muss, denn die Bildung der
       Kinder ist unsere Zukunft. Möglichkeiten dazu gibt es: Attraktivere
       Arbeitsbedingungen für Lehrer*innen und Erzieher*innen, einfachere
       Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse, mehr Lehramtsstudienplätze, die
       Reaktivierung leerstehender (Schul-)Gebäude und vieles mehr. Das kostet
       jedoch Geld und ist längst nicht so günstig und einfach zu haben, wie
       marginalisierte Gesellschaftsgruppen einfach wegzusperren.
       
       Würde man nun alle ankommenden geflüchteten Kinder in die ohnehin schon
       überfüllten Klassen der Regelschulen stecken, würde sich das Problem
       zweifelsohne verschärfen. Gleiches gilt für den Wohnungsmarkt. So sehr,
       dass auch der Protest gegen die unhaltbaren Zustände lauter wird und die
       Verantwortlichen reagieren müssen und grundlegend etwas an der Situation
       verändern.
       
       Das tun sie aber nur, wenn ein Großteil der Gesellschaft – sprich, der
       Wähler*innen – betroffen sind. So lange es nur marginalisierte Gruppen
       sind, die keine Stimme haben, bleibt alles wie es ist – zum Nachteil der
       großen Mehrheit der Berliner*innen. Es gilt die alte Weisheit: Nur zusammen
       sind wir stark.
       
       29 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Marie Frank
       
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