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       # taz.de -- Autonomie für Korsika: Dialog statt Bomben
       
       > Korsikas Parlament stimmt für ein Statut, das den Weg für eine Autonomie
       > ebnen könnte. An Kritikern mangelt es nicht. Ob Paris zustimmt, ist
       > offen.
       
   IMG Bild: Korsisches Graffiti in Bastia: „Volk, wach auf“
       
       Paris taz | Das korsische Parlament, die „Assemblée de Corse“, hat am
       Mittwochabend einen Verfassungstext gutgeheißen, der die Anerkennung der
       Mittelmeerinsel mit ihren historischen, kulturellen und sprachlichen
       Besonderheiten innerhalb der französischen Republik vorsieht. [1][Das ist
       ein erster Schritt auf dem institutionellen Weg zu einer Autonomie], die
       den Korsen von Staatspräsident Emmanuel Macron im September 2023 in
       Aussicht gestellt worden war.
       
       Ein Dialog dazu hatte bereits vorher begonnen, im Anschluss an
       Demonstrationen wegen des Tods des [2][korsischen Nationalisten Yvan
       Colonna]. Er war bei einem Angriff eines Mithäftlings in einem Gefängnis
       tödlich verletzt worden.
       
       Dort verbüßte er eine lange Haftstrafe wegen seiner Beteiligung an einem
       mörderischen Attentat gegen den französischen Polizeipräfekten im Jahr
       1998. Die Strafvollzugsbehörden hatten sich vorher geweigert, Colonna vom
       Festland in eine Haftanstalt auf der Insel zu überstellen. Sie wurden
       deswegen beschuldigt, am Tod des korsischen Nationalisten mitschuldig zu
       sein.
       
       Nach längeren Vordiskussionen [3][einigten sich die korsischen
       Autonomisten, die seit 2015 eine Mehrheit in den regionalen Institutionen
       haben, mit Innenminister Gérald Darmanin auf ein Verfahren und einen Text,
       der ein Autonomiestatut für Korsika in der Verfassung der französischen
       Republik verankern soll]. Nach der Verabschiedung durch die korsische
       Assemblée soll der Verfassungszusatz zuerst einer lokalen Volksabstimmung
       auf Korsika (rund 340.000 Einwohner) und danach den beiden nationalen
       Parlamentskammern in Paris unterbreitet werden.
       
       ## Einzigartige Bindung
       
       Im Text wird explizit die Existenz einer „historischen, sprachlichen und
       kulturellen Inselgemeinschaft erwähnt, die im Verlauf der Jahrhunderte eine
       einzigartige und enge Bindung zu Korsika entwickelt hat“. Vorgesehen ist
       aber auch, dass die Inselbehörden in Zukunft gewisse Normen anpassen und
       gewisse gesetzgeberische Kompetenzen sowie eine beschränkte Steuerhoheit
       erhalten könnten.
       
       Ein spezielles Anliegen der Autonomisten wurde jedoch nicht klar
       berücksichtigt: der Schutz der Einheimischen vor Immobilienspekulation. Die
       korsische Sprache wird verstärkt gefördert, jedoch nicht als Amtssprache
       anerkannt.
       
       Der radikalste Flügel der korsischen Separatisten sieht darum in diesem in
       Ajaccio mit einer breiten Mehrheit akzeptierten Kompromiss nur eine
       Teilautonomie, „nichts Historisches“, wie der Anwalt Jean-Guy Talamoni, ein
       Ex-Vorsitzender der Assemblée de Corse, meint. Er erachtet das Ergebnis des
       Dialogs mit der Zentralmacht als „ungenügend“.
       
       Aus anderen Gründen stimmte ein Teil der rechten Opposition in Korsika
       gegen das Statut. Sie sehen in der Übertragung von fiskalischen Kompetenzen
       ein Risiko. Ungewiss ist auch, ob namentlich der französische Senat mit
       seiner konservativen Mehrheit dem Statut zustimmt. Senatspräsident Gérard
       Larcher ist gegen jedes Zugeständnis an Regionen bei der Gesetzgebung.
       Diese müsse ausschließlich in der Hand des nationalen Parlaments bleiben.
       
       Die Gralshüter des Zentralismus, die sich allen regionalistischen
       Bestrebungen widersetzen, sind zahlreich in Paris vertreten. Deswegen ist
       fraglich, ob die zum Kongress vereinten Parlamentskammern, die Abgeordneten
       der Nationalversammlung und des Senats, mit der erforderlichen
       Dreifünftelmehrheit der Verfassungsänderung zustimmen werden. Diese
       Änderung soll Korsika nach jahrzehntelangen Konflikten mit Attentaten und
       staatlicher Repression zwar nicht die erträumte Unabhängigkeit, aber
       wenigstens eine gewisse Autonomie verleihen.
       
       28 Mar 2024
       
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