# taz.de -- „Kratermusik“ Album der Band Messer: Beim Kraterfunk lebendig gegessen
> Surreale Songtexte mit Humor: Die Band Messer zeigt sich janusköpfig. Auf
> dem neuen Album „Kratermusik“ hält sie alles in der Schwebe.
IMG Bild: Nähe und Distanz funktionieren bei Messer aktuell ziemlich gut – trotz verschiedener Wohnorte der Bandmitglieder
War es nun eine Explosion oder doch eher eine Implosion, die das Loch in
die Erde gerissen hat? Angesichts der soghaften Anmutung von „Kratermusik“,
dem fünften Album der Münsteraner Band Messer, darf man auf Letzteres
schließen. Aber eigentlich ist das auch zweitrangig, denn nun ist da eben
dieser Krater, diese gähnende und doch gefährliche Leerstelle, die umkreist
und vermessen werden will.
Das tun Messer auf eine Weise, die janusköpfig daherkommt und dabei die
Dinge schön in der Schwebe hält. Auch wenn [1][Sänger Henrik Otremba] in
„Am Ende einer groszen Verwirrung“, dem Finale des Albums, behauptet, die
Erde längst hinter sich gelassen zu haben. Nonchalant stellt er fest: „Ich
vermisse sie als Planeten / Manchmal glaub’ ich / Es wäre besser / Hätte
ich sie nie betreten“.
Zusammengefunden hat die vierköpfige Band im Jahr 2010 im westfälischen
Münster, damals noch in anderer Besetzung. Zwei Jahre später erschien ihr
vielbeachtetes Debüt „Im Schwindel“, passend zum Titel klang es nach einem
Fiebertraum. Seither erschienen [2][vier weitere Alben] und man muss es
durchaus erstaunlich finden, dass es diese Band noch gibt.
Otremba wohnt seit einigen Jahren in Berlin, den Schlagzeuger Philipp Wulf
zog es bereits beim zweiten Album Richtung Hamburg, Bassist Pogo McCartney
lebt weiterhin in Münster und der dazugestoßenene Gitarrist Milek ganz in
dessen Nähe, in Rheine.
## Topcheckerhaftige Umtriebigkeit
Trotz Otrembas topcheckerhafter Umtriebigkeit – neben [3][seinem dritten
Roman, „Benito“,] brachte er 2022 auch noch ein Debütsoloalbum namens
„Riskantes Manöver“ heraus; des Weiteren ist er (malender) bildender
Künstler, hat einen Lehrauftrag für Poetik an der Uni Münster und arbeitet
journalistisch – ist die Band alles andere als eine One-Man-Show.
Nach etwas rumpeligen, konfliktträchtigen Jahren, die vielleicht auch ein
Grund für eine gewisse Verquastheit und vorübergehende Überfrachtung der
Musik sind, scheint sich das Quartett auf eine funktionierende
Arbeitsteilung eingeschwungen zu haben: Otremba schreibt die surrealen
Songtexte, in denen mehr Humor und weniger Pathos als früher steckt; die
anderen sind fürs Musikalische zuständig. Abgemischt hat die Klang
gewordene Bekifftheit Soundtüftler Pogo McCartney, zusammen mit Alexander
von Hoersten, der fürs Mastering zuständig war.
Trotz strenger Aufgabenteilung klingt das Resultat eng verwoben, nach
Austausch auf Augenhöhe. Die Grenzen zwischen Text und Musik schmelzen auf
geradezu organische Weise dahin, manchmal buchstäblich, etwa wenn der
Gesang im trippigen, ausufernden „Kerzenrauchers letzte Nacht“ zunächst zum
Flüstern wird und sich dann völlig in halligen Soundsphären auflöst.
## Groove und Postpunk
Ob ihrer anfangs scharfkantig-schroffen Anmutung wurden Messer oft dem
eckigen [4][Genre Postpunk] zugeschlagen. Obwohl „Postpunk“ ein weites Feld
ist, beschreibt selbst dieses unscharfe Etikett beim besten Willen nicht
mehr den aktuellen Messer-Sound, trotz schnalzend-zackiger New-Wave-Momente
und hechelnder Beats, etwa im Song „Eaten Alive“. Dafür groovt es einfach
zu ungebrochen.
Manchmal fühlt man sich gar an die guten Songs von The Police erinnert,
wenn Messer erstaunlicherweise ziemlich funky klingen. Einflüsse aus Funk,
Dub und den späten 1980er Jahren sorgen ob ihrer Vertrautheit für eine
Zugänglichkeit des Sounds.
Und doch amalgamieren Messer ihren Mix zu etwas Eigenwilligem und ziemlich
Doppelbödigem: Kryptische und doch gegenwartssatte Songtexte, die bei aller
Verrätselheit Assoziationsräume aufmachen; festgeklettet in einem moosig
gemütlichen Offbeat-Bett. Sogar jazzig-warme Bläser sind zu hören –
gespielt übrigens von den Eltern des Schlagzeugers Philipp Wulf, die an
gleich drei Titeln beteiligt sind.
Als Band scheinen Messer mehr als ein „Boys Together“-Club zu sein – was ja
meist nur in bestimmten Lebensphasen funktioniert. Ja, sie sind sogar an-
und miteinander gewachsen: Nähe und Distanz funktionieren bei Messer
aktuell ziemlich gut.
11 Apr 2024
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## AUTOREN
DIR Stephanie Grimm
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