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       # taz.de -- Palästina-Kongress in Berlin: Kritik am Vorgehen der Polizei
       
       > Ihre Resolution verbreiten die Veranstalter*innen online. Zuvor
       > hatten sie mit Statements und einer Demo gegen das Verbot des Kongresses
       > protestiert.
       
   IMG Bild: Protest gegen das Ende des Palästina-Kongresses am Samstag vor dem Roten Rathaus in Berlin
       
       Mit einem Tribunal haben die Veranstalter*innen des
       Palästina-Kongresses am Sonntagvormittag ihr Programm fortgesetzt. Dazu
       verbreiteten sie mehrere Reden von Betroffenen und Erfahrungsberichte aus
       Gaza über parallele Streams bei Youtube und Twitch. Den Livestreams folgten
       am Vormittag jeweils maximal rund 300-350 Personen.
       
       Die Redner*innen stellten dort auch eine Resolution vor, in der sie
       Deutschland die Mitschuld an einem Völkermord unterstellen. Der Kongress
       selbst hätte eigentlich das gesamte Wochenende in einem Veranstaltungssaal
       in der Germaniastraße in Tempelhof stattfinden sollen.
       
       Die Polizei hatte [1][die Veranstaltung allerdings am Freitag rund eine
       Stunde nach Beginn] zunächst unterbrochen und den Videostream gestoppt und
       dann aufgelöst. Sie verbot außerdem die Wiederaufnahme des Kongresses für
       das gesamte Wochenende.
       
       Grund für das abrupte Ende war laut Polizei eine Videobotschaft von Salman
       Abu Sitta, einem Historiker und palästinensischen Aktivisten, der der Hamas
       und der Muslimbruderschaft nahestehen soll. Wenige Minuten nach Beginn
       seines Beitrags hatte die Polizei den Strom für die Übertragung seines
       Statements abgeschaltet und die Konferenz gestoppt. Es hieß, dass Abu Sitta
       ein politisches Betätigungsverbot in Deutschland habe.
       
       ## Kritik an Abu Sitta
       
       Abu Sitta stand [2][bereits im Vorfeld der Konferenz in der Kritik]: Er
       hatte noch im Januar in einem über die sozialen Medien verbreiteten
       Statement gesagt, dass er, wenn er jünger wäre, an der Attacke der Hamas
       auf Israel am 7. Oktober teilgenommen hätte. Der
       [3][Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung hatte ein Einreiseverbot]
       für ihn gefordert.
       
       Sein Videostatement begann Abu Sitta mit den Worten, dass niemand
       ignorieren könne, was derzeit in Gaza passiere. „Es gibt nichts
       vergleichbares in der Geschichte der Menschheit“, sagte er. Er sehe hier
       alle in vorherigen Massakern und anderen Zusammenhängen angewendeten
       Gräueltaten vereinigt. Als Beispiele führte er etwa „Neros Niederbrennen
       von Rom“, den Völkermord in Ruanda und die „in Filmen und Museen
       dokumentierten“ Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs auf.
       
       Neu und bisher nie dagewesen sei auch, dass diese täglich im Fernsehen
       gezeigt würden, die Brutalität finde vor aller Augen statt. Vor Abu Sitta
       hatte nur eine andere Rednerin, die palästinisch-amerikanische freie
       Journalistin Hebh Jamal, gesprochen. Insgesamt waren für Freitag vier
       Vorträge und Podiumsdiskussionen geplant gewesen.
       
       ## 1.200 Menschen bei Protest-Demo
       
       [4][Gegen das Verbot des Kongresses] formierte sich Protest: Am
       Samstagnachmittag versammelten sich nach Polizeiangaben rund 1.200 Menschen
       am Neptunbrunnen in Mitte, um gegen den Krieg in Gaza und den erzwungenen
       Abbruch der Konferenz zu demonstrieren. Auf der anderen Straßenseite
       demonstrierten rund 25 Menschen mit Israelfahnen gegen den Aufzug. Die
       Polizei war mit einem Großaufgebot von 900 Beamt*innen aus mehreren
       Bundesländern vor Ort.
       
       Die Stimmung war aufgeheizt, aber friedlich. Auf zahlreichen Schildern
       wurde die Haltung der Bundesregierung zum Vorgehen Israels und die
       Medienberichterstattung über pro-palästinensische Proteste kritisiert. „Wir
       werden nicht zum Schweigen gebracht“, rief Iris Hefets vom Verein „Jüdische
       Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ von der Bühne der
       pro-palästinensischen Demonstration. „Wir wollen, dass alle Menschen
       zwischen dem Meer und Jordanien die gleichen Rechte haben.“
       
       Eine Sprecherin einer kommunistischen Jugendorganisation beklagte, dass
       [5][mit Björn Höcke ein Faschist „zur Prime Time im Fernsehen“ sprechen
       dürfe], während gleichzeitig einem Arzt und Rektor der Universität Glasgow
       die Einreise verweigert wurde. Damit meint sie den
       britisch-palästinensischen Arzt Ghassan Abu Sittah, der ebenfalls am
       Freitag auf dem Kongress hätte sprechen sollen. Ihm war am Flughafen BER
       die Einreise nach Deutschland verweigert worden, damit war er auch an der
       Teilnahme an dem Palästina-Kongress gehindert worden.
       
       ## Veranstalter vom Verbot überrumpelt
       
       Währenddessen wirft das Vorgehen der Polizei Fragen auf. Die
       Kongress-Veranstalter kritisierten das komplette Verbot in einer
       Pressekonferenz am Samstag. Diese war eindeutig auch an ein internationales
       Publikum gerichtet. Es sei falsch und gefährlich, und müsse „alle
       erschrecken“. Eine Anwältin auf dem Podium sagte, von dem Verbot seien sie
       komplett „überrumpelt“ worden. Direkt vor Beginn der Konferenz hätten sie
       bei einem Sicherheitsgespräch auch das Programm nochmal durchgesprochen.
       Dass Salman Abu Sitta auf der Konferenz sprechen sollte, sei außerdem seit
       langem bekannt gewesen.
       
       „Dass er ein Betätigungsverbot hat, das war uns nicht bekannt“, sagte die
       Anwältin, sie zog außerdem in Zweifel, dass so ein Verbot auch für
       Videobotschaften gelte. Die Polizei sei völlig unverhältnismäßig
       vorgegangen und habe damit das Kooperationsgebot bei Versammlungen
       verletzt. Polizist*innen hätten etwa eine Tür mit Gewalt geöffnet, um
       den Strom abzustellen, obwohl man ihnen die Schlüssel angeboten habe.
       
       Auch das Angebot, den Livestream auszuschalten und die Rede von Abu Sitta
       nur den Anwesenden zu zeigen, habe die Polizei ausgeschlagen. „Die Polizei
       wollte keine weiteren strafbaren Inhalte abwarten – dabei waren bis dahin
       gar keine strafbaren Aussagen gefallen“, sagte die Anwältin. Eine
       Versammlung dürfe außerdem nur aufgelöst werden, wenn eine unmittelbare
       Gefahr bestehe – was nicht der Fall gewesen sei.
       
       ## Presse nicht immer erwünscht
       
       Die Polizei wiederum sagte, dass die Rede von Abu Sitta zu einer neuen
       Gefährdungsbewertung und dann letztlich zu dem Verbot geführt habe. Er sei
       in der Vergangenheit mit volksverhetzenden, gewaltverherrlichenden und
       antisemitischen Aussagen aufgefallen. Die Gefahr zu solchen Straftaten bei
       dem Kongress sei mit seiner Rede daher stark gestiegen.
       
       Zu dem politischen Betätigungsverbot gegen Abu Sitta sagte die Sprecherin
       der Polizei, dass dies vom Bundesinnenministerium (BMI) ausgesprochen
       werde, und aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nur der Person selbst
       mitgeteilt werde. Dafür wiederum sei das BMI zuständig. Nach Einschätzung
       der Polizei gelte das Betätigungsverbot auch für Videobotschaften. Von
       einem Angebot, den Stream zu unterbrechen, sei ihr nichts bekannt, sagte
       die Sprecherin.
       
       Mehrmals rief die Anwältin der Veranstalter*innen die
       Journalist*innen dazu auf, bei der Polizei kritisch nachzufragen. Der
       Presse würde die Polizei umfassender antworten als ihnen, sagte sie. Weit
       weniger pressefreundlich hatten sich die Veranstalter*innen vor dem
       Kongress und am Freitag selbst gezeigt. Im Videostream des Kongresses ist
       kurz vor dessen Abbruch eine Stimme zu hören, die die Teilnehmer*innen
       zur Ruhe auffordert. Die „pro-zionistische Presse“ sei anwesend, dies sei
       also kein „Safe Space“ mehr, alle sollten sich ruhig verhalten.
       
       Die Deutsche Journalist*innen Union (DJU) von Verdi berichtete, dass
       die Arbeit von mehreren Journalist*innen massiv durch
       Kongressteilnehmer*innen behindert worden sei. Die
       Veranstalter*innen hatten im Vorfeld versucht, ihnen unliebsame Presse
       von der Konferenz komplett auszuschließen. Die DJU verbreitete etwa ein
       Foto, auf dem zu sehen ist, wie ein Teilnehmer ein rotes Palästinensertuch
       vor die Kamera eines Journalisten hält, und auch in anderen Situationen
       sollen Anwesende versucht haben, Journalisten mit Tüchern am Filmen oder
       Fotografieren zu hindern.
       
       14 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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   DIR Uta Schleiermacher
       
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