URI: 
       # taz.de -- Kein Raum für Wiener Subkultur: Prunkes Wien – bald ohne Punks?
       
       > Weil Wien seine Gemeindebauten nie verscherbelt hat, gilt die Stadt als
       > Insel der Seligen. Subkulturelle Orte aber haben keinen Platz.
       
   IMG Bild: Wer Wohntürme nahe der Arena baut, muss mit Lärm rechnen
       
       Wien taz | Zwei Mädchen im Prinzessinenkostüm düsen auf Bürostühlen über
       die Fliesen, ein drahtiger Mann verteilt Thunfischtramezzinis. „So good“,
       sagt Eva, eine junge Frau mit Kurzhaarschnitt, und nimmt sich nach. Sie
       macht Verschnaufpause und beobachtet den Mann mit der zackigen Vorhand, der
       den Tischtennisschläger zwischen Daumen und Zeigefinger hält. „Wie
       Stäbchen“, hat er vorhin erklärt.
       
       Jeden Sonntag treffen sie sich mit einer Handvoll anderer Leute, um
       Tischtennis in dem alten Unigebäude zu spielen, das der Wiener Verein
       „[1][4lthangrund]“ rund 30 Gruppen zur Verfügung stellt. Ende nächsten
       Jahres ist die Zwischennutzung vorbei, dann soll das Gebäude abgerissen und
       ein Bildungscampus gebaut werden. Auch das Wiener Punklokal [2][„Venster99“
       ist aktuell in seiner Existenz bedroht].
       
       Wieso haben es subkulturelle Orte schwer im sogenannten Roten Wien, von dem
       man sagt, dass es in Sachen Stadtentwicklung alles richtig gemacht hat?
       
       Wie ein Raumschiff ist jenes Unigebäude in den 80ern auf einer Parkgarage
       im neunten Wiener Gemeindebezirk gelandet, nahe der Müllverbrennungsanlage
       Spittelau. Über zehntausende Quadratmeter erstrecken sich die ineinander
       verschachtelten, kubusförmigen Gebäudeteile.
       
       ## Kritik ergänzt durch Utopie
       
       Einmal durch die Tür getreten, schwindet die glatte Oberfläche. Überall
       kleben Sticker. Die Goldfolie, auf der „Luxus für alle“ steht, ist
       zerknittert. Alte Couches stehen rum. _willi Hejda tritt im Kapuzensweater
       durch eine Tür und winkt. _willi (verwendet keine Pronomen und setzt
       deswegen einen Unterstrich vor den Namen) ist Mitglied im
       „4lthangrund“-Kollektiv und der Terminkalender ist wie immer voll.
       
       Trotzdem ist _willi gelassen, lässt sich in die Sofaecke sinken und fängt
       an, die Geschichte der Wiener Stadtpolitik im Detail zu rekonstruieren.
       Neun Jahre war _willi im Vorstand der Interessensvertretung für
       Kulturvereine, das bringt so ein Wissen mit sich. Jede kritische Diagnose
       ergänzt _willi aber gleich um eine Utopie.
       
       Der Verein „4lthangrund“ ist eine kleine Utopie auf großem Grund, ganze
       1500 Quadratmeter, um genau zu sein. Vor elf Jahren zog die Wirtschaftsuni
       hier wegen Platzmangel aus, und ein paar Institute der Hauptuni zogen ein,
       riesige Flächen stehen seitdem leer.
       
       In der alten Mensa, wo „4lthangrund“ unter anderem untergekommen ist,
       passieren jetzt aber Dinge. Hier wird eingetopft (Gartentag), zerschnippelt
       (solidarity kitchen), diskutiert („Festung Europa“) und über die
       Tischtennisplatte befördert (Ping Pong) – fast jeden Tag gibt es Programm.
       Menschen kommen zusammen, und da gewöhnt man sich an so einen Ort.
       Irgendwann hat er kein Ablaufdatum mehr, selbst wenn der Mietvertrag eines
       hat.
       
       ## Für jeden Raum kämpfen
       
       Rund tausend Personen sind inzwischen als Mitglieder eingetragen, der
       Verein möchte auch einen Platz im neuen Bildungscampus haben und fordert
       ein Kulturzentrum. Keine Lösung zu finden, sei keine Option.
       
       „Es gibt wenige Orte, die Raum bieten für Gegenkulturen und Dinge, die kein
       Geld bringen“, sagt _willi. „Ich wünsche mir eine Politik, die sich
       hinstellt und sagt, das ist wichtig, wir kämpfen für jeden Raum“.
       
       Anderswo Flächen zu bekommen, die so viel zu bieten haben, sei wohl ein
       Ding der Unmöglichkeit. Im vergleichsweise günstigen Gemeindebau, in dem
       ein Viertel der Stadt lebt, werden nur Gewerbelokale und Wohnflächen
       vermietet. Gemeinnützige Vereine müssen sich im Rest der Stadt auf die
       Suche begeben. Dort [3][steigen die Mieten] wegen der Inflation stark, im
       vorigen Jahr um 8 Prozent.
       
       ## Illegales Gewerbe?
       
       In den letzten zwei Jahrzehnten haben einige subkulturelle Räume wegen
       Problemen mit Behörden oder Vermietern schließen müssen: 2007 das linke
       Alternativlokal „Movimento“, 2014 das Tanzlokal „Aparat“, 2016 der
       Kulturverein „moë“, in dem Performances, Lesungen und Konzerte stattfanden.
       Auch dem „Venster99“ könnte das bevorstehen.
       
       Laut den Behörden wegen Lärmbeschwerden wurde das Lokal Anfang Februar
       kontrolliert und daraufhin geschlossen – ihm wird vorgeworfen, ein
       „illegales Gewerbe“ zu führen. Eins anzumelden, dem verweigert sich der
       Verein. 19 Jahre lang waren dort Studis, Punks und andere Leute mit wenig
       Kohle und großer Vorliebe fürs Pogotanzen Stammgäste. Auch in der
       internationalen Punkszene hat das Lokal einen Ruf. Bands kamen von überall,
       um zu spielen, und es gab auch schon mal bis zu 20 Konzerte im Monat.
       
       Wie viele andere alternative Orte hat sich das „Venster99“ bisher in einer
       Grauzone bewegt. Gemeinnützige Vereine haben Vorteile, brauchen keine
       Betriebsanlagengenehmigung, die kostspielig werden kann, wenn bauliche
       Anpassungen wie der Einbau einer Lüftungsanlage gefordert werden. Außerdem
       müssen sie weniger Steuern zahlen und können Förderungen beantragen.
       
       ## Wiener Vereine sind verschuldet
       
       Eigentlich eine gute Grundlage für ein Kulturangebot, das nichts oder wenig
       kostet. Doch es gibt auch Auflagen für gemeinnützige Vereine, wie etwa dass
       sie nicht über 72 Stunden im Jahr veranstalten dürfen. Denn das wäre
       unfairer Wettbewerb, argumentieren Befürworter, und auch Getränke dürfen
       sie qua Gewerberecht nicht verkaufen.
       
       Dass Vereine trotzdem häufiger Events veranstalten und versuchen, laufende
       Ausgaben über den Verkauf von Getränken zu decken, ist gang und gäbe.
       Gewinn machen sie dabei eher nicht, waren doch laut einer Studie 2012 ein
       Viertel der unabhängigen Wiener Kulturvereine verschuldet. 2016 legte die
       IG Kultur, die Vertretung der Wiener Kulturvereine, deswegen einen
       Gesetzesvorschlag vor, der für Speisen und Getränke eine Einnahmegrenze von
       30.000 Euro vorschlug, die Vereine vor dem Vorwurf der Gewerblichkeit
       schützt. Umgesetzt wurde er nie.
       
       Bisher gab es stets eine gewisse Toleranz seitens der Stadt, doch ein
       Politikum, das waren linke Vereine schon immer. Die rechtsextreme FPÖ macht
       schon mal mit Presseaussendungen gegen sie mobil. Und gibt es Beschwerden
       aus der Nachbarschaft, findet das Störenfried-Image auch über die Medien
       Verbreitung. Ein Blick ins Archiv der Lokalberichterstattung zeigt, wie
       rasch es dann mit der gelebten Toleranz vorbei sein kann.
       
       ## „Terror in der Grillgasse“, sagt FPÖ
       
       2006 beschwerten sich Anwohner:innen über das alternative Veranstaltungs-
       und Vereinslokal „Movimento“ im Arbeiterbezirk Simmering, Gäste hätten am
       Weg dahin Sachschäden angerichtet. Parallel machte die Bezirks-FPÖ mit
       Flugblättern mobil, und es dauerte nicht lange, bis auch die Bezirks-SPÖ zu
       einem Gespräch über „Terror in der Grillgasse“ lud. Anfang 2007 ließ der
       Vermieter das Lokal gerichtlich räumen.
       
       Weil ein Verein ungefähr so viel Geld wie sein Publikum hat, verfügt er in
       den meisten Fällen nicht über die Mittel für einen Rechtsstreit. Das
       „Venster99“ konnte über Spenden immerhin die nächsten Mieten sichern.
       
       Dritter Wiener Gemeindebezirk, zwischen Busbahnhof und Autobahn. Im
       Schatten dreier Hochtürme züngeln Graffitiflammen auf den Mauern,
       Bomberjacken passieren das Eingangstor und das Wummern einer Bassdrum
       dringt gedämpft in die laue Abendluft.
       
       ## Es ist eine Geldsache
       
       Georg und Ida, zwei Anfang Zwanzigjährige in Baggy Jeans, die nur ihren
       Vornamen nennen, sitzen vor dem roten Backsteingebäude der „Arena“. Sie
       rauchen schweigsam Selbstgedrehte. Früher waren sie wöchentlich im
       Punklokal „Venster99“, sagen sie. Bald wird es wieder aufmachen, da sind
       sie optimistisch. Sie müssen das vielleicht, denn eine dauerhafte
       Alternative gibt es für sie nicht in der Stadt. „Es ist halt auch eine
       Geldsache“, sagt Georg und dämpft die Zigarette aus.
       
       Im Konzertraum passieren sie die Armverschränker und stellen sich vor die
       Bühne, auf der sich Bad Boys aus London aus ihren Tarnjacken schälen.
       „Louda“ schreit der Gitarrist und growlt los, bevor er plötzlich das
       Konzert unterbricht. „No peeing on the stage!“ ruft er verärgert, dann
       schleudert jemand Taschentücher zum trockenwischen auf die Bühne. Auch wenn
       der Gitarrist soeben die erste Regel dieses Abends aufgestellt hat, fühlt
       es sich spätestens jetzt so an, als würde es bei diesem Konzert keine
       geben.
       
       Lange galt das für die [4][Arena] als Ganzes. „Wir waren ein gallisches
       Dorf, wir wurden in Ruhe gelassen und hatten unsere Freiheiten“, sagt Petra
       Ruckendorfer, Obfrau des Vereins Forum Wien Arena. Tausende Wiener:innen
       besetzten in den 80ern das Gelände, davor wurden hier Schweine
       geschlachtet, heute treten Bands wie Die Ärzte auf.
       
       ## Lärmbeschwerden, Sperrstunde
       
       Abgesehen davon ist es nicht mehr ganz so punk wie früher. Veranstalter
       mieten die Hallen an. Meist muss man Eintritt zahlen, und weil die Behörden
       ein Auge auf den Ort haben, muss die Arena diesen Sommer erstmals auch die
       [5][Sperrstunden für die Open Airs] einhalten. Von den rund 40 geplanten
       dürfen 10 bis 23 Uhr dauern, der Rest nur bis 22 Uhr.
       
       Seit letztem Jahr ist es auch mit dem Lautsein vorbei. Fünf Minuten
       entfernt wurde von vier Bauträgern das Hochhausquartier „The Marks“
       fertiggestellt, [6][drei slimfitte Wohntürme] mit Namen wie „the One“,
       „Helio Tower“. In den oberen Stockwerken kostet eine Eigentumswohnung schon
       mal 700.000 Euro.
       
       Nach dem Einzug der Nachbar:innen gab es ein paar Lärmbeschwerden.
       Schließlich musste für die Außenbühne eine neue, klangbündelnde Soundanlage
       für eine Million Euro her, die die Stadt mit 595.000 Euro mitfinanzierte.
       Außerhalb des Areals hört man die Konzerte im Freien jetzt nur noch halb so
       laut.
       
       ## Nix mit Anarcho
       
       Direkt gegenüber wird aber schon das nächste Bauprojekt geplant, eine
       Hotelanlage mit Wohnungen. Noch setzt die Arena darauf, dass es diesmal die
       Stadt verhindert. Dass sie ihr bisher entgegengekommen ist, liegt wohl
       daran, dass viele Wiener:innen die Arena kennen und an ihr hängen –
       setzt sie doch der Zeit ein Denkmal, in der halb Wien einmal Anarcho war.
       
       Venster99, Arena und 4lthangrund, sie alle setzen nun auf diplomatische
       Mittel und suchen Gespräche mit der Stadt. Wohin diese führen, wird sich
       erst zeigen.
       
       18 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.4lthangrund.jetzt/
   DIR [2] https://www.venster99.at/
   DIR [3] https://kurier.at/chronik/wien/wohnen-wien-teuer-inflation-miete-immobilien/402756868
   DIR [4] https://arena.wien/Home/About
   DIR [5] https://kurier.at/chronik/wien/arena-wien-sperrstunde-soundanlage-laerm-anrainer/402858670
   DIR [6] https://www.derstandard.at/story/2000144611170/drei-wohntuerme-und-wiens-groesste-fahrradgarage-kurz-vor-fertigstellung
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lara Ritter
       
       ## TAGS
       
   DIR Rotes Wien
   DIR Wien
   DIR FPÖ
   DIR Subkultur
   DIR Österreich
   DIR Punk
   DIR Vereine
   DIR Jugend
   DIR Türkei
   DIR Österreich
   DIR Wien
   DIR Filmgeschichte
   DIR Kolumne Postprolet
   DIR Inflation
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Wiener Politikerin Nurten Yılmaz: „Eine macht immer die Tür auf“
       
       Nurten Yılmaz kam mit neun Jahren aus der Türkei nach Wien und prägte über
       Jahrzehnte die Politik. Heute ist sie Pensionistin und Wiener Ikone.
       
   DIR Wiener linke Zeitschrift „Malmoe“: Klug und keck
       
       Vor 25 Jahren wurde „Malmoe“ als Antwort auf die erste schwarz-blaue
       Regierung in Österreich gegründet. Nun wurde die Zeitschrift eingestellt.
       Schade!
       
   DIR „Geh scheißen!“: Warum die Unesco die Wiener Würstelstände schützt
       
       Die Lebensqualität sinkt, der Nahverkehr nervt. Aber immerhin eine gute
       Nachricht gibt es in Österreichs Kapitale.
       
   DIR Kinoempfehlungen für Berlin: Willkommen im Club
       
       „Punk Girls“ erzählt von einer Ära, als Frauen sich die Musikszene
       erkämpften, im „Club Zero“ sollen Wohlstandskinder die Welt durch Verzicht
       retten.
       
   DIR Klasse und Minimalismus: Ich habe noch einen Koffer in Wien
       
       Wo ich herkomme, schmeißt man Sachen nicht einfach weg. Wo ich heute lebe,
       gilt: Weniger ist mehr. Deshalb stellt mich eine Nachricht vor Probleme.
       
   DIR Inflation in Österreich: Wiener Anti-Armuts-Paket
       
       Die hohen Lebensmittelpreise setzen die Regierung in Wien unter Druck. Weil
       sie sich nicht auf Reformen einigen kann, gibt es nun Einmalzahlungen.