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       # taz.de -- Indien wählt: Wahl in Modis Testlabor
       
       > Im nordindischen Bundesstaat Uttarakhand mit seiner Hindu-Mehrheit testen
       > die regierenden Hindunationalisten ihren intoleranten Kurs.
       
   IMG Bild: Anhänger der hindunationalistischen Volkspartei (BJP) bei einer Wahlkampfveranstaltung in Uttarakhand am 2. April
       
       Dehradun/Rishikesh taz | Ein Kleinlaster bahnt sich seinen Weg in der Hitze
       der indischen Yoga-Hauptstadt Rishikesh. Musik tönt aus Lautsprechern, dazu
       preist eine Männerstimme den lokalen Kandidaten der Regierungspartei BJP,
       Trivendra Rawat, als einzige Wahloption an. „Er gehört zu Modis Familie“,
       heißt es. „Schickt ihn ins Parlament, um Modi stark zu machen: Macht Modi
       zum dritten Mal zum Premier!“
       
       Es ist Wahlkampf in Uttarakhand, einem nördlich der Hauptstadt Neu-Delhi
       und westlich von Nepal gelegenen Himalaja-Bundesstaat. Hier wird an diesem
       Freitag gleich in der ersten von sieben Phasen gewählt. Die
       hindunationalistische BJP will, [1][dass ihr Premier Narendra Modi Indien
       weiter regiert].
       
       Die Passanten lassen sich nicht beirren. Sie kennen die Wahlkampflieder
       schon. Kurz vor dem ersten Urnengang der über sechs Wochen stattfindenden
       indischen Wahlen endet die Werbung in den jeweiligen Wahlkreisen.
       
       Bis dahin sind die riesigen Plakate von Premierminister Modi
       allgegenwärtig, die für die „Modi-Garantie“ werben, wie das BJP-Programm
       heißt. Modi und seine Partei dominieren schon optisch die Landschaft
       des-Bundesstaats Uttarakhand. Der 73-jährige Hindu-Hardliner ist der
       Favorit. Bei seinem Besuch wird er wie ein Popstar gefeiert „In ganz Indien
       hat Modi Autobahnen gebaut“, lobt sein Anhänger Nadeem Zaidi.
       
       Doch die Wahl zur Besetzung der 543 Parlamentssitze in Delhi ist noch nicht
       entschieden. Zwar stellt das kleine Uttarakhand nur fünf Abgeordnete im
       nationalen Parlament, doch ist es für die BJP symbolisch wichtig, weil
       hier im auch als „Dev Bhoomi“ (Land der Götter) bekannten Bundesstaat, an
       dem sich die Quelle des Ganges durch den Himalaja schlängelt, vier heilige
       Hindustätten sind.
       
       ## Modi wird wie ein Popstar gefeiert
       
       Der Wahlkampf des oppositionellen Kongresskandidaten Ganesh Godiyal führt
       durch enge Bergstraßen vorbei an Ashrams, kleinen Läden und Yogastudios.
       „Lang lebe die Kongresspartei, lang lebe Ganesh Godiyal“, rufen seine
       Anhänger in den Lärm von Motorrädern und Trommeln. Dazu wehen Fahnen mit
       einer Hand drauf, dem Symbol seiner Partei.
       
       Der kräftige 57-Jährige mit Schnauzer ist weiß gekleidet, trägt
       Blumenketten um den Hals und war schon politisch aktiv, bevor die BJP den
       Kongress an der Macht ablöste. Er glaubt, dass die „Menschen für
       Veränderungen stimmen werden“.
       
       Unter seinen Anhängern ist der 25-jährige Niraj, der auf seinem Motorrad
       der Kolonne hinterherfährt. Auch Lalita Devi ist gekommen. „Ganesh ist ein
       guter Kandidat, er unterstützt uns, also unterstützen wir ihn“, sagt die
       Mutter von zwei Kindern. Die Kongresspartei helfe den Menschen. Über
       Premierminister Modi spricht sie erstaunlich positiv, den BJP-Politikern um
       ihn herum misstraue sie aber.
       
       Vor fünf Jahren fuhr die BJP in Uttarakhand einen Rekordsieg ein. Jetzt
       holen sich ihre Kandidaten Unterstützung aus Delhi, denn es geht für sie
       vor allem um die Frage, mit wie vielen Mandaten Modi wiedergewählt wird. In
       ihrem Programm fordert die BJP gar ein Mandat, um Indien für die nächsten
       eintausend Jahre zu gestalten.
       
       ## Warnungen vor einem weiteren Rechtsruck
       
       [2][Kritiker:innen warnen dagegen vor einem weiteren Rechtsruck],
       Schwächung von Institutionen und der Pressefreiheit. Auch verweisen sie auf
       das ideologische Rückgrat der BJP, deren 1925 mit dem Ziel einer
       Hindu-Nation gegründeten Mutterorganisation RSS („Nationale
       Freiwilligenorganisation“). Schon jetzt nutzt die BJP Uttarakhand als
       Experimentierfeld für die RSS-Agenda.
       
       Die paramilitärische Organisation ersetzt in Uttarakhands Bergland teils
       öffentliche Schulen. Auch jetzt ist der RSS aktiv. Schon im Oktober kam
       RSS-Generalsekretär Arun Kumar nach Uttarakhand. So verwundert es nicht,
       dass auch der amtierende Ministerpräsident Pushkar Singh Dhami wie Premier
       Modi ein RSS-Kader ist.
       
       Die Kongresspartei kritisiert die wachsende Spaltung zwischen Hindus und
       Muslimen im Bundesstaat. So kündigte Dhami etwa an, illegale Bauten
       abzureißen: Doch darunter befanden sich viele „Mazars“, kleine Schreine der
       muslimischen Minderheit.
       
       Die Kongressführerin Priyanka Gandhi Vadra warf Modi vor, Uttarakhand
       während der jüngsten Flutkatastrophe vernachlässigt zu haben: „Die heutige
       Realität ist Inflation, Arbeitslosigkeit, geleakte Prüfungsunterlagen für
       die Vergabe staatlicher Stellen sowie Korruption und nicht das, was Modi
       euch allen zeigt“, sagte sie in Haridwar, wo der Kongresspartei Chancen auf
       ein Parlamentsmandat zugesprochen werden.
       
       ## Verbot der Kuhschlachtung und von Rindfleisch
       
       Doch wird in der Himalaja-Region ein politisches Experiment der regierenden
       Hindunationalisten sichtbar: Seit 2018 gehört Uttarakhand zu den indischen
       Bundesstaaten, in denen das Schlachten von Rindern und der Verkauf von
       Rindfleisch streng verboten sind.
       
       Vielmehr erklärte sich wenige Wochen nach dem letzten Wahlsieg der BJP im
       Bundesstaat dessen Oberstes Gericht sogar in einer landesweit einmaligen
       Entscheidung zum „gesetzlichen Beschützer der Kühe“.
       
       Im Jahr 2022 folgte eine Änderung des
       Uttarakhand-Religionsfreiheits-Gesetzes, wonach eine „unrechtmäßige
       Konversion“ mit bis zu zehn Jahren Gefängnis geahndet werden kann.
       
       Der ehemalige Leiter von Amnesty International Indien, Aakar Patel, betont
       jedoch, dass „die Rückkehr zu seiner ursprünglichen Religion“, damit
       gemeint ist der Hinduismus, nach diesem Gesetz nicht als Konversion gilt.
       Wenn Muslime, Christen oder Buddhisten etwa unter Druck wieder zu Hindus
       werden, bleibe dies straffrei.
       
       ## [3][„Landdschihad“] in Uttarakhand?
       
       Anfang dieses Jahres wurde beschlossen, in Uttarakhand ein einheitliches
       Zivilgesetzbuch einzuführen. Seitdem muss das Zusammenleben mit einem
       Partner oder einer Partnerin außerhalb der Ehe registriert werden. „Es ist
       einschüchternd, dass das nicht nur gemeldet, sondern auch genehmigt werden
       muss“, sagt eine junge Frau aus Dehradun.
       
       In den letzten Jahren haben interreligiöse Spannungen zugenommen.
       Uttarakhands Ministerpräsident habe [4][den Begriff vom „Landdschihad“
       geprägt], kritisiert Kongresspolitikerin Garima Mehra Dasauni. Das sei
       besorgniserregend.
       
       Wie gefährlich der Propagandabegriff sein kann, hat Mohammed Zahid
       erfahren. Er sitzt in einem der vielen Kleiderläden der Kleinstadt
       Vikasnaga. Der Mittvierziger starrt auf seine Ladentheke, auf der ein
       Merkblatt für die anstehenden Wahlen liegt. Über ihm rattert ein
       Ventilator, eine Klimaanlage kann er sich nicht leisten. Das Geschäft laufe
       nicht gut, sagt er. Das letzte Jahr brachte für ihn und seine Familie einen
       unfreiwilligen Neuanfang: Zahid musste nach Drohungen rechtsextremer Hindus
       sein Geschäft und sein Zuhause verlassen.
       
       Er erinnert sich an Angriffe auf Geschäfte und Häuser von Muslimen in
       Purola nach Vorwürfen des „Liebesdschihad“, eines Kampfbegriffs, mit dem
       rechtsgerichtete Hindus Muslimen unterstellen, mittels Eheschließungen
       hinduistische Frauen mit muslimischen Männern zu verbinden und so Erstere
       zum Glaubensübertritt zu bewegen, um die Zahl der Muslime im Land zu
       vergrößern.
       
       ## Labor für rechtsgerichteten politischen Hinduismus
       
       „Wir hatten gute Beziehungen zu unseren Nachbarn“, sagt er. „Ich war
       erfolgreich, bis es zum Zwischenfall kam.“ Von den einst etwa 250 in seinem
       Viertel lebenden Muslimen seien nach den Ausschreitungen viele geflohen.
       Trotz seiner Mitgliedschaft in der hindunationalistischen BJP konnte der
       Muslim Zahid keinen Schutz finden.
       
       „In Uttarakhand verfolgen BJP und RSS eine Strategie, die an Gujarat
       erinnert“, sagt der politische Beobachter SMA Kazmi. Dort war es im Jahr
       2002, als Gujarat von Narendra Modi regiert wurde, zu religiöser Gewalt
       gekommen. Opfer waren überwiegend Muslime. Modi und seine damalige
       Regierung unternahmen nichts, um die Gewalt einzudämmen, sondern heizten
       sie noch an.
       
       Kazmi sieht Uttarakhand als zweites „Hindutva-Labor“ an, also für einen
       rechtsgerichteten politischen Hinduismus. Dort politisierten
       Hindunationalisten gesellschaftlich sensible Themen wie Landbesitz und das
       Wohlergehen von Frauen und nutzten spaltende Begriffe wie „Liebesdschihad“
       und „Landdschihad“ (Landraub), um die öffentliche Meinung zu polarisieren,
       so Kazmi. Er sieht in Uttarakhand daher eher ein Duell zwischen der BJP und
       den Menschen als zwischen politischen Parteien.
       
       ## Jugendarbeitslosigkeit wird kaum thematisiert
       
       In Uttarakhand konnte die BJP zuletzt einen großen Teil der Hindu-Stimmen
       für sich gewinnen. Doch das kann nicht über die dortigen Probleme
       hinwegtäuschen: Die Jugendarbeitslosigkeit ist auch im Himalaja-Staat ein
       Problem, das nur wenige wie der unabhängige Kandidat Bobby Panwar
       thematisieren.
       
       Viele klagen dennoch, dass die Opposition zu schwach sei. Für Jyoti Singh
       Rathore ist die Arbeit der BJP auf nationaler Ebene entscheidend. „Wenn die
       BJP die Wahlen gewinnt, dann nur wegen Modi“, meint sie. Sei Modi an der
       Macht, werde das Indiens Image helfen. Kritiker und Oppositionelle sorgen
       sich dagegen, dass Indien in eine Autokratie abdriftet.
       
       Mitarbeit: Mayur Yewle, Asif Ali
       
       19 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Natalie Mayroth
       
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