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       # taz.de -- Tabakkonsum einschränken: Finger weg von meiner Kippe
       
       > Der Drogenbeauftragte der Regierung will stärker gegen das Rauchen
       > vorgehen. Und wo bleibt das Recht auf unvernünftige Entscheidungen?
       
   IMG Bild: Das Ergebnis einer unvernünftigen Entscheidung
       
       In der Bar über die Flamme gebeugt, das Nikotin schärft die Aufmerksamkeit
       und auch die Diskussion. Der Rauch, der zwischen den Liebsten von Mund zu
       Mund wandert. Der verwirrte Blick des Taxifahrers in Beirut auf die Frage,
       ob man in seinem Auto rauchen dürfe (natürlich darf man). Die Frauen an der
       Universität Teheran, für die jeder Zug an der Kippe ein kleiner Akt der
       Rebellion ist, unter einem islamistischen Regime, das Frauen das
       [1][Rauchen] am liebsten verbieten will.
       
       Ich könnte diesen Bildern noch „vernünftige“ Gründe anfügen, wieso ich den
       gelegentlichen Glimmstängel und die verschworene Gemeinschaft der
       Rauchenden nicht missen möchte. Doch das werde ich nicht. Denn die
       vermeintliche Vernunft ist das Schlachtfeld, das sich die [2][Gegner des
       Tabaks] ausgesucht haben. Die Gegner, das sind jene Prohibitionisten, die
       nicht nur wissen, was gut für sie selbst ist, sondern auch, was gut für Sie
       und mich ist. Und die, wenn wir ihren wohlgemeinten Ratschlägen nicht
       folgen wollen, das Gesetzbuch und das Verbot bemühen.
       
       Im vermeintlich liberalen Großbritannien will die Regierung nun
       durchsetzen, dass am 1. Januar 2009 und später Geborene nie mehr legal
       Tabak kaufen dürfen. Das Unterhaus stimmte in zweiter Lesung für ein
       Gesetz, das „die erste rauchfreie Generation“ schaffen soll. Das britische
       Modell ist ein [3][Abklatsch aus Neuseeland], wo die neue Koalition das
       Prohibitionsvorhaben der liberalen Ex-Premierministerin Jacinda Ardern
       jedoch jüngst gekippt hat. Burkhard Blienert, der Drogenbeauftragte der
       Bundesregierung, schlägt jetzt seinerseits vor, Großbritannien
       nachzueifern.
       
       Blienert hat sich eben noch für die Legalisierung von Cannabis
       starkgemacht, will aber Tabak verbieten. Ein seltsamer Widerspruch, der
       schon dem slowenischen [4][Philosophen Slavoj Žižek] auffiel: „Dieselben
       Leute, die weiche Drogen legalisieren wollen, sind für eine fanatische
       Bekämpfung des Rauchens.“ Žižek sieht dahinter die Ideologie am Werk: Eine
       Gesellschaft, die den Konsum propagiert, aber seine Schäden möglichst
       abmildern will (Cola, aber zuckerfrei), ist irritiert von der passionierten
       Raucherin.
       
       ## Paternalistische Staatlichkeit
       
       Das Prohibitionslager argumentiert deshalb mit den Gesundheitsschäden.
       Entweder man muss die Menschen vor sich selbst schützen, denn Raucher
       sterben bekanntlich früher. Oder aber, man setzt den empörten Blick der
       zweckrationalen Gesellschaft auf und verweist auf die Kosten, die
       Raucherinnen und ihre Krankheiten dem Gesundheitssystem verursachen.
       
       Der Wille zum Verbot speist sich aus einer paternalistischen Vorstellung
       von Staatlichkeit: Der Leviathan greift ein, weil er nur das Beste für dich
       will. Doch Politiker, die so denken, sitzen leider einem Missverständnis
       auf. Denn Menschen haben jedes Recht, unvernünftige Entscheidungen zu
       treffen, solange sie niemand anderem direkt schaden. Oder an wen möchten
       Sie die Entscheidung delegieren, [5][wie viele Drinks Sie am Freitagabend
       einnehmen], wie viel Sport Sie nächste Woche treiben oder wie viel Zucker
       Sie essen werden?
       
       Ob in Großbritannien oder Neuseeland: Anglophone Inselbewohnerinnen
       scheinen alsbald auf komische Ideen zu kommen – zum Beispiel, dass
       Prohibition überhaupt funktionieren kann, aller historischen Gegenbeispiele
       zum Trotz. Vielleicht lässt sich die Einfuhr von Gütern wirklich besser
       kontrollieren, wenn die eigene Grenze im Meer verläuft. In Deutschland ist
       dagegen sicher, dass der Schwarzmarkt im Falle eines Verbots florieren
       würde wie die rosa-weiße Tabakblüte im August. Denn wir sind durch das
       glückliche Schicksal der Geografie [6][mit den Ländern Ostmitteleuropas
       verbunden]. Und die werden sich solche Dummheiten in naher Zukunft nicht
       einreden lassen.
       
       18 Apr 2024
       
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