URI: 
       # taz.de -- Neurechtes Magazin „Die Kehre“: Make Ökos rechts again?
       
       > Die Zeitschrift „Die Kehre“ will Naturschutz wieder am rechten Rand
       > etablieren. Und gleichzeitig auch den völkischen Flügel der AfD begrünen.
       
   IMG Bild: Wie ein Idyll der neurechten Ökos: „Kalenberger Bauernfamilie“ von Adolf Wissel, 1939
       
       Grün, links und ökologisch: Das ist ein Dreiklang, der in Deutschland
       irgendwie zusammengehört. Doch eine Gruppe Rechter stört sich daran. Das
       Magazin Die Kehre von Chefredakteur Jonas Schick, der aus der Identitären
       Bewegung kommt, will das Thema „Ökologie“ wieder am rechten Rand verankern.
       
       In der ersten Ausgabe – erschienen 2020 – fordert Schick etwa, „der aktuell
       stattfindenden Verengung der Ökologie auf den ‚Klimaschutz‘ Einhalt zu
       gebieten und den Blick dafür zu weiten, worin ihre ursprüngliche Bedeutung
       liegt: daß sie eine Lehre von der gesamten Umwelt ist, die
       Kulturlandschaften, Riten und Brauchtum, also auch Haus und Hof (Oikos) als
       ihren Namensgeber einschließt“.
       
       Vertrieben wird die Kehre vom Oikos Verlag, der seit Juni 2023 von Philip
       Stein geführt wird. Stein betreibt auch den neurechten Verein Ein Prozent.
       Der Verein gilt als Vorfeldorganisation des völkischen Lagers in der AfD.
       Und auch Chefredakteur Schick heuerte vergangenes Jahr [1][bei dem
       AfD-Bundestagsabgeordneten René Springer] an.
       
       So wundert es nicht, dass Björn Höcke in einem langen Interview ausbreiten
       darf, wie wichtig ihm „der Erhalt und die Pflege unserer tradierten
       Kulturlandschaft“ seien. „Wir müssen den Grünen das Thema Naturschutz
       wieder entreißen“, sagt Höcke, „weil es nur bei uns richtig aufgehoben
       ist!“
       
       ## Rechte für Naturschutz
       
       In der Tat prägten Rechte die Umwelt- und Naturschutzbewegung seit dem 19.
       Jahrhundert. Der aufkommenden industriellen Moderne hielten Denker wie
       Ernst Moritz Arndt den deutschen Wald entgegen, den sie einerseits als
       schutzbedürftig, andererseits auch als identitätsstiftend für die Nation
       sahen. Die Nazis griffen diesen Mythos auf. An die Macht gelangt, wiesen
       sie neue Naturschutzgebiete aus und förderten das Recycling von Abfall.
       Nach 1945 aber rückte der Umweltschutz im Aufschwung des deutschen
       Wiederaufbaus in den Hintergrund.
       
       In den 1970er Jahren setzten sich in Westdeutschland dann auch vermehrt
       Linke für ökologische Belange ein. Sie sammelten sich in der Grünen Partei
       – und schassten bald die Konservativen und Altnazis, die sich anfangs auch
       dort tummelten.
       
       Gegen diesen Linksturn der deutschen Ökologie will die Kehre nun
       anschreiben. Das Magazin ist in mattem Design gehalten, erscheint
       vierteljährlich und kostet 10 Euro. Neben Essays zu Natur und
       Nachhaltigkeit (in alter Rechtschreibung, versteht sich) finden sich dort
       auch Kurzmeldungen zu Glyphosatstudien oder dem Vogel des Jahres 2023 (das
       Braunkehlchen). Wie viele Menschen die meist zwischen 60 und 80 Seiten
       umfassende Kehre lesen und wer sie finanziert, will Schick nicht
       preisgeben, eine entsprechende Anfrage der taz bleibt unbeantwortet.
       
       ## Gegen „grünes Wachstum“
       
       Doch welche Ideen vertritt sie? Überwiegend beschäftigt sich die Kehre mit
       ähnlichen Themen wie auch progressive Ökos, setzt dabei aber andere
       Akzente. So etwa beim Klimawandel: Direkt geleugnet wird er in diesem
       Magazin kaum. Zwar kokettieren die fast ausschließlich männlichen Autoren
       immer wieder mit dem Gedanken, der menschliche CO2-Ausstoß sei womöglich
       nicht die Hauptursache für die Erderhitzung. Von der massiven Nutzung
       fossiler Brennstoffe wollen sie [2][aus Naturschutzgründen] trotzdem
       abrücken.
       
       Ein Graus ist der Kehre „grünes Wachstum“ um des Klimas willen. Für den
       Klimaschutz leide der Naturschutz, schreibt Schick: „Windkraftanlagen
       schreddern Vögel, Fledermäuse und Insekten, Biomasseanbau fördert die
       Landverödung qua überdüngter Monokulturen und die Kobaltförderung für die
       Herstellung ‚grüner Technologie‘ im Kongo hinterläßt schwelende Wunden,
       sowohl ökologischer als auch sozialer Art.“
       
       Der Titel der Zeitschrift geht auf einen Aufsatz des Philosophen Martin
       Heidegger zurück. In „Die Technik und die Kehre“ stellt Heidegger die
       moderne Technik als Gefahr dar, weil sie dem Menschen den Zugang zu seinem
       authentischen „Sein“ verstelle. Aus dieser Gefahr ergibt sich aber auch die
       Möglichkeit einer „Kehre“, sagt Heidegger, einer Rückkehr zum
       Ursprünglichen, zu Natur und Heimat.
       
       An diese [3][Alternative zur industriellen Moderne] knüpft die Kehre an.
       Ebenso wie ihr ideologisches Vorbild Heidegger sorgt sie sich um den Erhalt
       von Wald und Wiesen, in denen sie die angestammte Heimat der Deutschen
       sieht.
       
       Auffällig ist, dass die Neurechten ihre Kritik der Moderne mit mehr
       Inbrunst vortragen als die alternativen Ökos. Das wundert kaum. Vielen
       Linksalternativen dürfte zumindest implizit klar sein, dass die
       Industriegesellschaft historisch auch jene gesellschaftlichen
       Liberalisierungen ermöglicht hat, die sie bewahren und ausbauen wollen. Der
       rechte Rand hingegen will auch diesen Fortschritt umkehren.
       
       ## Die Bioregion für Deutsche
       
       Der DDR-Umweltrechtler Michael Beleites, der sich früher bei Greenpeace
       engagierte, mittlerweile aber beim neurechten Institut für Staatspolitik
       doziert, fordert deshalb einen Abschied vom Wirtschaftswachstum und die
       Rückkehr aufs Land. Das Schlagwort in der Kehre dafür lautet
       „Bioregionalismus“.
       
       Schnell geht es dann aber nicht mehr nur um Flora und Fauna, sondern um
       „die Aufrechterhaltung der ‚relative(n) Einheit von Mensch und Raum‘, die
       'nicht durch unkontrollierte Zuwanderung in einer multiethnischen und
       multikulturellen Beliebigkeit’ untergehen darf, da der Bioregion sonst ‚die
       Humanbasis entzogen‘ würde“, schreibt der Autor Hagen Eichberger.
       
       Alain de Benoist, der französische Vordenker der neuen Rechten, echauffiert
       sich in der Kehre, „daß viele Umweltschützer, die sich um die Erhaltung der
       Artenvielfalt kümmern, dem Verlust der Vielfalt der Völker und Kulturen
       gleichgültig gegenüberstehen“. In dem Sinne bezeichnet eine
       Bildunterschrift die migrantisch geprägte Karl-Marx-Straße in
       Berlin-Neukölln als „Epizentrum der Entwurzelung“.
       
       ## Furcht vor der „Überbevölkerung“
       
       Wenn die Autor:innen über Einwanderung sprechen, ist auch die Sorge um
       die vermeintliche „Überbevölkerung“ des Planeten nicht weit. Die
       Naturschützerin Lotta Bergemann warnt in der Kehre vor einem „Öko-Kollaps“,
       wenn die Weltbevölkerung nicht „auf einem niedrigen Niveau stabilisiert“
       werde.
       
       Ähnlich denkt Höcke – und beruft sich auf den Tierforscher und
       Nationalsozialisten Konrad Lorenz, der darauf hingewiesen habe, „daß die
       ökologischen Gesetze auch für den Menschen gelten. Es kann kein ewiges
       Wachstum geben, auch nicht in der Bevölkerungsentwicklung. Wenn wir es
       nicht durch grundsätzlichen Bewußtseinswandel abstoppen können, dann wird
       die Natur regulativ eingreifen – aber sicherlich auf eine Art und Weise,
       die uns nicht sehr menschlich erscheinen wird.“
       
       Die Ideen erinnern an den US-Autor Paul R. Ehrlich, der 1968 in „The
       Population Bomb“ über die vermeintlich natürlichen Grenzen menschlichen
       Wachstums schrieb – seine Prognosen eines Massensterbens stellten sich
       jedoch als hanebüchen heraus. Die Neurechten sehnen sich einen solchen
       Massentod scheinbar trotzdem herbei, auch wenn sie ihren Wunsch in
       euphemistische Sprache zu kleiden wissen. Über den Vorwurf aber beschwert
       sich Schick: Die Linke sähe „hinter der Forderung nach einer Reduzierung
       der Weltbevölkerung erneut Auschwitz am Horizont heraufziehen“.
       
       ## Politische Ambitionen
       
       Ungeachtet der hochtrabenden Ansprüche bleibt die politische Wirkung der
       Kehre schwach. Schick gibt 2020 zu, es gelinge ihr noch nicht, in der AfD
       eine „ökologische, sozial-konservative“ Position mehrheitsfähig zu machen.
       Höcke fügt im Gespräch mit Schick an, man müsse dennoch „Konzepte für den
       Tag erarbeiten, an dem klar wird, daß die etablierte Politik mit ihrem
       einseitigen Wachstumsdogma am Ende ist. Die Theoriearbeit muß jetzt
       geleistet werden.“
       
       Zudem müssten die Rechten „den Begriff des Lebensstandards qualitativ
       erweitern, um den materiellen Aspekt etwas zu relativieren“. Die
       AfD-Wähler:innen scheinen sich bislang aber eher um ihre materiellen
       Interessen zu sorgen, als um Kleinbauern- und Naturfolklore.
       
       ## Ökologie statt Faschismus
       
       Diesem Widerspruch zwischen materiellem Anliegen und Naturschutz mussten
       sich auch die Nazis stellen. Trotz Blut-und-Boden-Folklore schlugen sie für
       den Autobahnbau Schneisen durch Wald und Flur und produzierten Panzer und
       Raketen am Fließband. In einem Kehre-Text lobt Andreas Karsten –
       Chefredakteur des rechten Magazins Zuerst! – das „nationalsozialistische
       Waldverständnis“ und die Ausweisung neuer Naturschutzgebiete durch die
       NSDAP.
       
       Schick dagegen grenzt sich in selbiger Ausgabe vom Faschismus ab, weil ihm
       dieser zu modern ist. Faschistische Ansätze, „die den ‚Fortschritt‘ in
       einem nationalistischen Sinne lenken wollen“, stünden einer rechten
       Umweltpolitik diametral entgegen, schreibt er. „Der Faschismus hatte als
       revolutionäre, radikalrechte Bewegung […] seine spezifische Zeit und
       scheiterte an der Aufgabe, die er sich gestellt hatte.“ Die Idee eines
       „Ökofaschismus“, die der jüdische Philosoph André Gorz kritisch analysiert,
       will Schick sich deshalb nicht zu eigen machen – „Ökologie“ und
       „Faschismus“ ließen sich nicht vereinen.
       
       Die neurechten Ökos wollen sich stattdessen so weit wie möglich von der
       Moderne lossagen. Dabei verfolgen sie zwei langfristige Ziele: den gesamten
       ökologischen Diskurs nach rechts zu verschieben und die AfD zu begrünen. Am
       liebsten würden sie zurückkehren zu den vermeintlich einfacheren und
       harmonischen Lebensverhältnissen von anno dazumal: Heimat, Hof,
       Gemeinschaft und die patriarchale Familie. All das fügt sich trefflich
       zusammen im ganzheitlich-ökologischen Denken der Kehre.
       
       19 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-AfD-und-die-Identitaeren/!5955016
   DIR [2] /Rechte-Oeko-Zeitung-Die-Kehre/!5797511
   DIR [3] /Rechtes-Oeko-Magazin-Die-Kehre/!5690299
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leon Holly
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Ökologie
   DIR Neue Rechte
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Rechtsextremismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Höckes SA-Satz: Wer findet sich da schon wieder
       
       Björn Höcke steht in Halle vor Gericht, weil er mutmaßlich bewusst eine
       Parole der SA verwendet hat. Schon der erste Prozesstag hatte es in sich.
       
   DIR Die AfD und die Identitären: Ein Feigenblatt
       
       Ein AfD-Bundestagsabgeordneter stellt einen langjährigen Identitären ein.
       In der Partei scheint das niemanden zu stören. Trotz Unvereinbarkeitsliste.
       
   DIR Rechte Öko-Zeitung „Die Kehre“: Vom Abo in die Auslage
       
       Die extremrechte Naturschutzzeitschrift „Die Kehre“ gibt es nun auch am
       Bahnhofskiosk. Ein Fan des Blattes? Der rechtsextreme AfDler Björn Höcke.
       
   DIR Rechtes Öko-Magazin „Die Kehre“: Den Grünen den Naturschutz nehmen
       
       Eine neue Zeitschrift bezieht sich auf Heidegger und beschwört extrem
       rechte Umwelt-Philosophie. Prominenter Leser: Björn Höcke.