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       # taz.de -- Organisierte Kriminalität in Argentinien: Bandenkriminalität und Drogenhandel
       
       > In der Hafenstadt Rosario ist die Mordrate viermal so hoch wie im
       > Landesdurchschnitt. Eine Lösung ist auch unter Javier Milei eher
       > fraglich.
       
   IMG Bild: In Rosario konfiszierte Waffen bei einer Pressekonferenz der argentinischen Polizei im März 2024
       
       Meine Hündin Pinky hat eine neue Freundin. Vor etwa vier Wochen ist schräg
       gegenüber ein Collie eingezogen. Genauer gesagt eine Hündin und ihre
       Besitzerfamilie. Die Hündin heißt Reina, die Königin. Sie ist reinrassig,
       wie ihr Frauchen gerne betont. Pinky ist das egal. Sie hat ein offfenes
       Wesen und sucht sich ihre Freunde nach anderen Kriterien aus.
       
       Collie Reina und ihre Familie sind aus der Stadt Rosario zugezogen.
       Allerdings nicht freiwillig, wie ihr Frauchen erzählt. Die Angst hat die
       Familie zum Umzug bewogen. Nachdem vor drei Monaten auf die Eingangstür des
       Supermarkts neben der Schule ihrer beiden Kinder geschossen worden war,
       hatten sie endgültig genug. Und da der Vater in die hauptstädtische
       Firmenzentrale wechseln konnte, beschlossen sie, nach Buenos Aires zu
       ziehen.
       
       Rosario ist die drittgrößte Stadt Argentiniens. Sie liegt rund 300
       Kilometer nordwestlich von Buenos Aires in der Region Santa Fe und ist der
       wichtigste Agrarexporthafen des Landes. Die Millionenstadt erstreckt sich
       [1][entlang des Río Paraná] und ist der Geburtsort von Che Guevara und
       [2][Lionel Messi,] weshalb Letzterer ein regelmäßiger Besucher ist. Rosario
       ist aber auch die Stadt mit der höchsten Mordrate in Argentinien. Im Jahr
       2022 war sie gut viermal so hoch wie der Landesdurchschnitt.
       
       „Das war nicht der erste Supermarkt und es stand auch nicht groß in der
       Zeitung“, erzählt das Collie-Frauchen. Aber als vor etwas mehr als einem
       Jahr auf den Supermarkt der Familie von Antonela Roccuzzo, der Frau von
       Lionel Messi, geschossen wurde, sorgte das für Schlagzeilen. In den
       Metalljalousien wurden 14 Einschusslöcher gezählt, und man fand ein Stück
       Papier mit der Botschaft: „Messi, wir warten auf dich.“ „Früher ging es in
       Rosario um Drogen, aber jetzt geht es auch um Schutzgelderpressung“, sagt
       meine neue Nachbarin.
       
       ## Zielscheiben der Narcos
       
       Der Río Paraná ist für Rosario Segen und Fluch zugleich. Die für ganz
       Südamerika wichtigste Wasserstraße Paraguay-Paraná ist bis Rosario für
       große Frachter schiffbar. Über die Hafenanlagen werden riesige Mengen
       Getreide und Soja verladen. Aber auch Schmuggelware und Drogen, wie etwa
       Kokain, das in großem Stil aus dem Norden angeliefert und hier verschifft
       wird.
       
       Das Exportgeschäft nach Europa oder Afrika wird von den Großen der Branche
       abgewickelt. Ein Teil der Drogen bleibt jedoch in Rosario und überschwemmt
       den städtischen Markt, um dessen Anteile sich über 20 Familienclans und
       Banden streiten. Schießereien bei Tag und Nacht sind in einigen Vierteln
       fast an der Tagesordnung. Verirrte Kugeln haben schon viele Unbeteiligte
       verletzt oder getötet. „Die Clan-Chefs agieren alle aus dem Gefängnis“,
       sagt die Collie-Besitzerin. Die hätten nicht erst seit gestern die Polizei,
       die Justiz und die Politik korrumpiert.
       
       Pinky ist plötzlich unruhig. Sie hat den Boxerrüden aus der Parallelstraße
       an der Ecke entdeckt. Der zieht jetzt sein Herrchen zu uns herüber.
       „Irgendwann war uns schon beim Gassigehen mit Reina mulmig“, erzählt Reinas
       Frauchen und erklärt jetzt auch dem Boxer-Herrchen, warum sie umgezogen
       sind. „Milei hat jetzt das Militär nach Rosario geschickt“, fügt der hinzu
       und gibt sich damit gleich auch als Wähler des libertären Präsidenten zu
       erkennen. Jetzt werde aufgeräumt, meint er.
       
       Das Militär dürfe gar nicht eingreifen, das verbiete allein schon die
       Verfassung, sagt das Collie-Frauchen. Und: „Die Militärs trauen der lokalen
       Polizei nicht und wollen auch nicht zur Zielscheibe der Narcos werden.“
       Seit der neue Gouverneur von Santa Fe in Absprache mit dem Bürgermeister
       von Rosario härter durchgreift, gebe es nicht nur mehr Schusswaffenangriffe
       auf Gebäude, sondern auch mehr willkürliche Erschießungen. So wie der Mord
       an einem 25-jährigen Parkwächter Anfang März, der von Überwachungskameras
       aufgezeichnet und ins Netz gestellt wurde. „Wir wären nicht weggezogen,
       wenn wir ein Licht am Ende des Tunnels gesehen hätten“, seufzt Reinas
       Frauchen.
       
       22 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Vogt
       
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