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       # taz.de -- Mit Unterstützung von US-Firmen: Ukraine setzt auf neue AKWs
       
       > Mehrere neue Reaktoren – die Ukraine baut ihre Atomwirtschaft aus.
       > Unterstützung kommt von zwei US-Firmen. Doch es gibt Bedenken.
       
   IMG Bild: Das schwimmende MIni-AKW „Akademik Lomonossow“
       
       Mönchengladbach taz | Die Ukraine will die Atomenergie massiv ausbauen. Als
       Partner zur Seite stehen werden ihr dabei die US-amerikanischen Konzerne
       Holtec und Westinghouse. In der vergangenen Woche unterzeichneten der Chef
       des ukrainischen Atomkonzerns Energoatom, Petro Kotin, und der Vorsitzende
       der AKW-Betreiberfirma Holtec, Kris Singh, ein Rahmenabkommen über den
       Transfer von Holtec-Technologie zur Herstellung von Komponenten von „Small
       Modular Reactors“ in der Ukraine.
       
       [1][Ein Beispiel eines Mini-AKW ist das schwimmende Kernkraftwerk „Akademik
       Lomonossow“], das seit Mai 2020 die sibirische Hafenstadt Pewek sowie
       angrenzende Bergwerke mit Strom und Wärme versorgt. Des Weiteren haben
       Energoatom und Holtec in diesem Abkommen den Bau einer ukrainischen
       Produktionsstätte für Komponenten des Trockenlagers für abgebrannte
       Brennelemente vereinbart.
       
       Mit dabei bei der Unterzeichnung waren auch der ukrainische Energieminister
       Herman Haluschtschenko und der Energie-Attaché der US-Botschaft in Kyjiw,
       Shawn Anderson. Mit diesem Abkommen, so Energoatom auf seinem
       Telegram-Kanal, werde man nach dem Krieg die Wirtschaft ankurbeln,
       Arbeitsplätze schaffen, regionales Technologiezentrum für SMR-300- und
       Holtec-Technologien für abgebrannte Brennstoffe werden. Die Ukraine sei auf
       dem Weg zu einem „Hub für Nukleartechnologien für ganz Europa“.
       
       Im vergangenen September hat die Ukraine zum ersten Mal ein AKW mit
       Westinghouse-Brennstäben, gemeinsam produziert von Energoatom und
       Westinghouse, bestückt. Ebenfalls in der vergangenen Woche wurde feierlich
       mit dem Bau von zwei Atomreaktoren in der ukrainischen Kleinstadt Netischyn
       bei Chmelnyzkyj begonnen.
       
       ## Die ersten Reakoren mit US-Technologie
       
       Diese Reaktoren werden die ersten ukrainischen Atomreaktoren sein, die mit
       US-Technologie gebaut werden. Strategischer Partner des ukrainischen
       AKW-Betreibers Energoatom beim Bau dieser Reaktoren ist der US-Konzern
       Westinghouse. Unterstrichen wurde dessen Wille zur langfristigen
       Zusammenarbeit durch die Anwesenheit des Geschäftsführers von Westinghouse
       Electric Company, Patrick Fragman, und der US-Botschafterin in der Ukraine
       Bridget Brink beim feierlichen Baubeginn.
       
       Bereits jetzt habe man alle ukrainischen Atomkraftwerke von ihrer
       Abhängigkeit von russischen Brennstäben befreit, freute sich
       Westinghouse-CEO Patrick Fragman in seiner Rede. Insgesamt neun
       Atomreaktoren will der US-Konzern in der Ukraine bauen, erklärte
       US-Botschafterin Brink. Zwei davon sollen ebenfalls in Chmelnizki gebaut
       werden. Das AKW Chmelnizki wäre mit der Fertigstellung der geplanten vier
       weiteren Reaktoren mit sechs Reaktoren das größte AKW Europas.
       
       Allerdings sind diese beiden Reaktoren sehr umstritten, handelt es sich
       doch nicht um einen Neubau eines AKW, sondern um einen Weiterbau von 1986
       und 1987 begonnenen baulichen Maßnahmen. In einem Beitrag für censor.net
       hegt die Atomexpertin Olga Koscharna, Mitglied im Expertenrat des
       ukrainischen Energieministeriums, Zweifel, ob ein moderner Atomreaktor
       überhaupt in ein in den 80er Jahren entworfenes Gehäuse reinpasst.
       
       Das letzte Mal sei das Gehäuse eines dieser beiden nicht fertig gestellten
       Reaktoren 2006 nach einem Brand und einer Überschwemmung im Gebäude
       eingehend untersucht worden. Und bei einer Sitzung des Kollegiums der
       Staatlichen Atomregulierungsbehörde im November 2009 habe man festgehalten,
       dass man auf der Grundlage vorliegender Berichte keine endgültige Aussage
       über langfristige Haltbarkeit der nicht fertig gestellten Bauten treffen
       könne.
       
       ## Potenzial für den Export
       
       Bei Holtec ist Energoatom-Chef Kotin ein gern gesehener Gast. In seiner
       Rede vor dem Beirat gratulierte Kotin in der vergangenen Woche dessen
       Vorstand für die [2][jüngste Entscheidung der US-Regierung], Holtec einen
       Kredit von 1,5 Milliarden Dollar für die Wiederinbetriebnahme des
       stillgelegten AKW Palisades im US-Bundesstaat Michigan zu gewähren.
       
       Die britisch-amerikanische Energieunternehmerin und Energiepolitikexpertin
       und „Senior Fellow“ des US-amerikanischen Thinktank Atlantic Council,
       Suriya Evans-Pritchard Jayanti, begrüßt den Ausbau der ukrainischen
       Atomwirtschaft. Jetzt, da die Ukraine auch an den Verband der europäischen
       Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) angeschlossen sei, [3][habe sie ein
       großes Potenzial] für den Export von Atomstrom. Hinzu komme, dass die
       Ukraine schneller und kostengünstiger produziere als andere Länder, so
       Evans-Pritchard Jayanti.
       
       Die Ukraine hatte sich zunächst in einem Testlauf am 22. Februar 2022, dem
       Tag der russischen Intervention, vom russischen und belarussischen
       Stromnetz abgekoppelt. Am 16. März 2022 folgte dann die Verbindung mit dem
       kontinentaleuropäischen Stromnetz des Verbandes Europäischer
       Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E).
       
       22 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwimmendes-AKW-in-Russland/!5652048
   DIR [2] /Klimapolitik/!6001527
   DIR [3] https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/ukrainian-nuclear-energy-can-fuel-countrys-recovery-and-power-europe/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
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