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       # taz.de -- Propalästinensisches Zeltlager: Nur Hummus oder auch Hamas?
       
       > Die Teilnehmer*innen eines propalästinensischen Camps beklagen
       > Repressionen der Polizei. Laut Medienberichten sollen einige Terror
       > verharmlosen.
       
   IMG Bild: Die Polizei ist immer in der Nähe: Propalästinensisches Zeltcamp auf der Reichstagswiese
       
       Berlin taz | Unter den Augen patrouillierender Polizist*innen schlürfen
       sie Milchreis und heiße Schokolade im Schneeregen. Wenige Meter entfernt
       liegt am Montagmorgen eine Leichentrage, bedeckt von der Palästina-Flagge.
       Darauf eine Babypuppe, eingewickelt in Palästina-Schal. „Völkermord –
       Deutschland ist wieder dabei“ und „Stoppt die Waffenlieferungen“ steht auf
       Transparenten dahinter.
       
       Seit knapp zwei Wochen zelten unter dem Motto „Besetzen gegen Besatzung“
       propalästinensische Aktivist*innen vor dem Reichstag. Sie veranstalten
       Workshops, Kundgebungen, zeigen Dokumentarfilme. „Aktuell sind wir rund 40
       Menschen, abends bis zu 100“, erzählt Ethan. Er ist seit Samstag im
       Zeltlager. Gegründet hatte sich das Camp im Vorfeld des
       [1][Palästina-Kongresses Mitte April, den die Polizei bereits am ersten Tag
       aufgelöst und verboten hatte.]
       
       [2][Die Hauptforderung der Aktivist*innen: ein sofortiges Ende der
       Waffenlieferungen], ein Ende der Besatzung sowie die Umsetzung des
       Rückkehrrechts für alle Flüchtlinge. Zudem sollen alle Parteien, die an
       „Kriegsverbrechen, am Völkermord und am Leid des palästinensischen Volkes
       beteiligt sind“, zur Rechenschaft gezogen werden.
       
       Dabei fühlen sie sich von der Polizei schikaniert. Tag und Nacht würden
       Mannschaftswägen das Camp bewachen, erzählt James. Er kocht für die
       Campteilnehmer*innen. Morgens würde die Polizei prüfen, ob die Zelte am
       richtigen Ort stünden. „Abends nehmen sie dann die Menschen in Gewahrsam“,
       sagt er – warum, wüssten sie nicht. Angemeldete Demonstrationen hätte die
       Polizei nicht zum Camp durchgelassen. „Das ist der Polizeistaat“, sagt
       James.
       
       ## Aktivist*innen beklagen polizeiliche Repressionen
       
       „Sie legen uns täglich neue willkürliche Einschränkungen auf“, erzählt auch
       Ethan. Seit einigen Tagen dürfe man nicht mehr „Fuck you“ in Verbindung mit
       einem Namen, etwa Netanjahu oder Scholz, sagen. „Fuck you Israel“ hingegen
       ginge. Außerdem dürften Redebeiträge generell nur auf Deutsch und Englisch,
       und erst ab 18 Uhr auch auf Arabisch abgehalten werden. „Sie haben wohl
       Schwierigkeiten einen Dolmetscher zu finden und fürchten, dass wir
       terroristische Pläne schmieden“, sagt James. Auch Gebete auf Arabisch habe
       die Polizei untersagt, genauso wie Gesänge auf Irisch bei einem Workshop.
       Hebräisch sei auch verboten.
       
       „Die Polizeipräsenz ist sehr unangenehm und schüchtert uns ein“, sagt
       Ethan. Unterkriegen lassen sie sich davon nicht. Als die Polizei am Sonntag
       stundenlang mit grimmiger Miene und verschränkten Armen an ihrem Buffet
       gestanden habe, hätten Campteilnehmer*innen gewitzelt: „Passt auf, da
       ist die Hamas im Kuchen!“
       
       Nur ein Witz? Der Tagesspiegel berichtet, dass Teilnehmer*innen des
       Camps mit Hassbotschaften und Vernetzungen zu radikalen Gruppen im Netz
       aufgefallen seien. Demnach soll einer der Teilnehmer bei einer Rede
       antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet haben. Zudem soll die
       genannte Person Anhänger der Al-Aksa-Brigaden sein, dem bewaffneten Arm der
       Fatah. Den Recherchen zufolge sollen weitere Personen im Camp Sympathien
       für Extremisten und Terrororganisationen hegen. So hätten etwa zwei
       Personen auf Instagram mit Schusswaffen und Macheten posiert oder in Posts
       zur „Ermordung von Israelis“ aufgerufen und Zitate von Adolf Hitler
       verbreitet.
       
       „Die Vorwürfe, dass unser Camp als Rückzugsort für Menschen dient, die
       Terror verherrlichen, lehnen wir ab“, sagt eine Sprecherin der taz. „Wir
       sind ein offenes Bündnis für Menschenrechte für alle. Wer Ansichten
       vertritt, die mit unserem Selbstverständnis nicht übereinstimmen, den
       würden wir aus der Kundgebung entfernen.“ Das sei bisher noch nicht
       geschehen. Präsent im Camp ist auch der Verein „Jüdische Stimme für
       gerechten Frieden in Nahost“. Für Montagabend etwa hatte die Gruppe zum
       Auftakt des Pessachfestes ein „antizionistisches Seder“ angekündigt.
       
       ## „Jüdische Stimme“ ist bei dem Camp präsent
       
       Die „Jüdische Stimme“ äußert sich regelmäßig verharmlosend in Bezug auf den
       Terror der Hamas. Nur wenige Tage nach dem Massaker am 7. Oktober hatten
       sie auf ihrer Webseite geschrieben: „Was nun geschehen ist, glich einem
       Gefängnisausbruch, nachdem die Insassen zur lebenslangen Haft verurteilt
       wurden, nur weil sie Palästinenser:innen sind.“ Aus dem Verein heraus
       heißt es auch, dass mit dem 7. Oktober klar gewesen sei, „dass Israels
       Antwort schrecklich ausfallen“ werde. Dass dies der Hamas ebenso klar
       gewesen sein muss, erwähnen sie dagegen nicht. Auch hier verwahrt sich die
       Sprecherin gegen den Verdacht der Terrorverharmlosung, im Gegenteil, diese
       Gruppe positioniere sich „gegen den Staatsterror gegen die
       Palästinenser*innen“.
       
       [3][Die Sprachauflagen der Polizei zeigen aus ihrer Sicht: „Wir stehen
       unter Generalverdacht]. Andere Veranstaltungen, etwa in Solidarität mit der
       Ukraine, unterliegen nicht solchen Auflagen“, sagt sie. Inzwischen hätten
       sie zumindest ein Zeitfenster mit der Polizei ausgehandelt, in dem
       arabische Sprachmittler vor Ort seien. „Dabei ist es unser Recht, unsere
       Versammlung in den Sprachen abzuhalten, die wir wollen“, findet die
       Sprecherin.
       
       Dass die Polizei mit Sprachverboten agiere, sei „unüblich“, sagt auch der
       Rechtsanwalt Michael Plöse, der die Campteilnehmer*innen juristisch
       berät. Es zeige, dass die Polizei überfordert sei. „In der Regel können sie
       bei Versammlungen absehen, welche Sprachmittler sie brauchen.“ Ein
       internationaler Dauerprotest sei da komplexer. Die Polizei habe aber die
       Pflicht sich darauf einzustellen. Seines Wissens nach habe die Polizei
       Angebote der Veranstalter, vereidigte Dolmetscher*innen zu stellen,
       abgelehnt.
       
       ## Polizei steht unter politischem Druck
       
       „Die Polizei agiert unverhältnismäßig“, sagt Plöse. „Die Staatsanwaltschaft
       verfolgt aktuell alle möglichen Meinungsäußerungen. Deswegen ist die
       Polizei gehalten viel zu dokumentieren. Denn teils werden sie erst
       hinterher auf strafrechtliche Inhalte geprüft.“ Die Polizei ziehe so Leute
       aus der Versammlung, ohne dass in dem Moment klar sei, ob die Äußerung
       strafbar ist. Das erhöhe das Risiko für Teilnehmer*innen. „Letztlich sind
       das nur Meinungsäußerungen, die die Polizei hier massiv verfolgt“, so
       Plöse.
       
       Ziemlich offensichtlich ist, dass die Polizei unter politischem Druck
       agiert. Bereits das Verbot des Palästina-Kongresses hatten führende
       Politiker*innen, darunter Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner
       (CDU), im Vorfeld gewünscht – und damit quasi angekündigt. Das Camp
       befindet sich direkt vor dem Bundestag. Wenn von dort Bilder um die Welt
       gehen mit einem Banner, das Terrorist*innen unterstützt oder Israel das
       Existenzrecht abspricht, ist das aus Sicht der Politik sicher etwas
       anderes, als wenn solche Plakate bei einer Demo auf der Sonnenallee gezeigt
       werden.
       
       23 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Kai Liesegang
   DIR Uta Schleiermacher
   DIR Lilly Schröder
       
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       Ihre Resolution verbreiten die Veranstalter*innen online. Zuvor hatten
       sie mit Statements und einer Demo gegen das Verbot des Kongresses
       protestiert.